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Gut für die Ohren - schlecht für den Kopf

Für Berlioz' "Trojaner" bräuchte es einen Regisseur, der die Geschichte mit psychologischem Feingefühl zu erzählen wüsste. Den hat man in Berlin leider nicht. So wurde denn der neue Generalmusikdirektor Donald Runnicles für die Musik umjubelt.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Diese Oper ist so etwas wie ein weißer Elefant: wegen der enormen Anforderungen selten auf den Spielplänen. Dazu in den Maßen überbordend und nicht unbedingt ein dramaturgischer Glücksfall.

    Der neue Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, Donald Runnicles, hatte sich Hector Berlioz' "Les Troyens" als Einstands-Produktion gewünscht. Und er ist auch der viel beklatschte Star des fünfstündigen Abends.

    Umsichtig leitet er die weitflächig angelegte Partitur mit ihren vielen marschartigen aber auch liedhaften Partien, und selbst wenn die Koordination mit den Chormassen auf der Bühne nicht immer ganz klappte.

    In seinen fünfaktigen "Trojanern" erzählt Berlioz die alte Geschichte des Vergil aus dem zweiten und vierten Buch der "Aeneis" vom Ende des Trojanischen Kriegs und der von den Göttern befohlenen Flucht des Aeneas nach Italien.

    Dort soll er das neue Troja, Rom, gründen, wobei es ihn an die Küste Nordafrikas verschlägt und er bei Dido, der Königin des auch eben erst gegründeten Karthago, fast hängen bleibt.

    Berlioz konzipierte diese eigentlich auf Napoleon gemünzte Oper als klassizistisches Gegenmodell zu Wagners Musikdramen, episch ausufernd und deswegen meist stark gekürzt, wenn überhaupt auf die Bühne gebracht.

    In jedem Fall bräuchte es dafür einen Regisseur, der die ins Oratorische tendierende Geschichte mit psychologischem Feingefühl zu erzählen wüsste. Den hat man in Berlin leider nicht.

    David Pountney, dem Generalmusikdirektor Runnicles sich anvertraute, ist eher ein Mann fürs Monumentale und Grobe. Und am Ende ernten er und sein Team auch einen wohl verdienten Sturm von Buhs beim Publikum.

    Den ersten Teil der Oper, der das Ende des Trojanischen Kriegs zeigt, lässt Pountneys Bühnenbildner Johan Engels in einem rostbraunen fast leeren Raum spielen. In einer Mulde vorn links strickt Kassandra an einem Pferdekopf, rechts ist das Grab des Hektor.

    Wenn die Frauen am Ende den Freitod wählen, um den Griechen nicht in die Hände zu fallen, wird ein Gitterrost aufgerichtet wie das MGM-Signet mit Kassandra als dem brüllenden Löwen in der Mitte.

    Im zweiten Teil bei Dido steckt Kostümbildnerin Marie-Jeanne Lecca, die die Trojaner in dicke Militärmäntel kleidete, als läge Troja am Nordpol – die Karthager im zweiten Teil erscheinen in weiß-gelben Kaftanen. Im grünen Turban sitzen sie auf gleichfarbigen Kissen.

    Die Begegnung von Dido und Aeneas im Wald, den berühmtesten Teil der Oper, durfte Renato Zanella als ein mann-frau-kräftemessendes Vorspiel choreografieren. Für ihren Liebesakt schweben die Beiden aneinander vorbei auf der mondblauen Bühne in metallenen Reifen. Die muten allerdings eher wie die Markenzeichen von Toyota an – alles ist möglich.

    Didos Freitod am Schluss, nach der Abreise des Aeneas, blendet zurück in den Freitod der Kassandra. Immerhin entdeckt man da die Winzigkeit einer Idee in all dem kunstgewerblichen Leerlauf, der einem sonst geboten wird.

    Die Sänger allerdings bewältigen ihre teils mörderischen Partien glänzend, zumal Petra Lang als Kassandra mit kernigem Sopran, Béatrice Uria-Monzon mit glockigem Mezzo und Ian Storey als Aeneas mit heldischem Tenor können beeindrucken.

    Seit dreißig Jahren stand das Projekt "Trojaner" immer wieder auf der Wunschliste der Intendanten der Deutschen Oper in Berlin. Schade, dass nun daraus keine neue Musterinszenierung wurde.
    An die von Ruth Berghaus mit Michael Gielen am Pult und Hans Dieter Schaal als Bühnenbildner 1982 in Frankfurt darf man hier nur mit Didonischem Schmerz sich erinnern.

    Infos unter:

    Deutsche Oper Berlin