Freitag, 29. März 2024

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"Gute Jungs - böse Jungs"

Glen Mills ist in aller erster Linie eine Schule, der Unterschied zu anderen Schulen ist der, zum einen man lebt auf dem Gelände für eine sehr begrenzte Zeit, der nächste Unterschied ist, alle Schüler dort haben irgendwann mal irgendwelche Probleme bereitet, d.h. nicht notwendigerweise, dass sie kriminell geworden sein müssen, aber es sind im wesentlichen auch Schüler, die at risk waren, Schulschwänzer, Schulverweigerer, wo’s dann langsam anfing interessant zu werden, d.h wo man große Befürchtungen hatte, hier könnte ne kriminelle Karriere hinten dran gehängt werden.

Von Claudia Heissenberg | 28.02.2004
    Petra Guder ist Sozialarbeiterin, doch ihre Stellung bei einem deutschen Jugendamt hat sie schon vor einigen Jahren aufgegeben. Heute pendelt die Vorstandsvorsitzende der Glen Mills Academie Deutschland e.V. zwischen Hannover und Amerika. Gut 40 Problemjugendliche hat sie seit 1995 in die USA begleitet. In Deutschland leitet sie die Auswahlverfahren für neue Bewerber. Denn längst nicht jeder ist für das amerikanische Strafinternat geeignet. Die Besserungsanstalt ist spezialisiert auf Bandenmitglieder, wie den heute 20-jährigen Matthias.

    Also ich würd mal sagen, ich war ein Mitläufer, was andere gemacht haben, musste ich auch machen, man war einfach cool, weil man wollte das machen, ich weiß nicht wie ich das beschreiben soll, aber das ist nun mal so. ...Das hat mit 16 angefangen, 15, 16, ist man so langsam reingekommen, mit Zigaretten angefangen, dann war das Wochenende Alkohol, ja und dann hat man mal einen Joint geraucht, dann ging das in der Schule weiter, auf dem Schulhof und dann wurde das einmal die Woche, zweimal die Woche und dann wurde das fast jeden Tag und da konnte man, also ich konnte da zumindest nicht so raus, das hat sich irgendwie so im Alltag eingespielt, man hat immer dasselbe gemacht.

    Matthias stammt aus einem kleinen Dorf in Niedersachsen. Er ist der zweitälteste von vier Geschwistern und das einzige schwarze Schaf in der Familie. In der Schule ist der schüchterne Junge ein Außenseiter; einige Mitschüler hänseln und schlagen ihn. Matthias, der nichts lieber will als dazu zu gehören, schließt sich einer Gang an.

    Ja also wir haben uns immer mit mehreren zusammen getan, haben Leute abgezogen, also so nennen wir das, abgezogen heißt überfallen, und haben denen das Geld geklaut und solche Sachen, Telefone geklaut, Uhren, Schmuck und haben das wieder verkauft um Drogen zu kaufen und so was....Also ich hab damals nicht drüber nachgedacht, wenn ich heute drüber nachdenk, dann denkt man auch schon, was hätte da alles passieren können, den Mann, wir haben einen überfallen, der war schwer verletzt und was hätte da passieren können, wenn der gestorben wäre, seine Frau und Kinder, da denkt man jetzt erst drüber nach, früher habe ich da nicht so drüber nachgedacht, da war mir das eigentlich egal, ja wie soll man sagen, egal auch nicht, aber man hat nicht drüber nachgedacht, was im Nachhinein noch passieren kann, was da noch alles dranhängt, das hat man früher irgendwie nicht so richtig verstanden, also ich zumindest nicht.

    Man denkt auch gar nicht, dass man kriminell ist, man ist da einfach, mit der Zeit wächst da rein, das hat angefangen mit den Ladendiebstählen, mit einfach ganz kleinen Sachen, sich mit Leuten zu prügeln und keiner hat irgendwie was gesagt, weil da war ich noch keine 14, da hat das von der Polizei immer nur geheißen, ja schön, jetzt, wenn du bald 14 bist musst du aber Ruhe geben, weiß nicht, und das hat such immer so gesteigert, einfach die Hemmschwelle, schwere Straftaten zu begehen, war einfach nicht mehr da.

