Mittwoch, 24. April 2024

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H.C. Artmann: Der Gentleman Poet
Exzentriker und Sprachkünstler

Seine Sprache hat H.C. Artmann als "erogene Zone" beschrieben. Seine Gedichte und Geschichten schrieb er überall auf der Welt. Der gebürtige Österreicher lebte in Frankreich, Schweden, Deutschland. Eine Biografie und eine Ausstellung ehren nun den Bohemian und Bürgerschreck aus Wien.

Von Günter Kaindlstorfer | 12.06.2021
Der österreichische Lyriker H. C. Artmann im Anzug umd mit Vollbart während der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1997.
Der bekannte Lyriker H.C. Artmann erhielt 1997 den Georg-Büchner-Preis und wirkte dabei fast erschrocken (picture-alliance / dpa | Oliver Berg)
Possenreißer und Phantast, Vorstadt-Romantiker, Kosmopolit und zartgliedriger Bonvivant – H. C. Artmann vereinte viele, durchaus widerspruchsvolle Eigenschaften in sich. In streng gefügten Alexandrinern vermochte der Schuhmachersohn aus Wien-Breitensee ebenso zu dichten wie in saftigstem Wiener Dialekt.
"Mit einer roten Tinten hab ich dir g‘schrieben,
dass ich dich gern hab.
Mit einer grünen Tinten hab ich dir g‘schrieben,
dass ich nur gwart hab auf di.
Mit einer schhwoazzn tinten aber
möchte ich dir jetzt aufs weiße Papier schreiben,
dass mir das Herz ausgetrocknet ist,
vor lauter Warten."
"Schreiben ist ja ein Abenteuer. Ich bin eigentlich Abenteurer und nicht Dichter. In meinem Pass müsste stehen: "Abenteurer."

Bohemian mit Grandezza

Der Wiener Feuilletonist Michael Horowitz hat H. C. Artmann in den Achtzigern kennengelernt. In der Folge haben der Journalist und der Autor zahlreiche intensive Gespräche miteinander geführt – Grundlage für das süffige Artmann-Porträt, das Horowitz nun im Ueberreuter-Verlag vorgelegt hat.
Michael Horowitz: "Er war ein Bohemien, er war immer perfekt gekleidet. Er hat es geliebt, auch wenn er noch so wenig Geld gehabt hat, sich immer perfekt zu kleiden. Die Schuhe waren wahnsinnig wichtig. Er war gern ein Herr, der Grandezza zeigt."
H.C. Artmann stammte aus einfachsten Verhältnissen. Es war das Wiener Arbeiterviertel Breitensee, multikulturell durchmischt, in dem der spätere Dichter seine künstlerischen Prägungen empfing: Zwischen trostlosen Zinshäusern und armseligen Likörstuben hat Artmann seinen poetischen Kosmos entwickelt:
Michael Horowitz: "Dieses Breitensee muss man sich so vorstellen: Das ist ein Vorort am Rand der Stadt, die Bassena, wo sich die Hausfrauen am Gang getroffen haben, um zu berichten, ob beim ,Konsum‘ jetzt das Pril-Waschmittel billiger ist, oder ob es ein Sonderangebot gibt beim Fleischhauer, das war seine Welt. Da ist er in der Kienmayergasse aufgewachsen, in einem winzigen Kabinett mit Blick zum Innenhof, und dort hat er begonnen, aus dieser engen Peripherie heraus seine Sehnsüchte nach der großen weiten Welt zu entwickeln."
"malmö - ich liebe dein licht
das man nicht so fortbläst
wie spinnweben am speicher
so leicht nicht davonbläst
wie blüten aus apfelbäumen
wenn der seewind mitspielt."

Reisender mit Hang zum Chaos

Die "Wienbibliothek" würdigte H. C. Artmann in ihrer Dependence in den sogenannten "Loos-Räumen" in der Wiener Innenstadt mit einer kleinen, aber feinen Ausstellung. Im Zentrum der Schau, die auf Artmanns Nachlass und einer Reihe von Leihgaben basiert, steht der Reisende H. C. Artmann. Kurator Marcel Atze:
"Das Fernweh Artmanns war schon früh vorhanden und hat sich ausgeprägt, als er als Jugendlicher mit dem Finger auf dem Atlas gereist ist, teilweise hat er auch Landkarten von Phantasieländern gezeichnet. Schon als Jugendlicher hat Artmann sich auch mit Grammatiken von entlegenen Sprachen eingedeckt – von Afrikaans bis Zürichdeutsch war da alles dabei."
Anhand von Fotos, Briefen, Ansichtskarten und anderen zum Teil recht skurrilen Autographen dokumentiert die Schau in der Wienbibliothek die Reise-Obsession des Dichters. Ko-Kurator Gerhard Hubmann leidet, wie andere Artmann-Forscher auch, unter der nonchalanten Schlampigkeit, die H. C. Artmann seinen Manuskripten gegenüber an den Tag legte:
Gerhard Hubmann: "In einem frühen Typoskript Artmanns, das er 1952 in Bern niedergeschrieben hat, dokumentiert er schon ein Kernproblem der heutigen Artmann-Forschung. Ich zitiere: "Die Tasche mit den Manuskripten und Schmierzetteln der letzten Zeit habe ich im Quartier zurückgelassen. Und sie liegen gut dort bei Brotkrumen und Asche."

Schräg und Ironisch

Der 100. Geburtstag H. C. Artmanns bietet Gelegenheit, einen der subtilsten und sublimsten Autoren wiederzuentdecken, die die deutschsprachige Dichtung in den letzten ein-, zweihundert Jahren hervorgebracht hat. Wobei Artmann nicht nur das zarte lyrische Fach, sondern auch das Genre der schrägen, selbstironischen Moritat zu bedienen wusste.
"Warte, warte noch ein Weilchen,
bald kommt Artmann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackebeilchen
und macht Schabefleisch aus dir."