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Gut genährt in den Tod

Paläobotanik. - Ötzi, der bekannte Gletschermann aus den Ötztaler Alpen, stieg vor rund 5500 Jahren im Frühling durch Hopfenbuchenwälder zum Similaungletscher hoch, wo er getötet wurde. Zuvor hatte er gut gegessen, unter anderem Brot. Diese Informationen haben Paläobotaniker aus dem Darminhalt der Mumie herausgelesen und auf dem 17. Internationalen Botanikerkongreß in Wien vorgestellt.

Von Michael Lange |
    5500 Jahre lang Minustemperaturen im Gletscher haben das Innere von Ötzis Darm bestens konserviert. Für den Laien sehen die steinzeitlichen Speisereste zwar aus, wie vertrocknete Krümel. Für einen Paläobotaniker, wie Klaus Oeggl vom Institut für Botanik der Universität Innsbruck, stecken diese Krümel jedoch voller Informationen.

    "Dieser Darminhalt einer über 5 000 Jahre alten Leiche sieht sehr gut aus."

    Der Blick durch das Mikroskop verrät dem Wissenschaftler zum Beispiel, was Ötzi zuletzt gegessen hat. Gehungert hat er jedenfalls nicht, bevor er starb. Oeggl:

    "Da wissen wir, dass er höchstwahrscheinlich ein Brot gegessen hat, das aus Einkorn, einem ursprünglichen Getreide, hergestellt worden ist. Zusätzlich andere Pflanzenteile in einer Art von Gemüse, aber auch Fleisch, das er gegessen hat."

    Neben biologischen Überresten, fanden die Forscher im Darm auch Mineralien: Winzige Steine, die als Abrieb der Mahlsteine nach dem Mahlen des Getreides im Brot zurückblieben. Sie sind wahrscheinlich die Ursache für die damals üblichen schlechten Zähne. Auch die abwechslungsreich geformten Mineralpanzer von Kieselalgen haben die Jahrtausende im tiefgefroren Darm gut überstanden. Indem sie die Algenarten bestimmten und mit Ablagerungen aus verschiedenen Regionen verglichen, konnten die Paläobotaniker rekonstruieren, wo sich Ötzi vor seinem Tod aufgehalten hat. Oeggl:

    "Wir können über den Eismann sagen aufgrund unserer Analysen, dass er etwa zwölf Stunden vor seinem Tod südlich des Alpenhauptkammes war. Er muss sich in etwa im Bereich des Schnalstales aufgehalten haben, kann sich aber auch im Vintschtal aufgehalten haben."

    Ötzi war also noch nicht lange in den Bergen unterwegs. Er war gerade erst aus dem Tal aufgestiegen. Und noch etwas verraten die vertrockneten Krümel: Es war Frühling als Ötzi starb. Er wurde also nicht von einem plötzlichen Wintereinbruch überrascht. Das schließt Klaus Oeggl aus dem Blütenstaub der Hopfenbuche, den er im Darm fand. Die Zellstruktur des Pollens war vollständig erhalten. Oeggl:

    "Wenn es sich erhalten hat, wie beim Eismann, dann ist es so, dass er diesen Blütenstaub unmittelbar nach dem Freiwerden aus der Blüte aufgenommen haben muss. Und die Hopfenbuche, die blüht von Februar bis Mai in diesem Gebiet, und das ist das Frühjahr."

    Aber nicht nur neue Informationen über die Person "Ötzi" und seine letzten Stunden liefert der Darminhalt. Viel wichtiger für die Wissenschaftler ist die Einordnung der Ergebnisse in den geschichtlichen Zusammenhang. Die Alpen waren damals kaum besiedelt. Ötzi gehörte zu den ersten, die sich in das unwirtliche Gebirge vorwagten. Oeggl:
    "Bei diesen vergleichenden Untersuchungen stellt sich heraus, dass der Eismann viel größere und stärkere Beziehungen hat mit dem östlichen Alpenvorland. Also dem Bereich von Oberösterreich, Wiener Becken, beziehungsweise mit dem südlichen Alpenvorland, Slowenien oder Po-Ebene, als mit dem westlichen Bodenseegebiet, beziehungsweise dem Schweizer Alpenvorland."

    Was dieser mutige Gebirgswanderer aus dem südöstlichen Alpenvorland damals auf den Bergen suchte, darüber darf weiter spekuliert werden. Sein Darminhalt wird es wohl nicht verraten.