    Tim ist acht Jahre alt, als er das erste Mal in einem Kaufhaus klaut. Zur Schule geht er bald nur noch sporadisch; meist hängt er mit seinen Kumpels auf der Straße rum. Er kann nicht mehr zählen, wie oft er von der Polizei verhaftet wurde. Auf der Wache legt er brav ein Geständnis ab und darf wieder nach Hause. Seine Eltern haben schon lange keinen Zugang mehr zu ihm.

    Na, die haben, na das Übliche, die waren einfach ratlos, wussten nicht, mit der Zeit, wenn man da immer die Sachen macht, kriminelle Sachen, da hat man mit den Eltern auch immer Stress, man kriegt immer Ärger zuhause und man kapselt sich von den Eltern ab, man spricht nicht mehr mit denen. Wenn man nach Hause kommt, setzt man sich in sein Zimmer, schläft, nächsten Morgen geht man wieder los und dann hat sich die Sache, da hat man mit Eltern eigentlich groß nichts mehr zu tun.

    Kurz nach seinem 14. Geburtstag landet Tim nach einem Raubüberfall in Untersuchungshaft. Der Jugendrichter verurteilt ihn zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten. Kaum in Freiheit, trifft er seine alte Clique wieder und alles geht weiter wie zuvor, bis er zum zweiten Mal im Gefängnis landet.

    Wenn man das erste Mal in U-Haft sitzt, ist das so, die erste Zeit habe ich gedacht, boah, ich will hier schnell wieder raus, ich will hier nie wieder hin, aber dann mit der Zeit, auch wenn sich das ein bisschen dumm anhört, in dieser Situation, aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und man hat sich mit der Situation abgefunden, ja ich bin jetzt hier, toll, das ist mein Tagesablauf und dann geht das, mit der Zeit ist das zu normal einfach. ... ja und beim zweiten Mal, da stand keine Bewährung mehr in Aussicht, da war Haftstrafe das einzigste, was mir bevorstand so und da hab ich mir dann gedacht, Glen Mills versuchst du doch lieber noch mal.

    Auch gegen Matthias und seine Gang wird nach einem Raubüberfall ermittelt. Bei der polizeilichen Vernehmung packt er aus. Er hat inzwischen eine Lehre als Maurer begonnen und steht zwei Tage vor der Zwischenprüfung, als er nach Vechta in Untersuchungshaft kommt. Dort lernt Matthias durch die Vermittlung eines Sozialarbeiters Petra Guder kennen.

    Ich hab gedacht, wenn ich jetzt ein Jahr nach Amerika geh, dann seh ich diese ganzen Leute nicht mehr, dann nehme ich erstmal Abstand von denen, weil wenn man sich ein Jahr nicht sieht, dann ist das schon ne gewisse...gewisser Abstand, ja....Ich hab mir gedacht, ich weiß nicht, wie man das jetzt beschreiben soll, ich hab einfach gedacht, geh ich nach Amerika, dann bin ich ein Jahr weg, dann hab ich mit den ganzen Leuten nichts zu tun, ....ich hatte echt die Schnauze voll, das war echt zuviel.


    Glen Mills sieht aus wie eine typische High-School aus amerikanischen Jugendserien: Ein imposantes Backsteinhaus mit Glockenturm und viktorianischen Erkern in einer weitläufigen Parkanlage mit akkurat gestutztem Rasen. "Heimat der Champions" steht über der Eingangstür, davor weht die amerikanische Flagge. Rund 900 Jugendliche leben in dem Privatinternat in der Nähe von Philadelphia im US-Staat Pennsylvania. 60 bis 80 Jungen wohnen in einem Gebäude, aufgeteilt auf vier Etagen.

