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Häuser suchen Bauern

Kaum Kinder, viele alte Menschen und keine Geschäfte, so sieht es in vielen Dörfern aus. Experten warnen seit Jahren vor einem Dorfsterben und Schrumpfungsprozessen auf dem Land. Mit Erfolg. In einigen Gemeinden tut sich was.

Von Gisela Keuerleber | 19.09.2010
    Die Landidylle hat wieder Konjunktur – zumindest auf dem Zeitschriftenmarkt: Landliebe, Landlust, Landleben - so und so ähnlich heißen die Hochglanzblätter, die das Leben auf dem Lande preisen; in denen Artikel über das aufs Feinste renovierte Fachwerkhaus oder die umgenutzte alte Dorfschule erscheinen; nebst Berichten über das Gärtnern, die Imkerei und das Einmachen von Obst so wie anno dazumal. Diese Art Nostalgie kommt an. Sie ist Ausdruck einer Sehnsucht nach Naturnähe, nach dem scheinbar einfachen Leben.

    "Hier in Bodenfelde sind wir leider in der negativen Spirale an der Durchgangstrasse und sehen einen Leerstand am anderen und sehen gleichzeitig eine Fülle von Bausünden der 60er, 70er und 80er-Jahre. Wir sehen aufgerissene Fassaden, ungegliederte Fenster, die üblichen hässlichen vorgeblendeten Riemchen."

    Land: In regelrechten Kahlschlagaktionen wurden in den 70er-Jahren Dorfstraßen verbreitert. Platz fürs Auto, hieß damals die Devise. Neue, moderne Geschäfte zogen in die Häuser im Ortskern ein. Die Dörfer sollten kleine Städte werden, und so hat man in die Fassaden von Fachwerkhäusern große Schaufenster hinein gebrochen - heute zeugen sie vom Scheitern einer Illusion: Die Auslagen sind verstaubt und vergilbt, schon vor Jahren mussten die Geschäfte aufgegeben werden. Leerstand und Autoverkehr beherrschen heute die kleine Gemeinde Bodenfelde an der Weser. Stefan Winghart, Präsident des niedersächsischen Amtes für Denkmalpflege, tut es in der Seele weh, wenn er solche Dörfer sieht:

    "Ich denke, dass hier von vorneherein eine falsche Philosophie zugrunde liegt, man ist an einer Durchgangsstraße, man hat aber nicht versucht, den Verkehr zu beruhigen, sondern mehr Verkehr in den Ort zu ziehen. Sodass also hier eine Negativspirale in Gang gesetzt worden ist, die im Endeffekt dazu führt, dass hier nur noch der Autoverkehr ist, und letzten Endes niemand mehr hier wohnt, nur noch leere Häuser und im Endeffekt 'ne Dorfruine geblieben ist."

    In diesen Dorfruinen will keiner wohnen. Als das Shoppingflair der 70er-Jahre verschwand, zogen auch viele Menschen aus dem Zentrum von Bodenfelde weg. Sie wollten dem Verfall des alten Ortskerns wohl nicht länger zusehen. Selbst die Gemeindeverwaltung hat sich an den Rand des 3.000-Seelen-Dorfes verzogen und residiert in einem rosafarbenen Neubau in Nachbarschaft zu den großen Discountern auf der grünen Wiese. Dort werden sich die Verantwortlichen Gedanken machen müssen, wie sie die anstehenden Probleme meistern wollen: Überalterung, stetig steigende Kosten für die Instandhaltung der Infrastruktur, hohe Leerstände.

    Seit Jahren sprechen Demoskopen, Soziologen und Siedlungsforscher vom Dorfsterben. Manche warnen vor Schrumpfungsprozessen im ländlichen Raum und davor, dass Dörfer dem Verfall preisgegeben werden. Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz und die Interessengemeinschaft Bauernhaus sehen nicht nur die historische dörfliche Bausubstanz bedroht, sondern auch die in Jahrhunderten gewachsene ländliche Kulturlandschaft. Und so organisierten sie in diesem Sommer eine Erkundungsfahrt ins südliche Niedersachsen. Dort existieren jetzt schon die Probleme, die andere Dörfer vielleicht erst in einem Jahrzehnt haben werden: Kaum Kinder, viele alte Menschen, keine Geschäfte. So wie im 400-Seelen-Dorf Verliehausen, am südlichen Rand des Sollings, rund 30 Kilometer westlich von Göttingen. Gerd Sommer engagiert sich als Ortsrat und weiß, wie ernst die Lage ist:

    "Wir haben bis sechs Jahre, grade mal 1,87 Prozent der Bevölkerung und von sieben bis 18 15 Prozent und von 19 bis 40 sind es 17,40 Prozent und erschreckend ist, dass es von 61 und älter circa. 36 Prozent gibt.
    Früher hat man einen Tannenbaum gehabt, jetzt haben wir 'ne Palme. Wir stehen verkehrt rum. Wir haben hier im Dorf mal 17 Hofstellen gehabt, und jetzt haben wir zwei."

