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Gut Wetter für den Lissabon-Vertrag

Das irische Nein zum Lissabon-Vertrag soll durch ein zweites Referendum im Herbst in ein Ja verwandelt werden. Die Chancen, dass die Iren dem EU-Vertrag diesmal zustimmen, stehen nicht schlecht. Der Grund: die Wirtschaftskrise.

Von Martin Zagatta | 18.06.2009
    Bushaltestelle "Four Courts" vor dem Obersten Gerichtshof im Zentrum von Dublin: Über dem Justizgebäude mit seiner riesigen Kupferkuppel weht neben der irischen Fahne auch die Europaflagge, heute fast schon ein Fingerzeig.

    Ein starkes, vereinigtes Europa könne ihnen in dieser Situation ganz sicher helfen; die Iren hätten schon beim ersten Referendum mit Ja stimmen sollen; mit Europa seien sie besser dran, sind sich Passanten einig: ein Stimmungsumschwung, der von Meinungsforschern bestätigt wird.

    Haben die Iren den Lissabon-Vertrag im vergangenen Jahr per Referendum noch gestoppt, soll inzwischen eine Mehrheit bereit sein, das umstrittene Dokument nun doch zu billigen - bei dem Herbst geplanten zweiten Referendum.

    "Ja wir müssen zustimmen."

    "Wir hätten schon beim ersten Mal mit Ja stimmen sollen."

    "Es wird wohl ein Ja werden - nur deshalb, weil wir jetzt in einer Rezession sind und uns von Europa Hilfe erwarten."

    Das Umdenken wird tatsächlich auf die beispiellose Wirtschaftskrise zurückgeführt, die den Iren die heftigste Rezession aller Industrieländer eingebracht hat. Aus dem keltischen Tiger ist innerhalb kürzester Zeit ein Staat geworden, der auf 14 Prozent Arbeitslosigkeit zusteuert und sich am Rande des Bankrotts bewegt.

    "Uns von Europa zu isolieren, ist sehr gefährlich. Und weil der Wirtschaftsabschwung das klar gemacht hat, kommt es zu diesen bemerkenswerten Veränderungen in den Umfragen, zur Zustimmung zum EU-Vertrag","

    ... meint der Europaminister Dick Roche. Das Regierungslager hat die Europawahl zwar klar verloren. Den Plänen, im Herbst ein zweites Referendum anzusetzen, hat das aber keinen Abbruch getan. Die größeren Oppositionsparteien, die die Wahl gewonnen haben, befürworten den Lissabon-Vertrag ebenfalls. Und die Sinn Fein, die einzige im irischen Parlament vertretene Partei, die den Vertrag ablehnt, hat ihren einzigen Sitz im Europaparlament eingebüßt. Hinzu kommt, dass Declan Ganley, der Wortführer der Nein-Kampagne mit seiner Libertas-Bewegung den Sprung nach Straßburg verpasst hat und sich nun aus der Politik zurückziehen will: Er sei ein Demokrat und könne ein Nein akzeptieren.

    Der Weg zu einem zweiten Referendum - trotz des Neins der Bevölkerung - ist über einen Parlamentsausschuss geebnet worden, in dem nur zwei Vertragsgegner vertreten waren.

    Nun soll Ende September oder Anfang Oktober noch einmal abgestimmt werden, wenn die EU jetzt, wie weitgehend schon abgesprochen, den Iren in Zusatzvereinbarungen einen ständigen EU-Kommissar garantiert und auch, dass sie nicht an der irischen Neutralität, der strengen Abtreibungsregelung und der Steuerhoheit rüttelt. Diese Zusicherungen, von der irischen Regierung als Erfolg gefeiert, hält Padraig Mac Lochlainn von der Sinn Fein allerdings nur für ein Ablenkungsmanöver. Und ein Ja bei einem zweiten Referendum sei noch keineswegs sicher.

    Bis diese Debatte geführt wird, bis beiden Seiten gleichermaßen gehört werden, könne man keine Meinungsumfrage ernst nehmen, so der Sinn-Fein-Politiker. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Iren auch das zweite Referendum dazu nutzen, ihrer Regierung das Misstrauen auszusprechen, Unmut auszudrücken, so wie das vereinzelt in Dublin auch schon zu hören ist.

    ""Mir gefällt einfach nicht, was die Regierung macht. Um ehrlich zu sein: Ich traue denen nicht. Ich werde wieder mit Nein stimmen, so wie ich das beim ersten Mal getan habe."

    Laut einer Erhebung der "Irish Times" sind immerhin 86 Prozent der Bevölkerung mit der Regierung unzufrieden. Ein zweites Nein würde Premierminister Brian Cowen kaum überleben - und die Aussicht, den unbeliebten Regierungschef loszuwerden, könnte dann so manchen Iren dazu verleiten, doch noch einmal gegen den Lissabon-Vertrag zu stimmen.