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"Haftbefehl"-Doku löst Hype um Reinhard Mey aus

Die "Haftbefehl"-Dokumentation auf Netflix hat zahlreiche Fans des Deutsch-Rappers Aykut Anhan an den Liedermacher Reinhard Mey herangeführt. In den Sozialen Medien wird Meys Lied "In meinem Garten" aus dem Jahr 1970 von ihnen zahlreich geteilt und nachgesungen.

    Reinhard Mey singend mit Gitarre auf der Bühne bei einer Tournee 2014.
    Reinhard Mey. (Archivbild) (imago / Rene Traut )
    Der schwer suchterkrankte Musiker Aykut Anhan mit dem Künstlernamen "Haftbefehl" hatte in einer Schlüsselszene des Films seine persönliche Verbindung zu dem Lied deutlich gemacht. Die Fans geben sich überrascht, beeindruckt und angetan von Meys Text und Musik. Auf TikTok ist zu lesen: "Zwei Künstler, zwei Welten, Poesie und Straßenlyrik, wer hätte gedacht, dass eine Ikone des Rap in den Werken einer Legende der Liedermacherkunst Trost findet." Auf YouTube heißt es: "Danke, dass du Haftbefehl so viel Kraft gegeben hast." Oder: "Reinhard, Abi, ich liebe den Song. Was für ein Meisterwerk".

    Viele Abrufe auf Spotify

    Meys Lied stieg in der Folge neu in die Top 50 der Streamingplattformen Spotify und Apple auf. Mey steht seit mehr als 60 Jahren auf der Bühne und hat mehr als 500 Stücke geschrieben und komponiert. Haftbefehl gilt als einer der stilprägenden Künstler des deutschen Straßenrap. Die Zeit spricht vom "wohl bedeutendsten Rappers Deutschlands", die FAZ von einem "unfreien Genie der Gegenwart" und "Schöpfer einer neuen Sprachkultur weit über die Szene hinaus". Die Süddeutsche Zeitung konstatierte: "Haftbefehl ist wichtig für dieses Land".

    Germanistin: Zugänglichkeit der Texte

    Die Germanistin Julia Ingold sagte, auch wenn sie Haftbefehls berührende Reminiszenz an Mey in der Netflix-Doku zunächst überrascht habe, so träfen sich beide doch in der Zugänglichkeit ihrer Texte. Mey mache Texte, mit denen man sich identifizieren könne, die allgemeinverständlich Not und Melancholie ausdrückten, erklärte die Rap-Forscherin im Deutschlandfunk.
    Außerdem gehe es darin um Sozialkritik. Vielfach werde das Leben der "kleinen Leute" beziehungsweise der Unterprivilegierten dargestellt, festgehalten und die Zustände anschließend kritisiert. Beide Künstler stünden auch auf der gleichen Seite der populären Musik sowie der Lyrik. Lyrik werde oft als angestaubt wahrgenommen, führte Ingold aus. Durch Popmusik und gerade auch durch den Rap sei sie jedoch eine der meistrezipierten Literaturformen. Das Erstaunen Vieler bezüglich der künstlerisch empfundenen Nähe von Haftbefehl zu Reinhard Mey komme vermutlich daher, dass hier das migrantisch Geprägte mit einem traditionellen deutschen Liedgut in Verbindung gebracht werde, vermutete die Wissenschaftlerin von der Uni Bamberg. Dabei sei auch der Deutschrap seit den 90er Jahren eine sehr deutsche Kunstform. Er beanspruche die deutsche Sprache ebenfalls für sich, betonte Ingold. Und gerade "Haftbefehl" sei eben auch bekannt dafür, dass er die deutsche Sprache mitgeprägt habe.

    Soziologe: Haftbefehl hat deutschen Gangsterrap geprägt

    Der Bremer Soziologe Martin Seeliger, der ebenfalls zum Rap forscht, erklärte im Deutschlandfunk Kultur, Haftbefehl sei mit seinem künstlerischen Einfluss sehr wichtig. Nach dem Rapper Anis Ferchichi alias Bushido in den Nullerjahren sei es ab 2013/2015 Haftbefehl gewesen, der das Genre in Deutschland geprägt habe. Er sei zum Prototyp des deutschen Gangsterrappers geworden. Haftbefehl habe zudem viele Dinge gemacht, die vor ihm niemand getan habe, fügte Seeliger hinzu. Dazu gehöre, verschiedene Sprachen zu mischen: Kurdisch, Arabisch, Türkisch, Italienisch und andere.
    Der schwer suchterkrankte Haftbefehl hatte in einer Schlüsselszene der Netflix-Doku "Babo - die Haftbefehl-Story" seine persönliche Verbindung zu Reinhard Mey deutlich gemacht. Von Selbstzweifeln geplagt, sinkt er am Geburtstag seiner Tochter in der Szene auf dem Boden zusammen, sucht in seinem Handy nach einem bestimmten Lied von Mey. Als er es findet, spielt er es ab und singt es mit. Mey thematisiert in dem Lied aus dem Jahr 1970 vor allem Verlustängste und Beziehungssorgen.
    Der Dokumentarfilm wurde unter anderem von dem Schauspieler Elyas M'Barek produziert. Die Biografie Haftbefehls erinnert an "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" aus dem Jahr 1978. Der Offenbacher mit kurdischen Wurzeln spricht durch seine Musik auch benachteiligte junge Leute an, darunter viele mit einem Migrationshintergrund und oder einer muslimischen Familiengeschichte.

    Schwere Drogenkrankheit

    Der 39-jährige Aykut Anhan konsumiert nach eigenen Angaben seit dem 14. Lebensjahr Kokain, etwa zu der Zeit beging sein Vater Suizid. Der Musiker brach die Schule ab, geriet mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt, kam früh in Jugendarrest. Wegen seiner Bedeutung für viele Jugendliche gibt es in der Region in Offenbach und Frankfurt inzwischen Forderungen, die Texte und das Leben Anhans im Schulunterricht zu thematisieren.

    Reinhard Mey schrieb Haftbefehl

    Haftbefehl selbst äußerte sich "berührt" von der Reaktion Reinhard Meys auf ihn. Auf Instagram schrieb Anhan, Meys Team habe dem Filmprojekt zunächst skeptisch gegenübergestanden und gezögert, das Lied "In meinem Garten" für die Dokumentation freizugeben. Mey ist bekannt dafür, zurückhaltend bei der Freigabe seiner Lieder zu sein. Anhan führte aus, nachdem Mey den Film gesehen habe, habe Mey jedoch persönlich zu ihm gefunden, ihm geschrieben und ihm damit etwas gegeben, das tiefer gehe als Zustimmung.
    Weitere Information zu der Netflix-Dokumentation Babo - Die Haftbefehl-Story hat die Deutschlandfunk-Sendung Corso.
    Diese Nachricht wurde am 05.11.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.