    Der demografische Wandel - jeder dritte Bewohner ist älter als 60 Jahre - und der Strukturwandel in der Landwirtschaft verändern die Dörfer. Alte Bauernhöfe werden aufgegeben, die Erben ziehen weg oder in einen Neubau am Dorfrand. Gerd Sommer ist auch Mitglied in der Interessensgemeinschaft Bauernhaus und setzt sich für den Erhalt der alten Bausubstanz ein. Der Verein existiert seit den 70er-Jahren und berät die Käufer alter Häuser bei allen Fragen rund um Instandsetzung, Baurecht und Finanzierung. Die vielen leer stehenden Bauernhäuser, die nach und nach verfallen, müssten nach Ansicht von Gerd Sommer nicht sein. Doch schon vor Jahren habe man die Weichen falsch gestellt, klagt er:

    "Es sind Neubaugebiete ausgewiesen, Neuland, das war gang und gäbe. Ein Teil, der gesagt hat, lasst uns doch die Grundstücke, die hier sind, nutzen, baut doch da hin. Oder nehmt doch dieses alte Gebäude. Aber das sind Zeichen der Zeit: 'Da will ich nicht wohnen, da sind die Decken zu niedrig, die Wände zu krumm, dann sind da Sprossenfenster, da muss meine Frau so viel putzen', es sind solche ganz banalen Dinge, die dann als Begründung angeführt werden und wenn die Kommune anbietet, da ist 'ne Freifläche, ja dann greift man zu."

    Dabei gibt es wertvolle Baudenkmale, die nach einer fachgerechten Instandsetzung ein Dorf schmücken könnten: In Verliehausen etwa steht ein Fachwerkgehöft aus dem Jahr 1773, das schon sichtbare Spuren einer Ruine zeigt. Weil die Tochter und Erbin der Familie in das Haus ihres Mannes zog, steht das Elternhaus leer. Einen Käufer zu finden ist schwer, denn die verkehrsreiche Durchgangsstraße mindert die Lebens- und Wohnqualität erheblich. Wenn dann noch aus dem Dorf der Einkaufsmarkt, die Bäckerei, Kindergarten, Grundschule, Sparkasse und Dorfkneipe verschwinden, dann, so prophezeien es die Fachleute, steht es um den Erhalt der Ortschaft schlecht.

    Einige Kilometer jenseits der Landesgrenze zu Niedersachsen macht sich Stefan Reuss, Landrat des Werra-Meissner-Kreises in Nordhessen, schon länger Gedanken darüber, wie man den Schrumpfungsprozess auf dem Land aufhalten kann. Er setzt auf Familienfreundlichkeit:

    "Wenn wir schon das Problem haben, dass die Arbeitsplätze nicht vor Ort sind, dann wollen wir aber partizipieren von den Regionen, wo sich was tut. Das heißt, wir nehmen in Kauf, dass unsere Bürger pendeln müssen, aber wir wollen alles daran setzen, dass sie bei uns den Wohnstandort behalten. Daher muss in die Sozialstruktur kräftig investiert werden, das heißt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird bei uns praktiziert, das heißt, wir bauen ganz massiv die Kinderbetreuung aus, aber im gleichen Schritt auch, alles was an stationären und ambulanten Möglichkeiten geboten ist für die ältere Generation."

    In einer bundesweiten Plakataktion preist der Landrat seine Region. Auf Bahnhöfen prangt der Slogan "Lebensqualität, Ruhe und Natur" – damit wirbt der Kreis um Zuzügler; versucht sie mit der Aussicht zu locken, auch noch preiswert wohnen zu können. Der Grund: Der Landkreis am nordöstlichen Zipfel von Hessen blutet aus. Rund 100.000 Menschen leben heute noch im Werra-Meissner-Kreis. Nach der Wende zogen viele hier weg. Und gestoppt ist der Abwanderungstrend nicht: Jedes Jahr rechnet der Landrat vor, verliere sein Kreis rein rechnerisch die Bevölkerung eines ganzen Dorfes.

