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Gute Kranke, schlechte Kranke

Seit Beginn des Jahres hat sich die Honorarordnung für Hausärzte geändert. Kritik gegen die Pauschalisierung kommt von Patientenverbänden. Ihr Haupteinwand: Eine Pauschale stellt für den Arzt keinen Anreiz dar, sich umfassend um seine Patienten zu kümmern.

Von André Hatting |
    Ein Patient, eine Krankheit, ein Pauschaltarif. Nach dem neuen Honorarsystem erhalten die Hausärzte im Durchschnitt etwa 25 Euro für jeden Behandlungsfall, egal ob der Patient einmal oder hundertmal im Quartal in die Sprechstunde kommt. Ausgenommen von dieser Regelung sind nur besondere Untersuchungen wie zum Beispiel ein EKG. Für Patienten mit chronischen Schmerzen kann maximal eine weitere Zusatzpauschale abgerechnet werden.

    Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, befürchtet daher, dass Hausärzte ihre Patienten in Zukunft noch genauer untersuchen. Und zwar darauf, ob sie gute oder schlechte Kranke sind.

    "Bei gleichem Geldbetrag wird der Hausarzt dafür Sorge tragen, dass er dem bequemeren Patienten, der weniger Geld kostet, lieber hat, wie den, der chronisch krank ist, der nicht bequem ist, der kontinuierlich wiederkommt, der kontinuierlich beraten werden muss, für den er aber das gleiche Geld kriegt wie für den bequemen Patienten. Das ist das Problem am System. Er wird nicht den chronischen Patienten ablehnen. Aber er wird versuchen, wenn dieser komplex wird, ihn zu überweisen an den Facharzt, um ihn dann nicht mehr in seinem Budget zu haben."

    Die Folgen für die Patienten: zum einen doppelte Wartezeiten - zunächst beim Hausarzt, dann beim Facharzt, zum anderen weniger Leistung, weil die Quartalspauschale dem Hausarzt das Gefühl gebe, nur einmal in drei Monaten seine Leistung der Krankenkasse in Rechnung zu stellen. Das sieht Anke Mueller-Eckhardt anders. Die Allgemeinmedizinerin arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis im Berliner Bezirk Kreuzberg:

    "Rational betrachtet hat sich ja nichts geändert. Also wir kriegen ja auch für viele Patienten, die dann nur einmal kommen statt 15-mal die gleiche Pauschale, das heißt, man profitiert von denen, die nur einmal kommen. Dafür kriegt man viel mehr als vorher. Für die, die sehr oft kommen, kriegt man weniger als vorher. Das ist ja so ausgerechnet, dass sich das etwa ausgleicht."

    Das ist aber abhängig von der Praxis. In die von Dr. Mueller-Eckhardt kommen vor allem junge Patienten. Außerdem sind wenig chronische Kranke darunter.
    "Ich habe vorher, bevor ich mich niedergelassen habe, jahrelang Vertretung gemacht. Und da gibt es die verschiedenen Sorten Praxen. Es gibt kleine Hausarztpraxen mit einem Großteil an alten Leuten, die sich sehr intensiv um die kümmern und es auch gerade so hinkriegen, die auch immer wieder vom Krankenhaus fernzuhalten bei den vielen chronischen Erkrankungen. Und die werden wahrscheinlich noch ein Stückchen mehr zusammenbreche, als sie schon unter der Budgetierung zusammen gebrochen sind."

    Um das zu verhindern, werden nach Ansicht von Wolfram-Arnim Candidus von der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten viele Hausärzte weniger Zeit in den einzelnen Patienten investieren, die Behandlung könnte oberflächlicher ausfallen und die Gefahr von Fehldiagnosen steigen. Der Deutsche Hausärzteverband teilt diese Sorge nicht. Auf Anfrage des Deutschlandfunks heißt es in einer schriftlichen Mitteilung:

    "Über die Auswirkungen jetzt schon zu spekulieren, erscheint uns verfrüht. Des Weiteren denken wir, dass das gute Arzt-Patienten-Verhältnis durch den neuen Einheitlichen Bewertungsmaßstab nicht beeinträchtigt wird."

    Diese Haltung kann Wolfram-Arnim Candidus nicht nachvollziehen. Die Gesundheitsreform wollte die Hausärzte stärken. Bewirkt habe sie stattdessen einen Patienten-Verschiebebahnhof:

    "Hier muss doch irgendwas passiert sein, das nicht richtig war. Und das liegt daran, dass die Hausärzte in der Vergangenheit überwiesen haben an den Facharzt und das auch in Zukunft tun werden. Und insofern kann ich den Hausärzteverband verstehen, dann haben die auch kein Problem."