    Also zu Anfang ist man abends, wenn man reinkommt, das nennt sich townhouse, das ist ein Gruppentreffen, da sitzt dann die ganze Gruppe zusammen mit den Betreuern und dann stellt man sich vor vor der Gruppe, stellt man sich hin, sagt wo man herkommt, wie man heißt und dann steht jede Person in der Gruppe einzeln auf und sagt einem dann ne Norm....z.B. Ne Norm ist keine Regel, eine Regel kann gebrochen werden, eine Norm ist....erwartetes Verhalten, also das ist nicht, das musst du jetzt machen, aber so solltest du es machen, wenn du es so und so haben willst....Weiter war z.B., dass man sich das T-Shirt immer reinstecken musste als Gentleman, dann dass man sich als Gentleman allgemein verhalten musste, dass wenn man Besucher gesehen hat, die immer grüßen mit "Hi, how you doing", also wie geht’s Ihnen? Und wenn Autos gefahren sind, dass man winken musste, ... andere Leute z.B. durfte man nicht anfassen, also das war ganz streng verboten, weil da die Gefahr läuft, dass sich zwei streiten und wenn die sich schlagen und man kennt das ja selber draußen in der Schule mit nem freundlichen Klapser "Ey, wie geht’s", fängt’s an, der andere dreht sich um und haut jemanden ne Faust rein, so und darum war das auch streng verboten, sich anzufassen.

    Man darf keine anderen Leute anfassen, weil man könnte Drogen weitergeben oder Zigaretten und sowas, das ist alles nicht erlaubt, Drogen, Alkohol, Zigaretten, ist da nicht erlaubt, also da muss man schon ein Jahr drauf verzichten können, und das ist auch nicht so schwer. Deswegen darf man andere Leute nicht anfassen und ich hab’s erst nicht verstanden und andere Leute immer angefasst und auffe Schulter getickt, hier kannste mir mal helfen und solche Sachen, ja und das darf man eigentlich nicht.

    Die vielen Verhaltensregeln sind für Tim und Matthias in den ersten Wochen gewöhnungsbedürftig. Normen gibt es in Glen Mills überall: In der Schule, auf dem Campus, in der Cafeteria. Lektion Nummer 1: Immer positiv sein.

    Ja z.B. das gibt’s in Glen Mills auch nicht, negatives Reden, z.B. wie knacke ich ein Auto auf, kannste mir das mal erklären, über sowas redet man nicht, wenn man über sowas redet, dann, das macht man einfach nicht, so und inner Justizvollzuganstalt ist es halt ganz normal, da bringt der eine dem anderen das und das bei und das ist da eben nicht so. Also ich finde, man hat auch irgendwie gar keine Zeit sich mit Leuten zu unterhalten oder großartig mit denen was zu machen, also wenn man was erreichen will, wenn man Schulabschluss machen will, wenn man Sport machen will und solche Sachen,...also ich war den ganzen Tag beschäftigt, freiwillig beschäftigt, also ich musste jetzt nicht irgendwie, ja wie die meisten Leute erzählen, ja Glen Mills, da kriegt jeder einen Anzug mit einem Strichcode hinten drauf und ne Eisenkugel am Fuß, so war’s natürlich nicht.

    ...und das ist einfach, weiß ich nicht die Ruhe alleine da, keiner war am Rennen gar nicht, keiner am Schreien, einfach die Ruhe kam rüber, das ist schwer zu sagen, jeder war da entspannt kann man sagen.... Auf dem Gelände durfte man nicht rennen, also in Sporthallen oder auf Sportplätzen durfte man rennen, aber auf dem Campus auf den Wegen durfte man nicht rennen, weil die Schule hat halt drauf gesetzt, dass die keine Zäune baut, dass die die Schüler nicht einsperren wollen, aber im gegenrum, also andersrum müssen die sich auch irgendwie absichern, dass da eventuelle Blindgänger sag ich mal nicht wirklich versuchen abzuhauen, und da haben die dann halt die Norm erlassen, dass da auf dem Schulhof nicht gerannt wird, damit man das dann schneller erkennen kann, falls einer versucht.

