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Häuser, Sterne, Nackte

Der kühle Kamerablick seiner Lehrer Bernd und Hilla Becher wurden auch das Markenzeichen von Thomas Ruff. Und die Porträtfotos, die Ruff bekannt gemacht haben, spiegeln denn auch seine Überzeugung, dass Fotografie nie mehr als die Oberfläche abbilden kann. Das Münchner Haus der Kunst zeichnet Ruffs Werk nun in seiner chronologischen Entwicklung nach.

Von Christian Gampert | 17.02.2012
    Als Thomas Ruff Anfang der 1980 Jahre begann, freudlose deutsche Kleinbürgerwohnungen in seltsamen Details abzubilden, und dies auch noch in fahler Farbe, hatte die Fotografie keinerlei Standing in den Museen, und das dokumentarische Schwarzweiß war Glaubensbekenntnis. Über 30 Jahre später ist Ruff nun ein Star, der auf dem Kunstmarkt hohe Summen erzielt – und zwar mit Bildern aus dem Netz, deren Pixelstruktur er durch den Whirlpool der Nachbearbeitung schickt.

    Ruf: "Meine Arbeit jetzt ist: Appropriation und Nachbearbeitung"

    Aus dem Fotografen ist der Sachbearbeiter geworden, könnte man ironisch sagen. Aber Ruffs beständige Neuerfindung der Fotografie spiegelt eben auch den Wandel des Mediums: von analogen Großbild-Plattenkameras, die er anfangs benutzte, zum digitalen Fotoshop. Und seine Arbeitsweise geht produktiv mit den Grundsätzen der Becher-Schule um: Das Gesetz, immer in Serien zu denken, wird nicht infrage gestellt. Aber ist ein Thema abgehandelt, dann wird ein ganz neues gesucht, und das neue Handwerkszeug gleich mit dazu.

    Auf diese Weise hat Thomas Ruff Düsseldorfer Straßen mit Nachtsichtgeräten fotografiert, um den seltsamen Fernsehvoyeurismus während des ersten Golfkriegs sichtbar zu machen. Oder er, der früher Astronom werden wollte, hat die Himmelsaufnahmen der NASA in Details zu riesigen Hochformaten von 2,60 * 1,88 Meter aufgeblasen, sodass man in die Sternenwelt einzutauchen meint. Das ist unterschiedlich gut gelungen: Die grünlichen Nachtaufnahmen sind weitgehend banal, die Sterne kann man auch als postmodernen Coolkitsch empfinden. Aber immerhin ist da jemand von den Wohnzimmerbildern bis zum Mond gekommen und von der Handkamera bis in die Hinterzimmer des Internets.

    Denn die dort heruntergeladenen "Nudes", pornografische Aufnahmen, die von Ruff dann per Pixelverschiebung und Farbgebung verfremdet wurden, rückten ihn nun selber ins Zentrum der Kritik. Auch unscharfer Voyeurismus sei immer noch Selbstbedienung am meist weiblichen Körper, so lautete der Vorwurf. In Wahrheit, so ist in München zu sehen, macht Ruff die Porno-Körper aber zu bloßen Platzhaltern absurder Turnübungen. Die Ent-Individualisierung der sexuellen Schaustellerei wird dabei umso deutlicher, die Häßlichkeit der Bilder aber wird durch eine Art Schalldämpfer geschönt.

    Die Ausstellung im "Haus der Kunst" stellt einzelne Werkkomplexe schroff nebeneinander – und geht ganz bewusst das Risiko ein, dass Qualitätsunterschiede sichtbar werden. Ruff selber sieht seine Anfänge durchaus kritisch: Als Student habe er zunächst eine kitschig-konventionelle Vorstellung von Fotografie gehabt, die an der Kunstakademie einfach vom Tisch gewischt wurden.

    Thomas Ruff: "Da stand ich blöd da. Irgendwann hab ich die Plattenkamera gepackt und hab angefangen, in meiner Wohnung zu fotografieren."

    Die kleinformatigen, kalten, sorgsam kalkulierten Aufnahmen deutscher Wohnzimmerspießigkeit gehören aber heute noch zum besten, was Ruff je gemacht hat. Ebenso, wie die ins Riesenformat aufgeblasenen, fad ausgeleuchteten, übersachlich-artifiziellen Passbilder seiner Bekannten und Kommilitonen, mit denen er in den 80iger Jahren den Durchbruch schaffte.

    Wegen seiner ständigen Neuerfindung der handwerklichen Mittel nennt der Kurator Thomas Weski Ruff einen "wissenschaftlichen Künstler". Dass das auch Nachteile hat, zeigen seine Netz-Appropriationen mit Atompilzen und 9/11-Bildern, die zwar den gesamten großen Saal bespielen, aber gegen seine körperlich-skulptural inszenierten alten Industrie-Maschinen völlig untergehen. Dass Ruff wieder auf einem neuen Weg ist, zeigen aber seine Bearbeitungen der Bilder vom Mars, Bilder, die nur ein Satellit machen kann: Das sind fast abstrakte Farbfelder und –flecken, schrundig schön wie die Gemälde von Gerhard Richter, in ihrer riesigen Dimension wie Leinwände. Die Fotografie betritt neues Terrain.