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Gurlitt-Kunstfund
Stötzel: Rückgaberecht bei Raubkunst muss angepasst werden

Es könne nicht sein, dass man vom Goodwill einer Einrichtung oder von Privatleuten abhänge, wenn es um die Rückgabe von Raubkunst oder auch enteigneten Kunstwerken ginge, sagt der Anwalt Markus Stötzel. Deutschland müsse ein praktikables Kunstrückgaberecht einführen.

19.11.2013
    Michael Köhler: Der Fall des Münchner Kunstfundes und das Erbe des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, sie haben auch eine Debatte um Rückgabe und Verjährung im Kunstbereich eröffnet. Der Schriftsteller Rafael Seligmann sagte heute Morgen in diesem Programm:
    O-Ton Rafael Seligmann: "Der Vater, Hildebrand Gurlitt, hat nach dem Krieg erklärt, die Bilder und die Gemälde, die Kunstgegenstände wären vernichtet worden, und damit konnte ja praktisch die Verjährung gar nicht greifen. Also insofern kann man die Bilder zurückfordern."
    Köhler: Das meint Rafael Seligmann, der Schriftsteller. - Die Erben des Galeristen und jüdischen Kunsthändlers Adolf Flechtheim, sie wollen nun Bewegung im Fall des Münchner Kunstfundes. Der 80-jährige Cornelius Gurlitt, Sohn des NS-Kunsthändlers Hildebrand, verwahrte das Erbe seines Vaters, eine Sammlung von rund 1400 Gemälden und Blättern. Für Aufsehen sorgt nun die Mitteilung im "Spiegel" vom Anfang der Woche, in der Gurlitt sagt, er gebe freiwillig nichts zurück, die Bilder seien sein Eigentum. Nach bisheriger Einschätzung ist das aufgrund von Verjährung auch in der Tat so. Eine Auffassung, die Rechtsanwalt Markus Stötzel, einer der Sprecher der Erben, nicht teilt. Ihn habe ich gefragt: Was wünschen Sie sich, was fordern Sie?
    Markus Stötzel: Angesichts dessen – als Jurist bin ich geneigt zu sagen, das kommt darauf an. Die Frage, ob Herr Gurlitt sich tatsächlich hier darauf zurückziehen kann zu sagen, er ist der rechtmäßige Eigentümer dieser Sammlung, der Sammlung seines Vaters, dass er sich keinen Ansprüchen ausgesetzt sieht, weder moralisch, noch rechtlich, das halte ich für etwas fragwürdig. Es gibt durchaus vor dem Hintergrund, dass sein Vater offensichtlich in den 50er-Jahren schlicht gelogen hat, was den Verbleib der Sammlung angeht, möglicherweise durchaus Ansätze für rechtliche Ansprüche. Was aber das Problem hier ist: Der Fall Gurlitt ist exemplarisch, zeigt, dass wir es mit sehr großen Unzulänglichkeiten, Versäumnissen in der Vergangenheit zu tun haben. Das heißt, insbesondere 15 Jahre nach der Washingtoner Erklärung, 14 Jahre nach der gemeinsamen Erklärung: Wo stehen wir heute, was das Thema Restitution angeht? Dort gibt es einiges nachzubessern.
    Köhler: Sie räumen ja selber ein, dass die Chance, die Werke zurückzubekommen, gering sei, da es keine gesetzliche Regelung gibt. Erwarten Sie sich in dieser Hinsicht Nachbesserung? Was erwarten Sie vom Gesetzgeber?