    In Glen Mills gibt es weder Zellen, noch Zäune oder Wachpersonal. Die Jugendlichen erziehen und kontrollieren sich gegenseitig. "Gruppendruck" lautet das Zauberwort. Der Grundgedanke ist einfach: Jeder Mensch will einer Gruppe angehören und wird sich den Regeln, die in dieser Gruppe herrschen, anpassen. In Glen Mills werden die schlechten Normen, die der Jugendliche in seiner Clique oder Gang befolgte, durch positive Normen ersetzt.

    In allererster Linie ist Glen Mills die Schule der Schüler, die Schüler machen es selbst, weil wenn Sie davon ausgehen, dass es sich um Jugendliche handelt, die keinen Bock mehr hatten auf Erwachsenenwelt, die keine Lust mehr hatten auf Lehrer, keine Lust mehr auf das Gesülze von Erziehern, keine Lust auf irgendeine Couch irgendeines Psychologen, weil sie das alles blöd finden und meinen, die Erwachsenen sind sowieso entweder hinterm Mond oder schon völlig antiquiert und die sich vorrangig daran ausrichten, was in ihrer Clique, im Freundeskreis cool und angesagt ist, wenn Sie diese Gruppenkonstellation ändern, weg von der Negativorientierung, nach dem Motto "Schule ist uncool" und rumhängen ist angesagt, hin zu einer sozialen Gruppe, wie es in Glen Mills dominierend der Fall ist von Jugendlichen, die alle wissen, okay, das liegt hinter uns, jetzt wollen wir mal sehen, was wir noch alles machen können, ....dann orientiert man sich daran, dass ist eigentlich das Geheimnis, es sind nicht die Erwachsenen, die die Knöpfe drücken und schalten und walten, sondern es sind in aller erster Linie die Jugendlichen unter einander.

    In Glen Mills glaubt man an das Gute im Menschen. Jugendliche, die auf die schiefe Bahn geraten sind, haben keinen schlechten Charakter, sie hatten nur schlechten Umgang. In der Gruppe lernen sie nun, was richtig ist. So werden aus bösen Jungs gute Jungs gemacht.

    Da war schon ein Druck dahinter, aber kein Druck von irgendwelchen Betreuern, von irgendwelchen Leuten, die einem zu sagen hatten, sondern alleine von der Gruppe her.... auch nicht wenn das offensichtlich Druck ist, so von wegen, boah was hast du gemacht, oder so man kriegt halt, man merkt Abweisung dann halt von den Leuten und dadurch lernt man das, den sozialen Umgang... Das ist wieder das Gefühl, dass jeder das schon macht und jeder, wenn man sich mit jemanden unterhalten hat, hat jeder gesagt, das ist Schwachsinn die Normen, jeder hat das gesagt, aber jeder hat das trotzdem gemacht einfach, weil auch die meisten, die da waren, die wollten auch, also Glen Mills war für die meisten dann schon die letzte Chance, auch für die Amerikaner, da kamen welche, die hatten schon Bewährung und einfach das Wollen ist da, wenn man dieses Pfff, wenn man auf den Campus kommt, das ist das, weil die Welle, die zieht einen komplett mit, das ist schwer zu sagen.

    Also wie soll man sagen, ist klar man kann nicht hingehen und sagen, so, jetzt will ich ein ganz normaler Mensch werden, man muss schon was dafür tun, also, aber ich denk mal, wenn dir jemand sagt, hier du hast das und das falsch gemacht, einer in meinem Alter, dann denkt man da schon mehr drüber nach als wenn meine Mama mir das erzählen würde, hier du hast das und das falsch gemacht, dann sag ich, erzähl du mir doch mal einen, ich mach doch das was ich will.

    Der Tagesablauf im Strafinternat ist streng geregelt. Er beginnt frühmorgens um halb sieben und endet um 23 Uhr. Leerlauf oder Langeweile gibt es nicht. Man legt Wert auf eine gute Ausbildung und viel Sport. Die Ausstattung der Schule ist vom Feinsten: Videoschnittraum, Computerplätze, Fitnessstudio und ein Schwimmbecken in Olympiamaßen. Solch ein Angebot hatten die Jugendlichen an anderen Schulen nie und werden es wohl auch später nicht wieder haben. Wettbewerb und Leistung werden in Glen Mills groß geschrieben.

