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Guten Laune in einer recht komplizierten Welt

Manfred Geier ist kein Possenreißer, dennoch erzählt er in seiner "Kleinen Philosophie des Humors" eine ganze Reihe von Witzen - um sie dann einer genauen Analyse zu unterziehen. Dabei geht es um die Wirkung der Pointe: Warum und worüber lachen wir? Herausgekommen kein Buch über die Machart und die Wirkung von Witzen, sondern eine ernsthafte Philosophiegeschichte des Humors.

Von Christel Wester | 27.06.2006
    " Ich habe gedacht, dass Sie vielleicht zu Anfang unseres Gespräches einen Witz erzählen könnten. Mögen Sie? "

    Geier: " Einen Witz, der mir spontan einfällt? Das ist gar nicht leicht, weil Witze bauen eine Spannung auf, und dann ist die Pointe da und dann zerplatzt sie in Nichts, und das führt meistens dazu, dass man sich die Witze schlecht merken kann. Einen Freud-Witz: Vielleicht etwas obszön, weil viele Witze natürlich eine Tendenz haben. Das Ehepaar XY lebt auf recht reichem Fuß. Wie kam es zu diesem Reichtum? Man sagt, der Mann habe viel verdient und sich etwas zurückgelegt, während die Frau sich etwas zurückgelegt hat und damit viel verdient hat."

    Manfred Geier ist kein Possenreißer, dennoch erzählt er in seiner "Kleinen Philosophie des Humors" eine ganze Reihe von Witzen - um sie dann einer genauen Analyse zu unterziehen. Dabei geht es natürlich um die Wirkung der Pointe: Warum und worüber lachen wir? - Zum Beispiel beim gerade erzählten Freud-Witz, in dem sich Mann wie Frau etwas zurückgelegt haben.

    " Weil er natürlich von der Sache her sexistisch ist, aber eine Form gewählt hat, eine Machart, eine Technik, die uns zum Lachen reizt, weil er mit dem Doppelsinn des Zurücklegens spielt. Ein Wort, "zurücklegen", das auf der einen Seite halt heißt, man legt Geld zurück, und auf der anderen Seite eine körperliche Aktion. Und mit diesem Doppelsinn arbeitet der Witz. Und das verschränkt er dann noch auf eine komplizierte Art und Weise im Zusammenspiel dieses Ehepaares, verweist also auch im Grunde auf einen gesellschaftlichen Tatbestand. Und all das verdichtet sich in einem Witz, also über die Sache selbst würden wir nicht lachen, aber die Art und Weise, wie sie nun hier verarbeitet worden ist - auch sprachlich - das reizt uns zum Lachen."

    Witze brauchen eine bestimmte Form, damit sie zünden können. Und diese Form ist eine sprachliche. Insofern mag man es ganz natürlich finden, wenn in einem Buch über das Lachen und den Humor die Rede irgendwann auf Karl Valentin kommt. Und das Kapitel, das Manfred Geier diesem Virtuosen des sprachlichen Irrwitzes widmet, zählt zum Besten, was über den Münchner Komiker geschrieben worden ist. Dennoch mag mancher es als ziemlich kühne Behauptung empfinden, dass Karl Valentin hier ganz selbstverständlich in eine Reihe gestellt wird mit den bedeutendsten Philosophen: mit Platon, Kant, Schopenhauer oder Heidegger.

    " Valentin ist natürlich kein Fachphilosoph. Er hat niemals Philosophie studiert, aber er ist im klassischen Sinn ein philosophischer Kopf, weil er über bestimmte Phänomene ins Staunen gerät, speziell auch Phänomene der sprachlichen Form, er verwirrt sich, er verstrickt sich in diesen sprachlichen Verirrungen und Verwirrungen und zieht daraus seinen Humor. Und das ist eine philosophische Arbeit."

    Manfred Geier hat nicht nur ein Buch über die Machart und die Wirkung von Witzen geschrieben, sondern er hat eine ernsthafte Philosophiegeschichte des Humors entwickelt. Er verfolgt, wie sich die Deutung des Lachens in mehr als 2000 Jahren abendländischer Philosophie gewandelt hat. Keine leichte philologische Aufgabe, schließlich fristet der Humor eher ein Schattendasein in den Ideenwelten der großen Denker.

    " Ich würde sagen, er ist eine Unterströmung, weil natürlich die Hauptströmung der Philosophie eher der ernsthafte Weg ist: Der Weg zum Wissen."

    Und das hat seinen Grund in der Geschichte der Philosophie.

