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Gurkenernte im Spreewald

Nach dem Ende der DDR war die Spreewaldgurke eines der wenigen Produkte, die die Menschen östlich der Elbe weiter haben wollten. Der preisgekrönte Film "Good Bye Lenin" verhalf ihr dann zum weltweiten Durchbruch. Jetzt ist wieder Erntezeit.

Von Christoph Richter | 13.08.2007
    Lateinisch heißt sie: Cucumis Sativus. Leicht gekrümmt, muss sie gut in der Hand liegen, und darf höchstens neun bis zehn Zentimeter groß sein, denn sonst passt sie nicht mehr ins Glas. Die Spreewaldgurke, die Banane des Ostens. Wenn man in sie hinein beißt, muss es kräftig knacken. Gurkenspezialistin Ute Lehmann führt es vor:

    " Knackig, würzig, lecker."

    Derzeit werden die Gurken im Spreewald auf den Feldern zwischen Lübben, Golßen, Schlepzig und Cottbus, 70 Kilometer südlich von Berlin, geerntet. Auf so genannten Gurkenfliegern. Das sind Traktoren mit bis zu 20 Meter langen Plattformen, die seitlich - wie die Tragflächen eines Flugzeugs - heraushängen. Auf denen liegen bäuchlings die Erntehelfer und schweben so zehn Zentimeter über den Gurkenpflanzen, die sie jetzt bequem per Hand pflücken und auf ein unter ihnen durchlaufendes Transportband legen können. Was auf den ersten Blick gemütlich aussieht, weil die Gurken eben liegend geerntet werden, ist ein ausgesprochen anstrengender Flug, sagen die Erntehelfer. Von denen viele nicht aus Polen kommen, sondern aus dem südlichen Brandenburg:

    " Ja, es geht auf den Rücken und die Knochen. Also auf die Arme, muss man sagen. Anstrengend ist es schon. Aber kompliziert ist es eigentlich nicht. Geht ganz schön aufs Kreuz. Jeden Abend bin ich ganz schön fertig. Auf dem Bauch liegen. Auf der Brust. Tut ganz schön weh alles."

    40.000 Tonnen Gurken werden dieses Jahr im gesamten Spreewald geerntet, schätzt der Geschäftsführer des Spreewaldhofes Golßen Konrad Linkenheil. Zusammen mit seiner Schwester Karin Seidel hat der Rheinländer 1991 den Betrieb, das frühere DDR eigene Kombinat: VEB Spreewaldkonserve Golßen, für einen mehrstelligen Millionenbetrag von der Treuhand gekauft:

    " Aber ich muss offen zugestehen, 1991 hatte ich nicht viel Ahnung von Gurken. Aber das war auch ein Glück. Weil ich den Frauen, die hier beschäftigt waren, in der Verarbeitung gesagt habe: Macht das alles so, wie ihr das immer gemacht habt. Ich hab da keine Ahnung von. Bloß keine Rezepturen ändern, alles so lassen. Ich komm dann mit meinen Spezialrezepten für die Obstverarbeitung, wenn wir das alles zusammentun, haben wir eine größere Auslastung für den Betrieb."

    Jetzt, 16 Jahre später, bemerkt Lebensmitteltechnologe Linkenheil nicht ohne Stolz, ist der Betrieb weltweiter Marktführer in der Verarbeitung von Spreewaldgurken, die er Spreelinge nennt. Eine von der EU geschützte Marke, wie Champagner oder Cognac.

    Gleich nach der Ernte werden die Gurken mehrmals gewaschen, mit Zucker, diversen Gewürzen und - sehr wenig Essig -aufgegossen, in Gläser verschlossen und eingekocht. Fast so wie bei Muttern zuhause. Die genauen Rezepturen will allerdings keiner verraten. Damit auch niemand auf die Idee kommt, den so einzigartigen, leicht säuerlichen Gurken-Geschmack zu kopieren.

    Zu früheren Zeiten - in den 30er Jahren beispielsweise - war die Spreewaldgurke ein immens wichtiger Vitamin C Lieferant; gerade für den Winter. Denn da gab es kein vitaminhaltiges Gemüse oder Obst. Man hatte nur die Gurke. Und um sie haltbar zu machen, musste man sie eben konservieren. Daraus entstand die typische Spreewaldgurke mit dem ihr eigenen sauren Geschmack. Daher kommt es auch, dass man die Winterszeit früher saure Gurken-Zeit nannte:

    " Das waren so die Anfänge des Spreewälder Gurkenanbaus. Man hat die Gurken mit dem Kahn bis Berlin geschippert. Und zwar in riesigen Mengen. Verladen wurden die Gurken in Lübbenau, in Lübben. Alles Richtung Berlin. Um die 10tausend Tonnen müssen das gewesen sein. Das war für damalige Zeiten ungemein viel."

    In Golßen werden schon seit jeher Gurken angebaut. Doch meistens geschah das in kleinen bäuerlichen Betrieben. Erst zu DDR-Zeiten wurde begonnen, den Gurkenanbau systematisch zu betreiben. Nach der Wende gab es einen großen Schnitt, und man hat 1991 mit 40 Mitarbeitern von Neuem begonnen. Jetzt hat der Spreewaldhof 240 Angestellte. Und zählt mit einem Umsatz von 90 Millionen Euro - nach Angaben des unabhängigen Marktforschungsinstitutes Nielsen - zu den leistungsfähigsten Landwirtschaftsbetrieben in Brandenburg. Die Ernte dieses Jahr - so Gurkenfabrikant Konrad Linkenheil - läuft nach Plan:

    " Wir liegen ungefähr bei 65 Prozent dessen, was wir erreichen wollen. Und wenn uns das Wetter hold bleibt und wir noch einen warmen August bekommen, dann denke ich, dass wir bis zur ersten Septemberwoche unsere 100 Prozent voll haben werden."

    Seit 1999 dürfen die typischen Spreewaldgurken nur noch aus dem Spreewald kommen, selbst die Ergänzung "Gurken nach Spreewälder Art" hat die EU verboten. Mit dem markenrechtlichen Schutz - mit der Bestimmung 2081, wie sie ganz offiziell heißt - hat man auch den Krümmungsradius der Spreewälder Gurke gleich mit vorgegeben.

    Mittlerweile exportiert man die Gurke in die ganze Welt. Selbst nach New York und Sydney. Sie ist damit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Südbrandenburg. In Orten mit einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 20 Prozent, gibt hier die Gurke vielen Menschen einen Job, und damit auch Hoffnung, sagt die 47jährige Golßnerin Ute Lehmann:

    " Die Gurke wird hier angebaut, und ausschließlich hier verarbeitet. Das heißt, dass wir hier auch Leute beschäftigen. Das hat mit der Gurke zwar nichts zu tun, tut aber der Region unheimlich gut."

    Der neueste Clou ist die Gurke aus der Dose. Sieht aus wie der Energy-Drink, der Flügel verleihen soll. Darauf setzt man auch mit der Spreewaldgurke und will den "Genuss einer echten, großen, knackigen Spreewaldgurke in einer Pull-off-Dose, die im Stil des jungen Zeitgeistes gestaltet ist". So steht es zumindest in der Produktbeschreibung. Damit soll die Banane des Ostens jetzt ihren Weg durch die Clubs der Welt antreten. Aber ob das auch eine Erfolgsgeschichte wird und die Gurke die neue und gesunde Vitamindroge wird, das bleibt abzuwarten.