    Also ich finde auch so, man hat sich mit seinem Zimmernachbarn, man hat sich immer so gegenseitig hochgeschaukelt, so wie’s früher ins Negative war, war’s da ins Positive, so ja, ich will jetzt das noch machen, ich will noch meinen Schulabschluss machen, sagt er, ja ich will noch mein Zertifikat in Bautischler kriegen und ich will ins Footballteam, ja ich hab’s aber nicht geschafft, solche Sachen, man pusht sich irgendwie gegenseitig hoch ins Positive, nicht mehr ins Negative. Ich weiß nicht, wie’s kommt, aber das ist so.

    Brave Jungs, die nicht aufmucken und die Normen befolgen, werden dafür nach zwei Monaten mit Privilegien belohnt und zum "Bull" ernannt.

    Bulls ist die Schülervertretung da, also zu Anfang, wenn man da hinkommt, ist man ein non-bull, also ein Nicht-Bulle, kein Mitglied der Schülervertretung und später,....wenn man sich halt weiter entwickelt, wenn man Betreuern und auch seinen Mitschülern zeigt, ich hab’s drauf, ich mach mein Ding hier, dann wird man in den bulls-Club aufgenommen.

    Wer Bulle werden will, muss allerdings zunächst im Beisein eines anderen Bullen 15 Jugendliche freundlich ermahnen, wenn sie eine der Normen missachten. Der Verstoß wird dann in ein Heft eingetragen und vom Übeltäter unterschrieben. "Konfrontieren" heißt das in Glen Mills, und das passiert auf dem Gelände täglich bis zu 20.000 Mal.

    Also man muss eigentlich nur ein Vorbild den anderen gegenüber sein, den anderen versuchen beizubringen, hier wenn du so’nen Quatsch machst, kannst du nicht weiter im Leben kommen, wenn Leute Fehler machen z.B., wenn die jetzt in der Fäkalsprache sprechen, denen zu sagen, hier so geht das nicht, sprech mal vernünftig, dann können ihr euch später auch mit jemanden unterhalten, wenn ihr zum Bewerbungsgespräch geht, dann könnt ihr Euch vernünftig unterhalten und sowas hat man denen halt erzählt und das war’s dann eigentlich, dann hat man seinen Bulls-Titel gekriegt.

    Also als Nicht-Bulle hat man in den meisten Gruppen keine Privilegien, also so z.B. am Wochenende, wenn Freizeit ist und während der Woche gibt’s immer einen Laufpartner, jemand der mit einem rumläuft, also ein Nicht-Bulle, ein Bull und wenn du dann halt der Bull bist, dann kannst du sagen, wo du hin willst, dann muss der andere mit, dann kannst du sagen, ja ich will jetzt nicht Basketball spielen, ich will schwimmen gehen z.B....ja und als bull konnte man halt Billiard spielen, Pizza essen, alles mögliche machen, und das konnte man als Nicht-Bulle halt nicht.

    Kritiker dieses Erziehungsmodells warnen, dass die Jugendlichen in Glen Mills zu Ja-Sagern und Duckmäusern erzogen werden, weil sie vor allem lernen, sich der Macht der Gruppe zu unterwerfen. Anpassung wird zur Überlebensstrategie, Denunziation und wechselseitige Kontrolle zur Pflicht. Petra Guder sieht das anders.

    Ich finde es einen ausgesprochenen Erfolg, wenn ein Jugendlicher, der vorher das Label hatte Schulversager, möglicherweise auch noch kriminell, du wirst niemals, plötzlich zwischen mehreren Lehrstellen auswählen kann. Das sind die Erfolge, das hat ein Jugendlicher davon. Man muss natürlich auch wissen als Jugendlicher, man bekommt nichts geschenkt. Das Konzept lautet sehr deutlich, fördern durch fordern,... d.h. wenn ein Jugendlicher ein Jahr lang,...intensiv an verschiedenen Zielen arbeitet, in allererster Linie soziale Kompetenz, schulische Kompetenz, berufliche Kompetenz, Freizeitverhalten, was kann ich damit eigentlich tun, mit dem Freizeitbereich, hat er danach ein solides Fundament um nachher das was die Gesellschaft in ihn investiert hat, auch wieder zurück zu geben, indem er selber zum ja wenn man’s ganz platt sagt steuerzahlenden Mitglied dieser Gesellschaft wird.

