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Gunter Holzweißig: Die schärfste Waffe der Partei. Eine Mediengeschichte der DDR

Erstaunlicherweise ist auch zwölf Jahre nach dem Ende der DDR die Sachbuchliteratur über ihren zentral gelenkten Medienapparat eher spärlich gesät. In diese Lücke stößt nun der als DDR-Kenner ausgewiesene Publizist Gunter Holzweißig mit einer kompakten Mediengeschichte des zweiten deutschen Staates, die u.a. belegt, dass die SED mit ihrer Informationspolitik nicht unwesentlich zum eigenen Untergang beigetragen hat. So beinhaltet das Buch etwa zahlreiche Auszüge aus Protestschreiben empörter DDR-Bürger, die besonders seit dem Verbot der sowjetischen Perestroika-Zeitschrift "Sputnik" 1988 nicht mehr willens waren, sich von den gleichgeschalteten DDR-Medien weiter mit den üblichen Meldungen über vorfristige Planerfüllung und gefälschte 99-Prozent-Wahlergebnisse abspeisen zu lassen.

Karl Wilhelm Fricke | 19.08.2002
    Zwölf Jahre nach dem Ende der DDR wirkt sie irgendwie unwirklich, beklemmend fast und jedenfalls seltsam anachronistisch – die einstige Medienlandschaft im Staat der SED. Gunter Holzweißig skizziert sie mit kräftigen Strichen in seinem Buch "Die schärfste Waffe der Partei". Im Ergebnis legt der Autor, der sich als westdeutscher DDR-Forscher seit Jahrzehnten mit den Medien der DDR befasst, einen kurzen, gut lesbaren Grundriss ihrer Geschichte vor. Seinen Titel entnahm er einer Doktrin Lenins. Der Genius des Roten Oktober definierte die bolschewistische Presse einst als "schärfste Waffe der Partei" – und die SED hielt Zeit ihrer Herrschaft an dieser Doktrin fest, bezog sie freilich nicht nur auf Zeitungen und Zeitschriften, sondern erweiterte sie auf Hörfunk und Fernsehen, auf die Medien schlechthin. Die Konsequenzen, die sich daraus ergaben, beschreibt der Autor im ersten Kapitel seines Buches. Er leuchtet Strukturen und Institutionen aus, die die SED schuf, um die Instrumentalisierung der Medien durchzusetzen. Er legt die Steuerungs- und Kontroll-Mechanismen bloß, das Informations- und Meinungsmonopol der Herrschenden, die konkrete Anleitung der Redaktionen von zuletzt 39 Tageszeitungen sowie 30 Wochenblättern und Monatsschriften, die Funktion der regierungsamtlichen Nachrichten-Agentur ADN und die Rolle der Stasi in der Medienpolitik. In den fünf anschließenden Kapiteln zeichnet er die DDR-Mediengeschichte im Kontext zur Politik der SED nach. Auch die Zeit der Regierungen Modrow und de Maizière bezieht er ein. Ausgenommen das Jahr nach Honeckers Sturz blieb das System der Medienlenkung in der DDR im Prinzip seit 1950 erstaunlicherweise unverändert. Zitat:

    An der Spitze der SED-Medienbürokratie stand der Generalsekretär. Sowohl Ulbricht als auch Honecker mischten sich nachhaltig (...) in die Medienlenkung ein. Die Erfüllungsgehilfen der SED-Generalsekretäre waren die jeweiligen ZK-Sekretäre für Agitation und Propaganda – zuletzt der bei DDR-Journalisten in besonders unrühmlicher Erinnerung gebliebene Joachim Herrmann. Ihm unterstanden unter anderem die Agitationskommission beim Politbüro und die ZK-Abteilung Agitation.