    Stefan Reuss versucht, vielfältig gegenzusteuern: Der Werra-Meissner-Kreis hat mittlerweile eine der besten Versorgungsquoten für unter Dreijährige in Hessen, und auch für Grundschulkinder gibt es eine Nachmittagsbetreuung. Mit einer gezielten Baupolitik soll ferner einer weiteren Verödung der Dorfkerne entgegengesteuert werden. Ausgefranste Ortsränder mit gesichtslosen und für die Region völlig untypischen Neubausiedlungen im Lego-Baukastenstil findet der Politiker wenig attraktiv. Es sei höchste Zeit für eine Kehrtwende:

    "Wir gehen den umgekehrten Weg, indem wir sagen, mittendrin statt außen vor. Wir wollen eine Innenentwicklung vor Außenentwicklung fördern, das heißt sowohl was die Bebauungsplanpolitik anbelangt, schauen wir sehr genau hin, ob überhaupt neue Bebauungspläne ausgewiesen werden dürfen."

    Nach wie vor wird in Deutschland täglich eine Fläche von rund 160 Fußballfeldern zubetoniert, asphaltiert oder begradigt. Mittlerweile empfehlen die Landkreise ihren Kommunen bereits, keine neuen Baugebiete mehr zu erschließen.

    Denn die Distanz zwischen neuen Baugebieten und dem Ortskern verursacht Kosten: beispielsweise für Anschlussstraßen und Abwasserkanäle; auch der Schülertransport oder Essen auf Rädern für Senioren wird aufgrund der Entfernungen teurer. Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden hat in stark zersiedelten Gemeinden bis zu zehnfach höhere Kosten ermittelt als in Kommunen mit kompaktem Siedlungskörper.

    Dank des demografischen Wandels setzt sich mancherorts bereits die Erkenntnis durch, dass nicht mehr überall neue Bau- und gigantische Einkaufsmärkte benötigt werden, denn wer soll bei abnehmender Bevölkerungszahl dort noch einkaufen? Und auch protzige Versammlungs- oder Mehrzweckhallen dürften künftig ein wenig kleiner ausfallen; anstatt eines gesichtslosen Neubaus könnte auch eine alte Scheune um- und ausgebaut werden; oder alte Bauernhäuser zu Begegnungsstätten und Bürgerhäusern werden. Verödete Ortskerne würden so wieder lebendiger und Dörfer für den Tourismus attraktiver werden.

    Ein Café in einem vorbildlich restaurierten Bauernhof am Weserradweg in Wahmbeck in Süd-Niedersachsen. Gerd Sommer hat das stattliche Gehöft aus dem Jahr 1637 renoviert:

    "Es ist also ein Vierständerhaus, was nicht üblich ist, ist die giebelständige Toreinfahrt, wir haben hier die Toreinfahrt, rechts ist der Wohnteil gewesen, links war der Stallteil, ist auch noch erkennbar, wir haben es so gelassen, dass wir hier unsere Kaffeestube eingerichtet haben."

    Das Café ist inzwischen für die Radtouristen ein beliebter Anlaufpunkt, denn in dem historischen Hof gibt es allerhand zu entdecken.
    Im ehemaligen Stalltrakt hat Rosemarie Sommer alte Webstühle aufgestellt und zeigt, wie man das naturgefärbte Material verarbeitet. Die ehemalige Lehrerin bietet auch Kurse an:

    "Kurse für Spinnen, Weben, Färben, Filzen, also die ganze Wollverarbeitung, also vom Schaf bis zum fertigen Produkt, ich kann ihnen hier zeigen, also das ist hier so ne Wolle, die selbst gesponnen und dann pflanzengefärbt ist. Ja, das ist mit Zwiebelschalen gefärbt, dann haben wir diese dunkle mit Walnuss gefärbt."

    In den alten Bauernhof ist wieder Leben eingezogen. Und davon profitiert auch die Dorfgemeinschaft. Ein Musterbeispiel, schwärmt die pensionierte Lehrerin.

