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Haftbefehl gegen Detlef Mehlis erlassen

Die syrische Justiz hat vor einer Woche Haftbefehle erlassen – sie bezichtigt 33 hochrangige libanesische und ausländische Personen der Falschaussage in den Ermittlungen zum Mord an Rafik al-Hariri, der im Februar 2005 in Beirut einem Autobombenanschlag zum Opfer fiel.

Von Birgit Kaspar | 09.10.2010
    Unter den Beschuldigten ist auch der erste Chefermittler der UN-Untersuchungskommission, der deutsche Detlev Mehlis.

    Die Haftbefehle aus Damaskus gegen 33 Richter, Offiziere, Politiker und Journalisten sind Top-Thema im Libanon. Unter anderem betroffen sind der libanesische Polizeichef, der oberste Staatsanwalt und ein ehemaliger Justizminister, die alle Premierminister Saad al Hariri nahe sind. Auch der ehemalige deutsche Chefermittler der UN-Untersuchungskommission im Hariri-Mord, Detlev Mehlis, steht auf der Liste. Ihnen wird vorgeworfen, durch Falschaussagen bewusst die Ermittlungen im Hariri-Mord beeinflusst zu haben.

    Pikantes Detail: Die Haftbefehle liegen in Beirut noch gar nicht offiziell vor, der syrische Botschafter bestätigte aber ihre Existenz. Treibende Kraft hinter der Maßnahme ist der ehemalige libanesische Geheimdienstchef General Jamil el Sayyed.

    Für die Libanesen, die pro-syrischen Parteien nahe stehen, war es ein Grund zum Feiern, als im April 2009 Sayyed und drei weitere syrienfreundliche Ex-Sicherheitschefs freikamen - nach vier Jahren Untersuchungshaft ohne Anklage. Die Hariri-Anhänger waren hingegen enttäuscht. Die Begründung des Sondertribunals: Mangel an Beweisen.

    Kurz darauf bemühte sich Sayyed, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die er für seinen langen Gefängnisaufenthalt verantwortlich macht. Weil weder das Tribunal in Den Haag noch die libanesische Justiz sich zuständig fühlten, wandte er sich an die syrische Justiz. Und die wurde aktiv.

    Dass auch Detlev Mehlis auf der Fahndungsliste steht, ist kein Zufall. Der deutsche Oberstaatsanwalt gilt als Terrorexperte und machte sich einen Namen im Prozess um den Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek La Belle. Der 61-jährige Berliner hat Charisma und ist sehr beharrlich. Kein Zufall aber auch aus einem anderen Grund: Mehlis sei der falsche Mann am falschen Ort gewesen, sagt Omar Nashabe, Justizexperte der Zeitung Al-Akhbar, die als Hizbollah-nah gilt.

    Ein Sonderermittler der Vereinten Nationen müsse Integrität und Unvoreingenommenheit mitbringen, betont Nashabe. Mehlis aber sei von Anfang an Parteigänger gewesen, er habe klar gegen Syrien Position bezogen. Ein Mann mit einer Vorgeschichte: Spätestens nach den La Belle-Ermittlungen in Berlin, so Nashabe, seien seine Beziehungen zum amerikanischen und israelischen Geheimdienst sowie seine Ermittlungsmethoden bekannt und auch höchst umstritten gewesen:

    "Mehlis hat sich im Libanon aufgeführt als habe er Sondergewalten und stünde über Recht und Gesetz."

    Detlev Mehlis wies Vorwürfe der Parteilichkeit zurück. Doch bereits in seinem ersten Zwischenbericht hatte er die Drahtzieher für das Hariri-Attentat in der direkten Umgebung des syrischen Staatschefs Bashar al-Assad ausgemacht. Mehlis nannte sogar enge Mitarbeiter Assads beim Namen. Dabei stützte er sich vor allem auf die Aussagen von zwei Zeugen, die als windige Figuren galten und kurze Zeit später ihre Aussagen widerriefen. Alles in allem ein irreparabler Fauxpas, der das Image der Untersuchungskommission beschädigte.

    Mehlis trat Ende 2005 offiziell aus persönlichen Gründen zurück. Er hatte sich mit seiner forschen und medienoffenen Vorgehensweise von den anti-syrischen Kräften im Libanon sowie in Washington und Paris feiern lassen – aber die Party fand ein jähes Ende. Die Glaubwürdigkeit der UN-Ermittlungen sowie des nachfolgenden Hariri-Sondergerichts hatte einen schweren Schlag erlitten.

    Paul Salem von der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden in Beirut meint, das ganze Hin und Her, die falschen Aussagen der falschen Zeugen, die Freilassung der vier libanesischen Generäle, all das habe das Tribunal mit erheblichen Zweifeln behaftet.

    Nichts von dem, was Mehlis zusammengetragen hatte, habe Bestand gehabt, heißt es auch in westlichen Diplomatenkreisen. Der Deutsche sei mit einem speziellen Weltbild nach Beirut gekommen und hier mit Aussagen gefüttert worden, die dazu passten. Ganz nach dem Geschmack der Hariri-Anhänger. Denn die Stimmung im Libanon war kurz nach dem Attentat sehr emotional. Hunderttausende gingen auf die Straße und forderten den Abzug der syrischen Schutzmacht. Sie vermuteten, dass Damaskus hinter dem Mordanschlag steckte. Syrien wies die Verantwortung umgehend zurück.

    Inzwischen hat sich das internationale Klima gewandelt. Hariri-Sohn Saad, der heutige libanesische Premier, hat sich mit Syrien ausgesöhnt. Die Isolierung des syrischen Regimes – damals erklärte Politik der US-Regierung – ist beendet. Das Hariri-Tribunal hat nun unbestätigten Berichten zufolge die Hizbollah im Visier und soll demnächst Anklage erheben. Wie einst Syrien lehnt Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah jede Anschuldigung ab.

    Genau in diesem Kontext müssen die Haftbefehle aus Damaskus verstanden werden. Denn sie sind ein weiterer Warnschuss. Sowohl die Hizbollah als auch das syrische Regime machen jetzt Druck auf den libanesischen Regierungschef Saad al Hariri, den Sohn des Ermordeten, sich von diesem Tribunal zu distanzieren. Sollte Saad nicht einlenken, dürfte die Kampagne eskalieren.