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Gutes für den Gabentisch

Weihnachtszeit ist Lesezeit: Zum Jahresende werden so viele Bücher gekauft, verschenkt und hoffentlich auch gelesen wie sonst das ganze Jahr nicht. Als kleine Orientierungshilfe stellt die Buchredaktion des Deutschlandfunks ihre Favoriten vor.

    Angela Gutzeit

    "Herzzeit" - Ingeborg Bachmann - Paul Celan. Briefwechsel. Suhrkamp Verlag. 401 Seiten, 24.80 Euro
    und
    Frauke Meyer-Gosau: "Einmal muss das Fest ja kommen. Eine Reise zu Ingeborg Bachmann" (C.H. Beck), 237 Seiten, 19,90 Euro

    Eine der aufregendsten Lektüren dieses Bücherherbstes ist der Band "Herzzeit" - der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Zum ersten Mal gewinnt man einen genauen Einblick in die intensive, wie aber auch problematische Liebesbeziehung dieser beiden Dichter. Von 1948 bis 1967 haben sie sich geschrieben, immer wieder um Sprache gerungen, um sich einander verständlich zu machen, und schließlich auch in ihrem dichterischen Schaffen beeinflusst.
    Das Zusammenwirken von Leben und Kunst bei Ingeborg Bachmann beschreibt auch die "Literaturen"-Redakteurin Frauke Meyer-Gosau in ihrem Buch "Einmal muss das Fest ja kommen. Eine Reise zu Ingeborg Bachmann". Die Autorin suchte die Lebens- und Schreiborte der Bachmann in Italien, Frankreich, Deutschland, Österreich auf und traf sich mit einstigen Weggefährten und Familienmitgliedern der Dichterin. Entstanden ist ein schön geschriebenes Reisebuch, das darüber hinaus die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann von vielen hartnäckigen Klischees befreit.


    "Hammershoi", Hatje Cantz, 176 Seiten mit 140 farbigen Abbildungen. 29.80 Euro.

    Vilhelm Hammershoi (1864-1916) fasziniert durch Bilder, die eine eigenartige Leere suggerieren. Der dänische Maler war beeinflusst durch die holländische Genremalerei des 17. Jahrhunderts und dem sog. Goldenen Zeitalter der dänischen Kunst des frühen 19. Jahrhunderts, wagte mit seinen irritierenden Bildern bereits den Schritt in die Moderne. Hammershoi wurden in diesem Jahr zwei große Ausstellungen in London und Tokio gewidmet. Der Text- und Bildband bietet aufschlussreiche Texte und gute Erklärungen zu allen abgebildeten Gemälden.

    Tanya Lieske

    Frances Hodgson Burnett: Der geheime Garten. Illustrationen Inga Moore, Übersetzung Michael Stehle. Urachhaus, 279 Seiten, gebunden 22.95 Euro

    Englischer Klassiker von 1900. Ein modernes Märchen, in dem sich viele Elemente treffen - die Big House Novel, das Waisenkindmotiv. Auch ein Fantasyelement ist drin: der geheime Garten ist ein verbotenes Land, zugleich innere Seelenlandschaft der zehnjährigen Mary. Die ist, obwohl sie bei wohlhabenden Eltern/Pflegeeltern aufwächst, sehr verwahrlost, denn es fehlt ihr an Zuwendung. Indem Mary sich um die Pflanzen des geheimen Gartens kümmert, und diese zum Leben erweckt, kommt sie zu sich selbst - und löst zugleich das dunkle Rätsel des großen Hauses, in dem sie lebt. Mit zauberhaften Illustrationen von Inga Moore. Ab acht Jahren, zum Vorlesen ab sechs.

    Eminem, The way I am. Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Schmid. Kiepenheuer & Witsch, 208 Seiten, Broschur 19,95 Euro

    Die Vita des weißen Rappers ist eine der größten Erfolgsgeschichten unserer Zeit. Zum ersten Mal äußerst Eminem sich selbst, spricht über seine Herkunft als "White Trash", über seine Musik, über Armut und Geld, seine Beziehung zu Freunden, seinen Weg zum Ruhm, über Drogen und Vaterschaft. Es entsteht ein komplexes Bild, schonungslos offen, berührend und ehrlich, so ehrlich, wie man es nur sein kann, wenn man eigentlich schon alles erreicht hat. Faszinierende Illustrationen und Grafiken, die zwischen Plakatkunst und Popart anzusiedeln sind. Viele unveröffentlichte Fotos und Dokumente. Das ganze Buch wirkt wie ein Rap. Ab 13 Jahren.