    Stötzel: Was die heutige Situation der Restitution in Deutschland anbelangt, so befinden wir uns auf dem Boden von soft law, wir befinden uns im Bereich ethisch-moralischer Ansprüche, die aber nicht justiziabel sind. Was einfach zeigt – und die Fälle, die in den letzten Jahren streitig geworden sind, die an die Öffentlichkeit gelangt sind, zeigen das sehr deutlich, es bedarf bei uns einer Nachbesserung, es bedarf bei uns eines Gesetzes. Wir haben eine Limbach-Kommission, die nicht einseitig angerufen werden kann, die sehr gut funktioniert, die sich nach Kräften müht, auf der anderen Seite in vielen Fällen, ob das kommunale Museen sind, ob das Ländermuseen sind, ob das der Bund selbst ist, der auf Sammlungen sitzt, Göring-Sammlungen, Hitler-Sammlungen, Exponate besitzt, die schlicht und einfach den Gang zur Limbach-Kommission verweigern. Damit sind Fälle letztlich von einer Überprüfung, von einer fairen, gerechten Behandlung abgeschnitten. Das alles ruft nach einer Neuorganisation der gesamten Restitutionspraxis hier in Deutschland.
    Neuorganisation der gesamten Restitutionspraxis notwendig
    Köhler: Herr Stötzel, aber sind Sie nicht selber gutes Beispiel dafür, dass es auch ohne geht? Sie sind ja selber in den Genuss der Früchte des von Ihnen eben erwähnten Washingtoner Abkommens gekommen, vor drei Jahren, wenn ich es richtig weiß, als Sie von der bayerischen Staatsgemäldesammlung als Rechtevertreter der lebenden Tochter des jüdischen Kunsthändlers Liebmann Mayer, ich glaube, vier bedeutende Bilder zurückbekommen haben. Also das funktioniert doch.
    Stötzel: Es funktioniert dann, wenn eine Einrichtung, dann, wenn die öffentliche Hand es will. Aber Hintergrund ist eine Goodwill-Entscheidung in vielen Fällen und die bayerischen Staatsgemäldesammlungen sind leider auch ein Negativbeispiel. In anderen Fällen verweigert man sich schlicht und einfach der Befassung mit Fällen. Man verweigert den Gang zur Limbach-Kommission. All dies ist äußerst unbefriedigend für viele Familien, für viele Anspruchsteller, die zurecht erwarten, je mehr Zeit ins Land geht, dass Lösungen herbeigeführt werden. Solange man vom Goodwill einer Einrichtung abhängt, das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Es bedarf – und andere Länder zeigen, dass es funktioniert - in Österreich gibt es das Kunstrückgabegesetz -, zeigen, dass das praktikabel ist.
    Köhler: Verstehe ich Sie richtig oder fühlen Sie sich richtig wiedergegeben, wenn ich sage, Ihnen reicht die sogenannte Handreichung der Länder zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung nicht aus? Sie möchten das auch auf private Eigentümer ausgedehnt wissen und wünschen sich eine gesetzliche Nachbesserung, ähnlich wie Mitte der 60er-Jahre es auch mal eine Verjährungsdebatte in Deutschland gab?
    Stötzel: Ich glaube, hier muss man unterscheiden. In erster Linie die Forderung - und das ist keine Forderung, die ich alleine erhebe, sondern da gibt es durchaus sehr viele, die in den letzten Jahren auch durchaus das Thema diskutiert haben -, in erster Linie wäre es hier sinnvoll, wenn derjenige, der sich doch diesen internationalen Abkommen verpflichtet fühlt, das ist die öffentliche Hand, hier mit gutem Beispiel vorangeht.
    Das heißt, wir brauchen eine verpflichtende Grundlage, eine gesetzliche Grundlage für die öffentliche Hand, justiziable, faire, transparente Entscheidungen, die im Zweifel auch vor Gericht einer Überprüfung standhalten. Das wäre ein erster Schritt. Inwieweit Private – und das ist ein sehr schwieriges Kapitel natürlich – heutzutage da noch mit eingebunden werden können, ist in der Tat eine Herausforderung, aber auch hier kann man, Stichwort Verjährungsregelungen, sicherlich von Gesetzgeberseite etwas bewegen.
    Köhler: Sie wünschen sich eine Angleichung etwa wie an das von Ihnen eingangs erwähnte österreichische oder auch englische, französische Recht, niederländisches auch?
    Stötzel: Ja, durchaus – durchaus.
    Köhler: Das sagt Markus Stötzel, Erbenanwalt. Er ruft zur gesetzlichen Neuorganisation der Raubkunst-Rückgaberegelung auf.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.