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Gut zugehört

Neurologie. - Eine lebhafte Party bedeutet Schwerstarbeit fürs Gehör: Es muss aus dem Durcheinander vieler Stimmen die des Gesprächspartners herausfinden und darf sich nicht ablenken lassen. Was das Gehirn beim genauen Hinhören im akustischen Getümmel leistet, hat ein Team deutscher und amerikanischer Neurologen untersucht.

Von Michael Gessat | 18.06.2008
    Das digitale Kompressionsverfahren MP3 macht aus der Not eine Tugend: Es nutzt die Unzulänglichkeiten des menschlichen Gehörs. Und lässt einfach genau die Signalanteile weg, die es eh nicht auf den Weg über den Hörnerv zum Gehirn schaffen würden. Schon bei der Umsetzung von Schallwellen in elektrische Nervenimpulse in der Cochlea, der Hörschnecke im Innenohr, bleibt nämlich regelmäßig ein Teil der Information auf der Strecke, erläutert Alexander Gutschalk von der Universität Heidelberg:

    " Die Frequenzauflösung, die wir in der Cochlea selbst haben, also im ersten neuronalen Verarbeitungsschritt von Höreindrücken, die ist limitiert insofern, als eine bestimmte Breite von Frequenzen sozusagen von den gleichen Nervenzellen verarbeitet werden. Wenn man also zwei Töne hat, die im gleichen Frequenzband in der Cochlea verarbeitet werden, dann können sich die auslöschen. "

    Ein Informationsverlust, der reproduzierbar und damit auch vorhersagbar ist, zum Beispiel eben für den MP3-Algorithmus.

    Aber es gibt offenbar noch eine andere Form der Signalauslöschung beim Hören. Und die ist nicht reproduzierbar und vorhersagbar, sondern individuell und situationsabhängig. Genau wie bei einem Kipp- oder Vexierbild, bei dem man in einem Augenblick eine Vase und im nächsten ein Gesicht erkennt, kann auch ein exakt gleicher akustischer Reiz vom Ohr völlig unterschiedlich wahrgenommen werden; so, als hätte man einen Schalter umgelegt. Um diesem Phänomen genauer auf die Spur zu kommen, lud Gutschalk Testpersonen ins Labor. Und deren Aufgabe lautete: Eine Taste drücken, wenn sie ein regelmäßiges Piepsen wahrgenommen hatten. Ganz trivial war das allerdings nicht:

    Für alle, die jetzt nur Chaos gehört haben: Die eingebaute Unzulänglichkeit des Ohres, die vorhersagbare Auslöschung ist nicht schuld. Das störende Tongetümmel hält nämlich zur Frequenz des regelmäßigen Signals einen gebührenden Abstand. Hier einmal als Hilfestellung das unmaskierte Piepsen im Soloauftritt:

    Und jetzt müsste es eigentlich auch im Tohuwabohu besser zu entdecken sein:

    Gutschalk gab seinen Versuchspersonen eine ganze Reihe solcher kurzen Sequenzen zu hören. Mal steckte das Piepsen gar nicht drin, mal bekamen die Teilnehmer Hilfen, mal wurden sie auf einem Ohr mit anderen Geräuschen abgelenkt. Und bei all dem saßen sie unter einem Gerät, das wie eine überdimensionierte Trockenhaube beim Friseur aussieht: Ein solcher Magnet-Enzephalograph registriert die Nervenimpulse im Gehirn, genauer gesagt die dadurch entstehenden Magnetfelder. Und zwar mit einer zeitlichen Auflösung im Millisekundenbereich. Die Neurologen konnten also analysieren, welcher einzelne Ton zu welcher Aktivität im Hörzentrum, dem sogenannten auditiven Kortex geführt hatte. Bei den versteckten regelmäßigen Piepstönen gab es da zwei Varianten:

    " Wir haben einmal die Aktivierung im primären Hörkortex, die von den Tönen immer ausgelöst wird, selbst wenn die Töne also nicht wahrgenommen werden, wird der Hörkortex aktiviert von denen, zumindest der primäre Hörkortex; und wir haben zu einem späteren Zeitpunkt eine Aktivierung, die nur da ist, wenn Töne auch bewusst wahrgenommen werden. "

    Gerade bei einem komplexen akustischen Reiz wird die Information offenbar nicht mehr vollständig vom primären zum sekundären Hörkortex durchgereicht. Wo genau der entscheidende Zwischenschritt stattfindet, der dann erst zur Bewusstheit des Gehörten führt, das kann Alexander Gutschalk noch nicht mit Gewissheit sagen.

    Aber die mehrstufige Konstruktion macht Sinn: Das Gehirn hat so zumindest die Chance, seine begrenzten Kapazitäten zu fokussieren. Damit wir nicht rettungslos im akustischen Getümmel untergehen.