    Die Abteilung Agitation beim Zentralkomitee und die Agitationskommission beim Politbüro der SED waren in der Tat die medienpolitischen Schaltstellen in der DDR, deren Entscheidungen alltäglich in die Praxis von Presse, Hörfunk und Fernsehen umzusetzen waren – etwa durch regelmäßige Konferenzen mit den Chefredakteuren oder in den jeden Donnerstag abgehaltenen Sitzungen zur Festlegung der Argumentation in der Agitationsabteilung im ZK, den sogenannten Donnerstags-"Argus", ferner durch Weisungen des Regierungs-Presseamtes. Das letzte Wort hatte immer die Partei. Jenseits aller Hoffnungen auf Liberalisierung hat Honecker selbst 1981 noch, auf dem X. Parteitag, die politische Instrumentalisierung der Medien erneut beschworen und bekräftigt:

    Die Massenmedien spielen in unserer Zeit eine außerordentliche Rolle. Sie sind ideologische Kampfinstrumente in den Händen der Arbeiter-und-Bauern-Macht wie auf der anderen Seite in den Händen der imperialistischen Bourgeoisie. Für Presse, Rundfunk und Fernsehen kommt es vor allem darauf an, die aktive Verbreitung unserer sozialistischen Ideologie, die innen- und außenpolitische Information, die geistig-kulturelle Bereicherung und Unterhaltung im weitesten Sinne des Wortes als eine einheitliche Aufgabe zu verstehen und zu verwirklichen.

    Holzweißig, der in seinem Buch die hier im Originalton zitierte Rede Honeckers dokumentiert, zieht gewiss nicht zu Unrecht Parallelen zur Medienlenkung in der Nazi-Diktatur:

    Wenn es auch weder im Dritten Reich – abgesehen von den Kriegsjahren – noch in der DDR einen im klassischen Sinne für die Medien zuständigen institutionalisierten Zensor gab, glichen sich in der Tat die Methoden der Medienlenkung in beiden Systemen aufs Haar. Das NS- und das SED-Regime verließen sich auf ihre durch die Nachzensur effizient funktionierende Medienlenkung, ohne einen amtlich bestellten Zensor zu beschäftigen.

    Das konnte für unbotmäßige Journalisten Folgen haben bis zur strafrechtlichen Sanktion. Bei Holzweißig ist nachzulesen, wie die SED und ihre Medienbürokratie oder - ein von ihm geprägter Begriff – ihre "Agitationsbürokratie" frühzeitig Steuerungsmechanismen entwickelten, die die Gleichschaltung der Medien und ihre Manipulation auch ohne institutionalisierte Zensur gewährleistet haben. Insoweit war es formal nicht falsch, was Walter Ulbricht am 12. August 1968 in Karlsbad auf einer gemeinsam mit dem Prager Reformer Alexander Dubcek abgehaltenen Pressekonferenz – hier mit tschechischer Übersetzung – zum Besten gab:

    Sehen Sie, als wir aus der Presse erfuhren, dass Sie eine Pressezensur abgeschafft haben, war man bei uns erstaunt, weil wir so etwas nicht kannten. Wir haben nie eine Pressezensur gehabt, ja, und wie Sie sehen: Wir sind ganz gut vorwärtsgekommen, auch ohne Pressezensur, das heißt, unsere Methoden waren andere. Die Methoden der Partei- und Staatsführung waren andere, als sie sich bei Ihnen entwickelt hatten.

    Die Methoden waren andere, Zensur ohne Zensor sozusagen, Schere im Kopf. Holzweißig illustriert das an einer Reihe praktischer Beispiele. Sein Buch macht die Medienpolitik der SED anschaulich. Der Autor arbeitet holzschnittartig, konturenreich, zuweilen vereinfachend und meinungsfreudig, aber stets zuverlässig informierend. Selbstredend wurden Presse und Funk der DDR von der SED auch zu politischen Kampagnen gegen die Bonner Republik missbraucht. Namentlich Albert Norden, der langjährige ZK-Sekretär für Agitation, das "intellektuelle Sprachrohr Walter Ulbrichts", war darauf spezialisiert:

    Albert Norden ersann und leitete unentwegt manipulativ geführte, letzten Endes jedoch wirkungslos gebliebene Propagandafeldzüge gegen die 'imperialistische’ Bundesrepublik. Dazu inszenierte er mit tatkräftiger Unterstützung des MfS in den fünfziger und sechziger Jahren internationale Pressekonferenzen, auf denen er vorzugsweise teilweise gefälschte Dokumente über die vermeintliche oder tatsächliche NS-Vergangenheit bundesdeutscher Politiker präsentierte.