    Denis Scheck

    Hendrik Dorgathen: "Slow" Edition Moderne, 93 Seiten, 29.80 Euro

    Das lang ersehnte neue Buch des Grafik-Genies und großen Comic-Künstlers Hendrik Dorgathen ist ein Fest der Sinne. Dorgathens opulente Comics in "Slow" führen in die Köpfe der Terroristen von morgen oder der Ruhrgebiets-Malocher von gestern und sind dabei immer ganz auf der Höhe ihrer Zeit, Dorgathens sentimentale Reise in die Geschichte des Comics, deren Titel als Leseanweisung ernst genommen werden sollte, transportiert den erwachsenen Leser zurück in jene Jahre, als Sex noch viel größere Angst auslöste als der Tod.

    Stellen Sie sich vor, die englische Königin geht eines Tages mit ihren Hunden spazieren. Aus Neugier traben die königlichen Corgis im Schlosshof ausgerechnet in einen dort parkenden Büchereibus. Wohl oder übel muss Elisabeth II., von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland und ihrer anderen Länder und Gebiete, Oberhaupt des Commonwealth, Verteidigerin des Glaubens, ihre Tölen da eben wieder rausholen. So beginnt eine der hinreißendsten Liebesgeschichten dieser Saison: Der Brite Alan Bennett erzählt von der späten Liebe einer älteren Frau zur Literatur.

    "Die souveräne Leserin" von Alan Bennett, Deutsch von Ingo Herzke, Wagenbach Verlag, 120 Seiten, 14,90 Euro


    Hajo Steinert

    Real Moments. Bob Dylan 1966-1974. Fotografien von Barry Feinstein. Mit einem Vorwort von Bob Neuwirth. Übersetzung: Thorsten Wortmann. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 156 S., 100 Abbildungen, 49,90 Euro

    Bob Dylan, wie er da sitzt, die Mundharmonika vor dem Mund, Gitarre um den Hals, die große schwarze Sonnenbrille, sein Blick zwischen Melancholie und Weltverachtung, die "Fluppe" in der Hand. 100 Fotografien, Momentaufnahmen des bedeutendsten Songwriters und Poeten der Musikgeschichte aus den sechziger und frühen siebziger Jahren, alle in Schwarzweiß, grobkörnig, voller existentialistischer Sinnlichkeit.


    Peter Rühmkorf: Paradiesvogelschiß. Gedichte. Rowohlt Verlag, 142 S., 19,90 Euro
    Das Hörbuch (1 CD, Booklet 8 Seiten, Gesamtlaufzeit 42:14 Min.) erscheint bei Hoffmann und Campe, 17,95 Euro


    Letzte Gedichte des am 8. Juni dieses Jahres verstorbenen Lyrikers, des größten seiner
    Art seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Gedichte voller Melancholie, Altersweisheit, Reimeslust und Todesweh. Rückblicke, Geistesblitze, Lieder von einem Dichter, dessen Verse unvergänglich sind. Gedichte, die man leise lesen kann oder besser noch: sich anhört. Kurz vor seinem Tod hat Peter Rühmkorf noch Aufnahmen machen lassen. Ergreifend!


    Hubert Winkels

    Jan Koneffke: "Eine nie vergessene Geschichte", Roman, Dumont Verlag, Köln, 318 S., 19,90 Euro.
    Jan Koneffke hat mit "Eine nie vergessene Geschichte" einen ebenso dramatisch-fesselnden wie instruktiven historischen Familienroman geschrieben. Eine deutsche Familie aus Pommern wird durch die Wirren und Kriege des 20. Jahrhunderts geführt, bald den Wahn, bald die politische Macht berührend. Einer aus der Familie, ein Künstler, ist verschwunden. Der Urenkel in unseren Tagen will alles wissen, und was er nicht erfährt, das erfindet er. Ein bitterer Stoff von einer ironischen, doch immer respektvollen Erzählweise getragen.


    Bruno Klein (Hg.): "Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Band 5. Barock und Rokoko" (Prestel), 640 S., mit 540 Abb., 140,- Euro

    Barock und Rokoko in der deutschen Kunst: Feierlich und überwältigend präsentieren sich die Innenräume barocker Sakral- und Profanbauten. Eher dem Süden Deutschlands und dem Katholizismus zugeordnet, lassen Sie das Scheinen des Göttlichen in der dinglichen Welt rauschhaft werden. Die einzelnen Kunstgattungen greifen ineinander, das Gesamtkunstwerk entsteht avant la lettre. Der Band über Barock und Rokoko in der maßstabsetzenden Prestel-Kunstgeschichte verbindet wissenschaftliche Genauigkeit und hohen Anspruch an Durchdringung des Stoffes mit seiner schönen Darstellung: in Farbtafeln erster Güte und einer transparenten Ordnung der Themen.