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Gute Laune zum Heulen

1999 hatte der Regisseur Peter Konwitschny in Dresden eine Interpretation von Emmerich Kálmáns "Csardasfürstin" vorgelegt, die sich als ernster Streifzug durch das kriegs- und gewaltgeprägte 20. Jahrhundert offenbarte. Nun hat der Regisseur an der Berliner Komischen Oper Franz Lehárs "Land des Lächelns" inszeniert, und auch dieses Werk wollte er auf seine düsteren Seiten hin abklopfen. Und die Chancen der Liebe im Zeitalter der Migration ging es ihm in der Operette.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Am Ende sieht man dann doch noch ein bisschen von dem, was der Regisseur wohl eigentlich zeigen wollte: eine Liebe, die nicht glückt, nicht glücken kann. Der chinesische Prinz Sou-Chong lässt seine fluchtwillige europäische Frau Lisa und ihren Fluchthelfer Gustl von seinen Blaugardisten per Genickbruch abmurksen.

    Und das liebe Schwesterlein Mi, verkleidet als indianische Pfadfinder-Squaw, ist untröstlich. Sie hat nicht nur die österreichische Lotosblüte Lisa sondern auch ihren tennisspielenden früheren Liebhaber Gustl lieb gewonnen, auch wenn sie dessen Annäherungsversuche zuerst mit Rippenstößen beantwortet.

    "Immer nur lächeln" - das aufgezwungene Motto des Prinzen in der europäischen Fremde: zum Ouvertüren-Beginn lässt Peter Konwitschny kurz das ganze Ensemble mit gefrorenem Lächeln bei halb geöffnetem Vorhang posieren. Dann gibt es neben einigen triftigen Szenen viel Klamauk und aufgesetzten Witz. Kaum einer im Publikum lacht.

    Per Feuerwehrstange rutscht die junge Witwe Lisa zu der zwischen Miniatur-Riesenrad und -Stephansdom walzernden Wiener K&K-Gesellschaft, wehrt die Ehewünsche ihres stotternden Liebhabers Gustl mit Degengefechten ab. Prinz Sou-Chong lässt sich vor seinem Auftritt bei ihr erst vom Visagisten vor dem Spiegel auf Chinesisch umfrisieren - eine schöne Idee, die das Maskenhafte der Figuren zeigt.

    Wenn sich die beiden neuen Liebenden erst- und letztmals an die Wäsche gehen, fliegen auch die Perücken vom Kopf.

    Für die Huldigung der Mandarine zuhause in China nimmt Konwitschny die von Lehár später hinzu komponierte erweiterte Fassung, veranstaltet dazu ein Politkabarett mit sich gegenseitig meuchelnden Diktatoren, von Cäsar über Napoleon bis zum Zaren, Hitler, Stalin, Mobutu und auch Texas-Bush.

    Sou-Chongs auf Ahnensitte achtender Onkel Tschang tritt in Mao-Look auf die dreistöckige, mit Jalousien verkleidete Empore. Das Zurücktauchen Sou-Chongs in seine atavistische Kultur zeigt Konwitschny mit einer wilden Kutschfahrt im Kreis mit dem Prinzen auf dem Bock und den vier Bräuten im Geschirr.

    Am Ende will der Prinz die eigene Frau vergewaltigen, die sich mit Peitschenhieben wehrt. Die Einkerkerung im Harem wird mit einem Heiner-Müller-Text garniert. Hysterische Frauen aller Weltkulturen meditieren über Herzen aus Stein in dem nun aller Tapeten entkleideten Bühnengerippe.

    Konwitschnys Schuldzuweisung für verlorene Liebe an die äußeren Umstände - sogar die Atombombe wird bemüht - scheint aber doch reichlich kurz gegriffen. Nicht Systeme lieben sich, sondern Menschen. Die sucht man auf der Bühne freilich lange vergebens.

    Musikalisch ist das aber ein Abend von hohen Graden. Kirill Petrenko, der scheidende GMD der Komischen Oper, hat sich das Stück lange gewünscht und er musiziert es mit einer Raffinesse, die man bei Lehár sonst kaum zu hören bekommt. Von sämigen Straußschen Walzern bis hin zu den an Kurt Weill gemahnenden Aufmüpfigkeiten der Chinesen-Prinzessin Mi.

    Am Ende gab es viel Beifall, zumal für Petrenko und die Solisten - Tatjana Gadzik etwa als resolute Lisa und Stephan Rügamer als innerlich zerrissener, mit schlanker Stimme singender Sou-Chong -, aber auch für das Orchester und den fabelhaften Chor. Konwitschny und sein Team mussten auch einige Buhs einstecken.

    Es bleibt auch vieles äußerlich in dieser Aufführung. Die Leichtigkeit, die selbst eine so genannt "tragische" Operette schon vom musikalischen Zuschnitt her braucht, wird ihr hier fast ganz genommen. Die verkniffene Gespanntheit der Probenatmosphäre wird noch spürbar bei der Premiere. Und eine neue Lesart zeigt Konwitschny kaum, nur eine verengte Perspektive. Da können 2 3/4 Stunden doch sehr lang werden.