    "Also für den Ort bedeutet das, dass es ein Anziehungspunkt ist, es kommen Leute, um sich das Haus anzusehen, und dann an den Kursen teilzunehmen, Kaffee zu trinken, weil es im Zentrum des Dorfes liegt, und dann dem schönen Weserradweg, wo es direkt dranliegt."

    Dieses Projekt entstand in Privatinitiative. Gerd Sommer und seine Frau sind im Ruhestand und widmen ihre Zeit dem Café. Es mache ihnen einfach Freude, sagen sie, wenn interessierte Besucher sich hier wohlfühlen. So viel Engagement gibt es jedoch nicht überall und Projekte wie dieses können die großen strukturellen Probleme einer Region natürlich nicht lösen. Die sind im Osten Deutschlands und auch in ehemaligen Zonenrandgebieten des Westens gewaltig:

    Bis 1989 bildete der Werra-Meissner-Kreis den längsten innerdeutschen Grenzabschnitt. Bis zur Wende flossen hierher staatliche Zuschüsse: Zonenrandförderung vom Bund, Fördermittel vom Land Hessen.
    Mit der Grenzöffnung blieb der Geldsegen dann aus. Und viele Wirtschaftsunternehmen siedelten in den Osten um, wo neue Investitionshilfen und billigere Arbeitskräfte lockten. Mangels Arbeitgeber wanderten auch gut ausgebildete Fachkräfte ab.

    Es gibt eine Vielzahl von Problemen, die eine Region nicht aus eigener Kraft lösen kann. Der Werra-Meissner-Kreis erhält deshalb, als einer von zwei westdeutschen Landkreisen, Mittel aus dem Bundesprogramm "Region schafft Zukunft". Das Bundesverkehrsministerium stellt 900.000 Euro zur Verfügung. Gefördert werden die unterschiedlichsten Maßnahmen, vorzugsweise solche mit ganz praktischem Ansatz: Im Dorf Datterode beispielsweise gibt es bald ein Nahversorgungszentrum, nachdem Geschäfte und Banken schon vor langer Zeit aus dem Ort verschwunden waren. Landrat Stefan Reuss:

    "Eine Supermarktkette hat sich entschieden, gerade in einem kleinen Ort wieder einen Supermarkt aufzumachen, unsere beiden Regionalbanken gehen mit Beratungszentren hinein, es wird Sprechstunden der Gemeinde geben, es wird Begegnungsmöglichkeiten geben, auch für die Vereine, und das haben wir ganz konkret unterstützt mit finanziellen Mitteln aus diesem Programm."

    In Nordrhein-Westfalen hat man mit einem ähnlichen Projekt gute Erfahrungen gemacht: In der Nähe von Jülich liegt das Dorf Barmen. Eingebettet in die saftigen Wiesen des Rur-Flüsschens, beschattet von mächtigen Weiden und Erlen leben hier rund 1300 Menschen.

    Einige Bürger haben sich vor sechs Jahren zusammengetan und das Geschäftsleben in ihrem Dorf reanimiert. Der Laden trägt den Namen Dorv. Dorv mit V – das steht für Dienstleistung und ortsnahe Rundumversorgung. Und in der Tat bekommt man in der ehemaligen Sparkassenfiliale alles, was man fürs tägliche Leben so braucht: Die Ladenangestellte Uschi Hölters:

    "Kaffee, belegte Brötchen, Kaffee, Milch und Zucker, es sind Arbeiter, die morgens vorbei kommen"

    Frische Back- und Fleischwaren, Gemüse und Obst liefern Produzenten aus der Region. Außer Lebensmitteln und Schreibwaren gibt es hier sogar Briefmarken und eine Paketannahmestelle. Im angeschlossenen Teil des Ladens sind Reisebüro, Informations- und Beratungsangebote für Altenpflege und Essen auf Rädern sowie ein Behördenservice für Personalausweis und Führerschein untergebracht.

    "Die meisten sind froh, dass wir hier ein Geschäft haben. Ja, hier ist alles weggegangen, das war ja überall so, dass die Geschäfte weggegangen sind, die Supermärkte haben ja alles kaputtgemacht. Ja ich hab kein Auto, ich müsste dann mit dem Bus nach Jülich fahren, und wenn ich mir das Geld zusammenrechne, dann kauf ich hier genauso preiswert ein."

