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Häftlingsnummer 243

Jerzy Bielecki überlebte den Horror von Auschwitz. Seine Erinnerungen an die Zeit als Häftling mit der Nummer 243 und die Flucht in SS-Uniform getarnt hat er bereits 1990 veröffentlicht, im vergangenen Jahr erschienen sie auch auf Deutsch.

Von Martin Sander |
    "Da liegt dieses kleine Buch 'Eine Liebe in Auschwitz' von Thilo Thielke. Er hat das schön gemacht, aber wenn man es mit meinem Buch vergleicht, dann findet man ungefähr hundert Seiten, die vollkommen identisch sind. Ich habe schon mal im Scherz gesagt, dass ich dieses Plagiat dort melden werde, wo man so etwas meldet - aber nur im Scherz."

    Jerzy Bielecki, geboren 1921, Auschwitz-Häftling mit der Nummer 243, hat bereits 1990 seine Erinnerungen an diese Zeit veröffentlicht. Im vergangenen Jahr sind sie im wjs Verlag endlich auch auf Deutsch erschienen. Aber nur wenige haben sie zur Kenntnis genommen. Denn die Geschichte von Jerzy Bielecki und seiner Flucht aus dem Lager in der Uniform eines SS-Mannes wurde im Jahr 2000 von dem Reportagenschreiber Thilo Thielke als "Spiegel"-Buch vermarktet und in mehrere Sprachen übersetzt.

    "Dieses "Spiegel"-Buch war doch damals nur als eine Reklame für mein Buch gedacht, das dann ein halbes Jahr später erscheinen sollte."

    Aber nicht erschien, weil für die Originalversion der Geschichte auf dem Buchmarkt wohl kein Platz mehr war. So dauerte es noch einmal fast zehn Jahre, bis der deutsche Leser die Geschichte von Jerzy Bielecki aus seiner eigenen Feder erfahren kann.

    Im Sommer 1940 kam der polnische Katholik Jerzy Bielecki mit dem ersten Transport von rund 700 Menschen nach Auschwitz. Bielecki musste das Lager buchstäblich aufbauen. Die ersten Monate waren die schlimmsten. Von Hunger, Krankheiten und der Willkür seiner Bewacher gepeinigt, glaubte er kaum, Auschwitz je lebend wieder verlassen zu können. Doch dann wird Bielecki wegen seines technischen Geschicks und seiner Deutschkenntnisse, die er auf dem Gymnasium in Krakau erworben hat, von SS-Leuten, die seine Fähigkeiten zu schätzen wissen, in einer Getreidemühle eingesetzt. Dort lernt er Cyla, eine junge Jüdin kennen und lieben. Sie bessert die Getreidesäcke aus. Ihre Eltern und ihre Geschwister sind bereits in der Gaskammer getötet worden. Da setzt Bielecki alles auf eine Karte und organisiert die gemeinsame Flucht - mit falschem Passierschein und in einer SS-Uniform, die ihm ein im SS-Kleidermagazin beschäftigter Mithäftling Teil für Teil zugesteckt hat.

    "Als dieser SS-Wachmann meinen Passierschein in die Hand bekam, sagte ich natürlich: Heil Hitler. Dass ich eine etwas fremde Aussprache hatte, störte nicht, denn es gab dort ja sehr viele Letten und Rumänen unter den wachhabenden SS-Leuten."

    Die Flucht gelingt. Bei Jerzys Familie angekommen, trennen sich die beiden. Er kämpft im Widerstand, sie wartet bei Verwandten der Familie. Bieleckis Mutter sorgt für Cylas Sicherheit, gibt aber zu verstehen, dass sie sich als Katholikin eine jüdische Schwiegertochter nur schwer vorstellen kann. Schließlich heißt es, Bielecki sei als Partisan gefallen. Cyla bricht ihre Zelte in Polen ab, geht nach Schweden. Sie schreibt Briefe an Jerzy, die von der Familie zurückgehalten werden. Schließlich wandert sie mit einem anderen, jüdischen Mann in die USA aus. Bielecki gründet eine eigene Familie in Polen. Seine rettende Tat kommt in der kommunistischen Ära nicht überall gut an.

    "Es gab eine Zeit, als man Juden bei uns drangsalierte, das war 1968. Und da machte man sich Gedanken darüber, warum ich mit einer Jüdin geflohen war und nicht mit einer Polin."

    Es war purer Zufall, dass Cyla und Jerzy fast vier Jahrzehnte nach Kriegsende wieder voneinander hörten. Als Cyla in New York ihre Geschichte ihrer polnischen Putzfrau Wiktoria anvertraute, fiel dieser eine in Polen ausgestrahlte Fernsehreportage ein - mit Jerzy Bielecki in der Hauptrolle. Eine Freundin von Wiktoria, die bei der polnischen Post arbeitet, findet die Telefonnummer.

    "Am frühen Morgen bekam ich einen Anruf aus Warschau. Das war 1983, im Mai, also mitten unter dem Kriegsrecht. Da klingelt bei mir das Telefon, obwohl eigentlich alle Telefone abgeschaltet sind. Hier ist Warschau, sind Sie Herr Bielecki? Ich verbinde Sie jetzt mit New York."

    Cyla und Jerzy treffen nun immer wieder in Polen zusammen, doch die Zeit der großen Liebe ist vorbei. 1990, rund zehn Jahre vor dem "Spiegel"-Bestseller, veröffentlichte Jerzy Bielecki seine Geschichte auf Polnisch, die nun endlich auch auf Deutsch vorliegt.

    Buchhinweis: Jerzy Bielecki: Wer ein Leben rettet ... Die Geschichte einer Liebe in Auschwitz, aus dem Polnischen von Rozwita Brodowskaja, wjs Verlag Berlin 2009, 328 Seiten, 24, 90 Euro