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Haarige Angelegenheiten

Biologie. - Moa, Riesenfaultier oder Höhlenlöwe - zwar sind die Tiere längst ausgestorben, trotzdem konnten Wissenschaftler ihr Erbgut sichern und analysieren. Ein neuer Trick erleichtert den Paläogenetikern die Suche nach der DNS - dazu nutzen sie jetzt Haare der Tiere.

Von Michael Stang |
    In den vergangenen Jahren war es ruhig um das so genannte Adams Mammut im Zoologischen Museum in Sankt Petersburg. Höchstens sein permanenter Haarausfall sorgte für Diskussionen – ein Tribut an die warme und trockene Museumsluft. Dass ausgerechnet diese ausgefallenen und fein säuberlich zusammengefegten Haare des heute fast nackten Rüsseltieres für Furore sorgen sollten, hat bis vor kurzem niemand gedacht. Bislang verzweifelten viele Paläogenetiker an ihren Untersuchungen, da sich aus fossilen Knochenproben fast nur das Erbgut von Bakterien vervielfältigten lässt, sagt Tom Gilbert:

    "Als ich darüber nachdachte, wie wir dieses Problem lösen könnten, hatte ich eine Idee: warum nehmen wir nicht einfach Haare statt Knochen, dort gibt es keine Bakterien. Schon bei den ersten Tests mit den ausgefallenen Haaren sahen wir, dass das die Lösung ist. Wir waren zudem unglaublich schnell und hatten binnen kurzer Zeit das ganze mitochondriale Genom sequenziert. Vergangenes Jahr hatte ein Forscherteam das Genom eines anderen Mammuts publiziert, die hatten fünf bis sechs Jahre dafür gebraucht, wir schaffen das mittlerweile an einem Nachmittag."

    Der Clou des Paläogenetikers von der Universität Koppenhagen war einfach, aber erfolgreich. Er bediente sich der Haare und einer Methode, die vergangenes Jahr entwickelt wurde. Dabei wird sämtliches vorhandenes Erbmaterial millionenfach vervielfältig. Da sich auf alten Knochen im Laufe der Zeit viele Bakterien ansiedeln, müssen Paläogenetiker erst mühsam die 95 bis 99 Prozent Fremd-DNS entfernen, bevor sie die gewünschten Erbgutschnipsel finden. Auf Haaren siedeln jedoch kaum Bakterien. Dass noch niemand vor Tom Gilbert versucht hat, Haare ausgestorbener Tiere auf ihr Erbgut zu untersuchen lag einfach daran, dass kein Forscher davon ausging, dass nach so langer Zeit noch Gene erhalten sind.

    "Das war die große Überraschung, weil wir immer gedacht haben, dass Haare genetisch nichts mehr hergeben. Aber es ist schon unglaublich, dass wir sogar in den Haaren des berühmten Adams-Mammut nach über 200 Jahren Standzeit bei Raumtemperatur überhaupt noch Erbgutreste gefunden haben, aber man tatsächlich auch da noch brauchbare Erbgutreste finden."

    Insgesamt zehn Mammuts haben die Forscher jetzt untersucht, darunter auch das Adams-Mammut, das seit seiner Entdeckung 1799 in dem russischen Museum steht. Bei diesem Projekt hat auch Webb Miller mitgearbeitet. Er sei der Computermensch, sagt der Bioinformatiker von der Pennsylvania State University. Webb Miller hat schon in früheren Projekten Mammut-DNS untersucht, doch selbst er hatte ein solch deutliches Ergebnis nicht erwartet.

    "Es war in der Tat sehr überraschend, dass ausgerechnet Haare eine solch ergiebige Quelle für Erbgutanalysen sind. Haare scheinen eine Art Schutzhülle für das sensible Erbgut zu sein, die es vor schädlichen Einflüssen wie Wasser und Bakterien schützen kann, also alles, was die DNS zerstören oder irgendwie verändern könnte."

    Das Zauberwort heißt Keratin. In diesem Hornmaterial, aus dem nicht nur Haare bestehen, sondern auch Fingernägel, Federn, Klauen, Hörner und Reptilienschuppen, ist auch nach Jahrtausenden noch Erbgut enthalten, dass sicher vor dem Einfluss von Bakterien und Pilzen geschützt ist, sagt Tom Gilbert.

    "Das Schöne an dieser Methode ist, dass wir einfach nur ein paar Haare brauchen. Mit den alten Untersuchungen an Knochen war das immer schwierig: zum einen waren die Ergebnisse – wenn man Pech hatte - nicht eindeutig und man musste immer ein Loch in ein wertvolles Fossil bohren, da kommen selbst gestandenen Kuratoren die Tränen. Bei Haaren ist das kein Problem, in den Museumssammlungen sind unzählige davon archiviert. Es gibt viele ausgestorbene Tiere, die wir bald untersuchen wollen, zum Beispiel das Wollhaarnashorn."

    Auch wenn viele ausgestopfte Wollnashörnern in Museen das gleiche Schicksal wie das des Mammuts ereilte – nämlich kompletter Haarausfall -, könnten ihre Haare bald längst verloren geglaubte Einblicke in ihre Genetik bieten, wie das nackte Adams-Mammut in Sankt Peterburg.