    Trotzdem ist Glen Mills unter deutschen Sozialarbeitern, Pädagogen und Juristen höchst umstritten. Die einen sind begeistert von der Disziplin und den Erfolgsquoten. Andere halten das strenge Normensystem für totalitär und sehen die Methoden, mit denen aus den jungen Schlägern und Räubern brave Steuerzahler gemacht werden, nahe der Gehirnwäsche.

    Es geht nicht ums Umprogrammieren, sondern es geht darum, dass man in einer gleichaltrigen Lerngruppe voneinander, von anderen Vorbildern, von anderen Schülern lernt, welche Verhaltensalternativen man noch hat und dass man lernt, dass es sich lohnt, zur Schule zu gehen, dass man auch noch ein anderes Image sich anschaffen kann als das des bad guys. ....und wenn man ihnen vermittelt, hey, du kannst auch ein positives Selbstwertgefühl entwickeln, du kannst auch in der Schule was, du kannst im Beruf was, vor allen Dingen kanst du auch soziale Kompetenzen erwerben, das ist das Wichtigste, all die anderen Dinge, gute berufliche Leistungen, gute schulische Leistung haben keine Bedeutung, wenn man nicht weiß, wie man sich im Alltagsleben mit anderen Mitmenschen verhält, denn keiner ist alleine auf dieser Welt.

    Für die Sozialarbeiterin, die auch öffentliche Betriebswirtschaft studiert hat, ist Jugendhilfe eine Dienstleistung, die sich lohnen und rechnen muss. Die Kosten für den einjährigen Aufenthalt in den USA liegen bei 143 Euro am Tag, Hin- und Rückflug sind darin bereits enthalten. Zum Vergleich: In Hamburg beträgt der Tagesatz für eine geschlossene Heimunterbringung 250 Euro. Gespart wird in Glen Mills vor allem am Personal. Psychologen und Sozialarbeiter gibt es nicht. Die Hälfte der Mitarbeiter sind Handwerker, auch Profisportler und ehemalige Absolventen der Schule kümmern sich um die Jungs.

    Glen Mills ist nicht ein Konzept, was darauf setzt je mehr Mitarbeiter man hat, desto besser ist die Pädagogik, im Übrigen hat das auch hier in Deutschland nicht funktioniert, denn vor zehn Jahren hat man schon gesagt, wir hätten viel bessere Ergebnisse, wenn wir doch mehr Mitarbeiter hätten, die Mitarbeiter hat’s gegeben, aber wir klagen wieder, wir brauchen mehr Mitarbeiter und dann haben wir bessere Ergebnisse, ich glaube nicht, dass bei Jugendlichen ...dass die sich dadurch verbessern lassen, indem man ein bis drei Erwachsene auf die loslässt.

    Die Erfolgsquoten von Glen Mills geben Petra Guder Recht: Zweidrittel der Absolventen führen nach der Entlassung ein gesetzestreues Leben. In Deutschland liegt die Rückfallquote je nach Einrichtung zwischen 70 und 90 Prozent. Das blendende Ergebnis der amerikanischen Besserungsanstalt liegt aber auch daran, dass Sozialarbeiterin Guder für ihre Schützlinge keine Mühe zuviel ist. Sie besorgt Ausbildungsplätze und hält über Jahre Kontakt. Ebenso trägt die strenge Selektion der Bewerber zum Erfolg bei. Einzelgänger, Opfer von sexuellem Mißbrauch, Heroinabhängige oder Sexualstraftäter zum Beispiel sind in Glen Mills fehl am Platz.

