Sonntag, 19. Mai 2024

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"Guten morgen in unserem Wald..."

Geht doch nach draußen - wenn manche Kinder diesen Vorschlag nicht mehr hören wollen, dann liegt dies vielleicht daran, dass unsere Straßen und Gärten oft wenig verlockend für spielende Kinder sind: Verkehrsreiche Straßen sind gefährlich und penibel gepflegte Rasenflächen und Blumenbeete laden auch nicht gerade zum Toben und zum Ballspielen ein. Im Wald ist das anders und weil dies so ist, gibt es inzwischen Kindergärten ohne festes Gebäude - die Kinder spielen den ganzen Vormittag unter freiem Himmel.

von Markus Maier | 01.09.2000
    Ein Parkplatz, daneben ein alter Bauwagen, links und rechts nur Wald: Der Waldkindergarten an der Erker Mühle in Köln-Brück. 15 Kinder stapfen singend durch den Wald, begleitet von drei Erzieherinnen und einem Bollerwagen. Im Bollerwagen ist alles, was sie für den Tag brauchen: Ein Wasserkanister und Seife zum Händewaschen, Isomatten als Unterlage für das Frühstück und der Erste-Hilfe-Kasten. Einen Rucksack mit Proviant trägt jedes Kind selber. Und dann ziehen sie los: Zum Ententeich, zum Wildschwein-Gehege oder zum Bach. Die Eltern der Kinder sind meist selbst naturverbunden, zum Beispiel Sabine Freitag, Mutter von Zwaantje:

    "Der Hauptgrund war sicherlich, dass ich von der Idee begeistert bin, dass die Kinder draußen sind, dass die Kinder Natur erleben und dass die Kinder, zumindest den halben Tag lang, nicht mit vorgefertigten Spielsachen spielen, sondern dass die Phantasie gefördert wird. Dass die nicht irgendwo in feste Bahnen gelenkt werden, sondern dass sie sich Spiele selber ausdenken können."

    Silvana Wernicke, Mutter von Maja und drei weiteren Kindern, hatte von konventionellen Kindergärten genug:

    "Der ganze Umgang mit der Natur, einfach dieses draußen Spielen, an der frischen Luft sein, bei Wind und Wetter. Nicht in einem Kindergarten zu hocken, so wie ich das bei den anderen erlebt habe mit 26 Kindern und zwei Erziehern, gewissem Spielzeug und jeden Tag irgendwie das gleiche. Die hatten das echt nach zwei Jahren satt, unsere großen Kinder."

    Entstanden ist der Kölner Waldkindergarten aus einer Elterninitiative. Die hat den Verein Waldwichtel e. V. gegründet. Der betreibt den Kindergarten und wird staatlich bezuschusst wie Regelkindergärten auch. Nachteil ist, dass der Waldkindergarten im Sommer nur vier Stunden und im Winter nur drei Stunden geöffnet ist - den meisten halbtags Beschäftigten reichen solche Öffnungszeiten nicht. Dennoch wächst die Zahl der Waldkindergärten in Deutschland. Inzwischen sind es 74. Der erste entstand 1969 in Wiesbaden. Die Ziele der Naturkindergärten sind meist die gleichen: Das Verständnis der Kinder für die Natur, für Klima und Jahreszeiten soll gefördert werden, ebenso Kreativität und Bewegung, die Sinne sollen geschärft werden. Positiver Nebeneffekt: Die Kinder werden durch das Wetter abgehärtet und sind seltener krank. Viola Marcinkowski, Leiterin des Kölner Waldkindergartens:

    "Der wichtigste Vorteil ist einfach, dass die Kinder sich hier ausagieren können. Sie können sich bewegen, frei bewegen. Sie können sich richtig austoben. Da ist keiner, der dann irgendwann mal sagt, setz dich hin, sei still, hier wird nicht gelaufen. Also die Kinder können sich hier absolut ausagieren und auch dieser Lärmpegel, der in geschlossenen Räumen oft wirklich auch Stress bedeutet, fällt hier völlig weg."

    Nach der ersten Wanderung gibt es Frühstück unter Bäumen. Jedes Kind muss sich die Hände waschen, wegen des Fuchsbandwurms. Es wird gegessen und Essen getauscht. Und gegen die Mücken gekämpft. Ab und zu hört man einen Aufschrei: "Huch, eine Spinne." Dann wird die Lupe herausgeholt und das Krabbeltier besichtigt. Nach dem Frühstück ist Freispiel angesagt. Da werden Stöcke zu Bohrmaschinen oder Schwertern, umgefallene Bäume sind Piratenschiffe oder Motorräder. Die Phantasie der Kinder ist grenzenlos.

    "Ich spiele hier Auto." "Und ich spiel noch immer Hubschrauber." "Da fangen wir immer Fische. Und da spielen wir Schifffahren." "Ich bade immer." "Auf dem Piratenschiff."

    Und das bei Wind und Wetter. Nur bei Gewitter und Sturm ziehen sich die Waldwichtel in ihren Bauwagen zurück, wo sie malen und basteln können. Schlechtes Wetter gibt es nicht, nur die falsche Kleidung. Anja Haas, Mutter von Jodokus, sah das anfangs skeptisch:

    "Dann kamen diese Tage, wo es wirklich den ganzen Vormittag gegossen hat, und ich dann zu Hause gesessen habe und überlegt habe: Fühlt er sich denn jetzt auch noch so wohl wie sonst? Und dann abholen, und die waren einfach total begeistert."

    Auch heute. Zufrieden, erschöpft und leicht verdreckt kehren die Waldwichtel am Mittag zurück zum Bauwagen: mit ihren Schätzen aus dem Wald - Stöcke, mit denen man fechten kann, Baumrinde, die als Schiff auf dem Wasser treibt, und was die Natur sonst so bietet.

    Related Links: http://www.waldkindergarten.de http://www.wuerzburg.de/waldkindergarten

    Bundesarbeitskreis der Naturkindergärten:

    Gruppe Nord: Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern Frau Sander, Tel. 04608/1202 Osterdamm 27, 24983 Handewitt Gruppe Nord-Ost: Niedersachsen und die übrigen neuen Bundesländer Henning Freiesleben, Tel. 05331/73470 Eschenweg 2, 38302 Wolfenbüttel Gruppe Mitte: Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz Renate Dubbert, Tel. 0611/8152746 LJA Hessen, Kleiststr.12, 65187 Wiesbaden Gruppe Süd: Bayern, Baden-Württemberg, Saarland Frau M.Hepp-Hoppenthaler, Tel. 089/2720154 Zieblandstraße 17, 80799 München

    Ein vollständiges Adressenverzeichnis gibt es bei: Naturschutzzentrum Hessen Projekt GmbH Friedensstraße 25 35578 Wetzlar Tel. 06441/621063, Fax 06441/24028