    Norden hatte nie Skrupel, aber wirkungslos geblieben – wie Holzweißig meint – ist sein Treiben mitnichten. Nordens Enthüllungen waren in Bonn gefürchtet. Sie haben Rücktritte und Entlassungen provoziert. Auch Ulbrichts Chef-Agitator konnte allerdings nicht verhindern, wozu die Medien in der DDR zu SED-Zeiten verkommen sind. Auf Kosten aller Glaubwürdigkeit waren Monotonie und Uniformität ihre Kennzeichen. Selbst simple Nachrichten gerieten zur Phrase. "Die Herkuleskeule" – ein zu DDR-Zeiten höchst aufmüpfiges Kabarett in Dresden – hat diesen Sachverhalt 1977 einmal treffsicher so persifliert:

    Hier ist der Berliner Rundfunk. Sie hören Nachrichten. Stimme der DDR. Sie hören Nachrichten. Radio DDR. Sie hören Nachrichten. Eine hohe gesellschaftliche Aktivität bei der allseitigen Stärkung der un... (Lachen) ...verbrüchlichen Treue zur revolutionären Herausbildung allseitig entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten forderte auf einer Pionierveranstaltung in Klein-Muff der 1. Sekretär der Kreisleitung der FDJ, Ewald Altklug. Er richtete ferner einen flammenden Gruß an alle glühenden jungen Sozialisten, deren erstrangiges Anliegen es sein sollte, die realexistierende Aufgabenstellung von historischer Größe tief in ihre heldenmütigen Herzen zu pflanzen. (Husten) Verzeihung. (Lachen) Nach fünftägigem Besuch in der DDR trat gestern eine Delegation vom Zentralflughafen Berlin-Schönefeld aus die Heimreise an. Die Delegation hatte mit führenden Vertretern von Partei- und Staatsführung der DDR Fragen von gegenseitigem Interesse geführt. Dabei wurde in allen Punkten volle Einigkeit erzielt. (Lachen) Kurz vor dem Abflug bekräftigte der Leiter der Delegation mit herzlichen Worten noch einmal die Rolle der Bedeutung und die Bedeutung der Rolle. (Lachen) Zum Abschluss der Wetterbericht. Das Wetter des heutigen Tages hat in breiten Kreisen der DDR große Zustimmung und Begeisterung hervorgerufen. (Lachen) Es wird eingeschätzt, dass auch morgen wieder Wetter sein wird. (Lachen) Das waren die Nachrichten. Und nun noch die Zeit. Es ist Null Uhr acht. Es ist Null Uhr zehn. Es ist Null Uhr sechs.



    Das war zum Lachen, aber eigentlich kein Witz. Satirisch übersteigert führte der Sketch ad absurdum, was Nachricht im DDR-Hörfunk sein konnte, aber das Beispiel war letztlich symptomatisch für die Gleichschaltung der DDR-Medien überhaupt. Die SED zahlte dafür einen hohen Preis. Ihre Medienpolitik, das macht Holzweißig plausibel, hat ihrer Herrschaft nicht nur nicht genützt, sie hat ihr nachhaltig geschadet. Sie erwies sich als untauglich. Als der DDR-Sozialismus implodierte, war auch die "schärfste Waffe der Partei" stumpf geworden.

    Gunter Holzweißig: Die schärfste Waffe der Partei. Eine Mediengeschichte der DDR. Das im Kölner Böhlau Verlag erschienene Paperback umfasst 290 Seiten und kostet 24 Eur und 90 Cent.