    Wir arbeiten sehr stringent zielgruppenorientiert, was der Schule ab und an den Ruf eingebracht hat, das ist elitär und ihr sucht Euch nur die besten raus, das ist natürlich Quatsch, wenn Sie sich den Kölner Jugendlichen angucken, den wollte kein Mensch in der deutschen Jugendhilfe nur von hinten sehen, also das konterkariert dieses Argument, ....Es gibt keine geeigneten Jungs für Glen Mills, weil das hört sich an wie TÜV und Auto und Plakette und weg, ...wenn wir über ein Jahr Lebenszeit eines jungen Menschen reden, das ist für einen jungen Menschen gewaltig viel Zeit, für uns weniger, aber dann müssen wir überlegen, kann er diese Lebenszeit sinnbringend einsetzen oder nicht, d.h. rechtfertigt der Aufwand die mögliche Wirkung, wir sind keine Hellseher, aber man muss sehr genau gucken, ist Glen Mills der richtige Ort für die Jugendlichen und nicht sind die Jugendlichen die richtigen Jugendlichen für Glen Mills.

    Schon seit längerem gibt es Bestrebungen, auch in Deutschland eine solche Einrichtung aufzubauen. Wann das Vorhaben realisiert wird, steht allerdings in den Sternen. Bis dahin wird Petra Guder weiterhin Jugendliche nach Amerika vermitteln. Für Tim war das Jahr in den USA eine große Hilfe. Der heute 17-jährige, der in Glen Mills den High-School-Abschluss bestand, macht zur Zeit eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann. Auch Matthias hat eine Menge gelernt und sein Leben komplett geändert.

    Also ich finde, Selbstbewusstsein habe ich mehr gekriegt da, mein Selbstbewusstsein finde ich selber ist positiver geworden, früher habe ich nicht nachgedacht, da habe ich gedacht, was mache ich jetzt, hausausfgaben nö, muss man nicht machen und jetzt denke ich doch schon nach, also ich mach jetzt meine Lehre zu Ende, also ich hatte schon die theoretische Prüfung, ich warte nur noch auf die Praktische, früher habe ich nie für Arbeiten geübt, für die Arbeit habe ich doch schon geübt, also früher hat’s mich nicht interessiert, heute interessiert es mich schon, also ich möchte doch schon was werden..... Über solche Sachen mache ich mir jetzt eigentlich mehr Sorgen, nicht mehr um Drogen und sowas, das ist gewesen. Also ich mach mir jetzt schon mehr Sorgen um ne Familie, nen Haus, solche Sachen, um meine Rente, das ist heutzutage auch nicht mehr einfach mit ner Rente, erstmal einen Arbeitsplatz kriegen, das ist um solche Sachen kümmer ich mich eigentlich mehr.

    Zuerst will Matthias seine Mauerrerlehre beenden und sich dann vielleicht noch zum Bauzeichner weiterbilden. Jede Menge Kohle, ein dickes Auto, ein großes Haus, eine tolle Frau - in Glen Mills hatte er deshalb den Spitznamen "Träumer". Heute wirkt der 20-jährige genau wie Tim extrem vernünftig für sein Alter.

    Also ich will jetzt mal sagen, ein Musterschüler bin ich nicht, also nicht dass ich jetzt rumlauf mit Scheitel gekämmt und sowas, ich geh halt auch noch mal auf Tour und trink mal ein Bier, solche Sachen. Aber ich nehm keine Drogen mehr, gar nichts mehr...ich hab einfach keine Lust mehr dazu, das ist mir einfach zu blöd, man hat halt einen Tagesablauf, da kommt man immer wieder rein, so man steht auf, man besorgt sich Drogen, dann hat man kein Geld mehr, dann muss man wieder Leute überfallen, das macht irgendwie keinen Spaß, da kann man sich nichts bei leisten, ich hab jetzt viel mehr Lust, mir was zu kaufen, Klamotten zu kaufen oder so was, das macht viel mehr Spaß als irgendwie Leute zusammen zu schlagen.