    Alt und Jung kennen sich in Barmen. In der Regel ist man im Laden per du. Und dieses Gemeinschaftsgefühl hat auch dazu geführt, dass trotz vieler Bedenkenträger vonseiten der Behörden das Dorv-Zentrum verwirklicht worden ist. Heinz Frey, von Beruf Lehrer, hat es mit angestoßen. Er erinnert sich noch daran, wie sämtliche Geschäfte in der Ortschaft schlossen:

    "Und bei der Sparkassenschließung ist uns bewusst geworden, dass da irgendwas falsch läuft. Das werde ich nie vergessen, weil die Sparkasse sagte: Na ja, die Oma hat ja ihr Schnitzel sich bisher auch mitbringen lassen von der Enkelin, das kann sie auch mit den 100 Euro machen. Und genau an der Stelle sage ich Nein, das macht sie eben nicht. Und dieses sich selbst bestimmen können, das ist eigentlich unser Motiv, weshalb wir das machen."

    70.000 Euro Grundkapital mussten die Barmener Bürger anfangs investieren, aufgestockt durch ein Existenzgründungsdarlehen. Die Anteilscheine, mit denen sich die Dorfbewohner am Projekt beteiligten, bringen keine Rendite. Denn Laden und Dienstleistungszentrum müssen keine maximalen Gewinne abwerfen. Ihr Lohn, sagen Kunden, sei der soziale Profit.

    "Was die Leute hier brauchen, man geht morgens in den Laden, hält sein Schwätzchen, man trifft sich, holt sein Brötchen da, hat 'ne Ansprache, und geht dann gut gelaunt nach Hause. Das ist eigentlich das Wichtigste, auch an dem Teil. Und deshalb hoffe ich, dass dieser Laden noch bestehen bleibt."

    Die Kunden wissen, was sie an ihrem Laden haben und bleiben ihm treu. Das Dorv-Zentrum in Barmen ist als GmbH organisiert und muss sich dem Wettbewerb um Kunden natürlich stellen - bis heute laufen die Geschäfte zufriedenstellend, es gibt sogar ein leichtes Umsatzplus.

    Auch die ärztliche Versorgung auf dem Land, ein großes Thema der Gesundheitspolitik, haben die Einwohner im nordrhein-westfälischen Barmen selber in die Hand genommen. Heinz Frey:

    "Der Hausarzt, das ist jetzt unser Verdienst, wir haben eine Wohnung dazu gekauft, haben die umgebaut, 60 Quadratmeter reicht, zu einer zweit Arztpraxis. Und die wird jetzt zwei Mal die Woche von einem Arzt aus der Stadt Linnich betrieben. Und natürlich, das haben wir mit dem Arzt vereinbart, die Hausbesuche, und das ist mit Apothekendienst, mit der Apotheke aus dem Nachbardorf geregelt, sodass wir diese Versorgung in den Ort zurückgeholt haben."

    Das Modell Dorv aus Barmen hat in ganz Deutschland Schule gemacht. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es mittlerweile fünf solcher Nahversorgungs-Zentren, die helfen, die Dörfer lebendig zu erhalten und auch den weniger mobilen, vor allem älteren Bewohnern ihren Alltag zu erleichtern.

    Doch Patentrezepte, mithilfe deren man das Ausbluten und das Veröden ländlicher Regionen verhindern kann, die gibt es nicht. Dazu sind die Dorflandschaften zu verschieden. Um prosperierende ländliche Regionen mit einem wirtschaftlich starken Mittelstand, etwa im Schwäbischen, in Oberbayern oder im Sauerland, muss man sich keine Sorgen machen.

    Andere Regionen im Osten Deutschlands oder Landstriche, die an der früheren Zonengrenze liegen, werden es ohne öffentliche Fördermittel dagegen kaum schaffen. Auch das LEADER-Programm der Europäischen Union unterstützt viele kleine Maßnahmen. Es werden Ehrenamtliche, Vereine und Netzwerke vor Ort mit einbezogen, die Ideen für ihre Dorfgemeinschaft entwickeln sollen: Hier ein Mehrgenerationenhaus, da eine Skaterbahn für Jugendliche, woanders wird ein Freibad renoviert oder ein Dorfladen wiederbelebt. Denn entgegen der öffentlichen Wahrnehmung hat der ländliche Raum seine Bedeutung noch lange nicht verloren. Die Hälfte der gut 82 Millionen in Deutschland lebenden Menschen wohnt auf dem Land. Die Zukunft vieler Dörfer ist zwar gefährdet, eine lebendige Dorfgemeinschaft aber kann sie wieder sichern helfen.