    " Der tonangebende Philosoph unserer Kultur, Platon, war ein sehr ernsthafter Mensch, der natürlich auch unter Schicksalsschlägen gelitten hat und der nichts zu lachen hatte. Und der dann auch mit seiner Konzentration auf die Erkenntnis, die Wahrheit und das Gute dem Lachen und dem Humor wenig Platz bot. Und dieser Tradition hat sich die europäische Philosophie zumindest angeschlossen, und sie machte das Denken zu einer schweren Arbeit. Diese Schwere ist das Berufskennzeichen der Philosophie, nicht die Leichtigkeit. Man wirft also dem Humor, auch dem Witz und dem Scherz, vor, zu leicht zu sein. Obwohl doch gerade in dieser Leichtigkeit auch etwas Kompliziertes steckt."

    Manfred Geier gelingt es jedenfalls dem Komplizierten mit einer Leichtigkeit auf den Grund zu gehen, die weit entfernt ist von Seichtheit. Mit stilistischer Eleganz und einer Lust am anschaulichen Erzählen konfrontiert er seine Leser dennoch mit harten Theorien und präzisen Daten. Drei große Erklärungsmuster des Lachens macht er aus und stellt ihre Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg vor. Erklärungsmuster, die bis heute in vielfachen Variationen und komplizierten Vermischungen auftreten. Die erste Erklärung belegte das Lachen eindeutig mit einer negativen moralischen Wertung und war fast 2000 Jahre lang vorherrschend: Sie rekurriert auf Platons Theorie des Lächerlichen. Lachen ist demnach immer ein Auslachen. Und derjenige, der lacht, der überschätzt sich selbst. Doch aus Manfred Geiers Buch erfährt man auch, dass es sehr wohl in der Antike schon positivere Deutungen des Lachens gab, die sich jedoch in der philosophischen Tradition nicht durchgesetzt haben. Der Humorist unter den Philosophen war Demokrit aus Abdera.

    " Es ist einfach ein Faktum, dass alle Schriften von Platon überliefert sind und dass von den 60 Büchern des Demokrit aus Abdera nichts erhalten ist. Die Bücher sind noch in der Bibliothek von Alexandria aufbewahrt gewesen und bei dem großen Brand sind sie vernichtet worden."

    Erst mit Descartes beginnt Mitte des 17. Jahrhunderts in der Philosophie allmählich eine Neubewertung des Lachens, das nun nicht mehr nur spöttische Verhöhnung ist, sondern auch ein fröhliches Scherzen in freundschaftlicher Atmosphäre sein kann. Damit kommt der Humor ins Spiel, und Humor ist ja keineswegs das Gleiche wie Lachen.

    " Humor, also das ist eine Stimmung, auch eine Stimmung der guten Laune in einer Welt, die zum Teil recht kompliziert ist. Während das Lachen natürlich noch mehrere Variationen hat. Es stammt nicht nur aus Lebenslust und guter Laune, es gibt natürlich auch ein bösartiges Verlachen von anderen Menschen, ein Auslachen, ein eruptives Überschreiten von Grenzen, das den Spott und das Lachen freisetzt. Das ist nicht unbedingt ein Zeichen von guter Laune."

    Das humorvolle Lachen beschäftigte die Philosophen dann verstärkt ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Erstaunlicherweise allen voran den vermeintlichen Pessimist Schopenhauer und den knöchernen Verstandesarbeiter Kant, dem wir übrigens die Volksweisheit "Lachen ist gesund" verdanken.

    " Kant, natürlich in der Rezeption immer wahrgenommen als dieser ältere Herr, fast schon körperlich vertrocknet, kam niemals aus Königsberg raus und hat sich überhaupt nur mit den schwierigsten Problemen beschäftigt. Also mit der "transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" und die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit "synthetischer Urteile a priori" - also das ist der eine Kant. Aber es gibt natürlich den humorvollen, witzigen, launigen Menschen, der Tischgesellschaften liebte, der Witze erzählte, damit man lacht - weil nämlich, jetzt kommt die philosophische Erklärung: Durch die Schwingungen, in die unser Verstand durch den Witz versetzt wird, diese Schwingung überträgt sich auf das Zwerchfell, und über die Zwerchfellerschütterung gerät unser Körper in eine heilsame Bewegung. Also die Verbindung zwischen Sinnlichkeit und Verstand vermittelt sich über das Zwerchfell - und das sagt Kant! Also das ist durchaus eine äußerst witz-philosophische Erklärung, wie Körper und Geist zusammenhängen, nämlich im Lachen."

    Und so ist Kant der Erfinder der dritten großen Erklärung des Lachens: der Entspannungstheorie, die Freud später ausdifferenzierte und weiterentwickelte. Durchaus entspannend ist auch Manfred Geiers "Kleine Philosophie des Humors", und das auf hohem intellektuellem Niveau.

    Manfred Geier:
    "Worüber kluge Menschen lachen"
    (Verlag Rowohlt)