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Halal-Zertifikate
Das Geschäft mit dem Vertrauen

Halal - ein Schriftzug, der vor allem an Schaufenstern türkischer oder arabischer Imbisse zu sehen ist. Halal ist aber mehr. Es bedeutet „erlaubt“ oder „rein“ und meint alle Dinge und Handlungen, die aus islamischer Sicht zulässig sind. Dem steht der Begriff „Haram“ entgegen, also verboten.

Von Hüseyin Topel | 05.03.2020
Ein grüner Aufkleber mit dem Wort "Halal" ist an einer Dönerbude in Berlin zu sehen, aufgenonmmen in Berlin am 20.12.2015 in Berlin. Speisen, die Halal sind, dürfen von strenggläubigen Muslimen gegessen werden. Das Wort Halal kommt aus dem Arabischen und bedeutet "erlaubt".
Sticker mit der Aufschrift "Halal" sind aus dem deutschen Stadtbild kaum wegzudenken (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
Ein türkisches Restaurant in Solingen. Am Eingang drehen sich zwei Dönerspieße. Auf dem Holzkohlegrill daneben zischen Peperonis und Auberginen. Der Ladenbesitzer Bedavi Usta lädt zu einem Glas Tee ein. Wir kommen schnell ins Gespräch und diskutieren über diesen Begriff, der auch in seinem Laden nicht zu übersehen ist: Ein Halal-Logo ist mehrfach im Schaufenster platziert, auf einem eingerahmten Zertifikat des Fleischlieferanten sowie auf die Menükarten gedruckt.
Der Besitzer will zeigen, wie wichtig islamische Richtlinien in seinem Betrieb sind. Doch angesprochen auf das Stichwort Halal zeigt er sich etwas verunsichert:
"Je nachdem, welchen Hodscha oder Gelehrten man fragt, gibt es zum Thema Halal abweichende Erklärungen. Jeder legt Halal ein wenig anders aus. Wir einfachen Muslime sind dann unsicher. Wonach sollen wir uns richten?"
Das Schlachten als religiöser Akt
Was Bedavi Usta hier kritisiert, beschäftigt viele Muslime in Deutschland. Die meisten Muslime verzehren nur das Fleisch im Koran erlaubter Tiere, wie beispielsweise Lamm, Rind oder Huhn. Darüber hinaus erfordert die allgemeine islamische Rechtslehre einen Schlachter, der im Idealfall Muslim ist oder zumindest an einen einzigen Gott glaubt. Die Tiere sollen im Namen Gottes geschächtet werden. Enes Curuk, ein junger Theologe aus dem Rheinland, blickt zurück in die Anfangszeit des Islam.
Er glaubt, "dass das Schlachten von Tieren zur damaligen Zeit ein religiöser Akt war - und zwar bestand dieser religiöse Akt vor allem aus Opfergaben an Götzen und aus Opfergaben an verschiedene Götter."
Die Muslime sollten dasselbe für ihren Gott tun. Doch dieser Kontext sei heute so nicht mehr gegeben, so Curuk. Deshalb wünsche er sich von den Muslimen etwas mehr Lockerheit bei Fragen, "ob man als Muslim Produkte aus Geschäften, die nicht mit Halal-Branding arbeiten, beziehungsweise Produkte, die an deutschen Bauernhöfen produziert werden, verzehrbar sind für Muslime. Dadurch würde sich dieses Halal-Branding gewissermaßen erübrigen."
Enes Curuk
Der Theologe Enes Curuk (Privat)
Die Frage der Betäubung
Doch hinter dem Halal-Siegel, das weiß auch Curuk, steckt ein großer Markt. Und auch eine weitere Kontroverse: Stichwort Betäubung. Für einen Teil der Muslime ist die Betäubung kein Problem, fast sogar selbstverständlich. Vorausgesetzt, das Tier stirbt nicht wegen der Betäubung.
Dagegen halten wiederum jene Traditionalisten, "die sagen, eine Betäubung ist dann nicht das 'reine' Schächten, wie wir das vor Jahrhunderten vorgeschrieben bekommen haben, oder woran wir glauben. Das Tier müsste auf jeden Fall noch leben und dann getötet und dann zum Ausbluten gebracht werden." So Seher Günyak, Geschäftsführerin der Halal-Beratungs-Firma Kanbi. Mit ihrem Unternehmen begleitet sie Hersteller im Halal-Zertifizierungsprozess ihrer Produkte. Traditionellen Muslimen erscheine die Betäubung der Tiere also als zu riskant.
Doch die Vertreter der traditionellen Schächtung laufen seit einigen Jahren gegen eine Wand. Denn sowohl das deutsche als auch das europäische Recht verbieten das Schächten ohne Betäubung. Nur noch in Ausnahmefällen und in wenigen Schlachthöfen wird die betäubungslose Schächtung gestattet.
Halal beruht auf Vertrauen
Trotzdem gibt es unzählige Firmen, die für Fleischprodukte Halal-Zertifikate ausstellen. Mit Erfolg. Laut Günyak vertrauen rund 90 Prozent der muslimischen Konsumenten solchen Halal-Siegeln. Etwa zehn Prozent hingegen zweifeln an ihrer Glaubwürdigkeit. Zu Recht, findet die Halal-Expertin Günyak. Manch einer in der Branche gehe mit den Halal-Regeln nachlässig um.
Wurst in bunten Verpackungen in einem Regal.
Nach welchen Kriterien das Halal-Siegel vergeben wird, ist nicht transparent (Paul Zinken / dpa)
Ein Problem für muslimische Verbraucher sei die fehlende Transparenz, sagt Günyak. Einblick in die Zertifizierungsabläufe wird nicht gewährt. Unser Wunsch, an einem Halal-Lehrgang der Islamischen Gemeinschaft in Österreich, kurz IGGÖ, teilzunehmen, wurde abgewiesen. Auch die Bitte um schriftliche Antworten auf unsere Fragen wurde abgelehnt - aus Kapazitätsgründen, wie es hieß. Schließlich läuft alles darauf hinaus, dass Verbraucher diesen Zertifikaten vertrauen müssen, wenn sie Fleisch mit Halal-Label essen wollen. Seher Günyak:
"Der Metzger sagt ja 'das ist Halal', weil er das so wiederum von seiner Großmetzgerei wahrscheinlich auch weiter übermittelt bekommen hat. Und im Islam - jetzt hole ich ein bisschen aus - im Islam, wenn ich dir etwas verkaufe, wo ich sage 'das ist Halal!', dann glaubst du mir als Muslim und ich dir. Ich kann dir nur das sagen, was mir gesagt worden ist. Das heißt, die Ursünde steht dann bei dem Metzger, bei dem, der das geschächtet, oder dem, der es zertifiziert hat, weil er so daran geglaubt hat."
"Jedes Bio-Siegel kostet Geld"
Ähnlich sieht es der Solinger Restaurantbesitzer Bedavi, der seine Dönerspieße und sein Hackfleisch auf der türkischen Pizza von externen Lieferanten bezieht.
"Schließlich suche ich mir die Auslegung aus, mit der ich einverstanden bin, natürlich nach bestem Wissen und Gewissen. Alles andere spielt für mich danach keine Rolle mehr. Ich verkaufe ausschließlich das, was ich auch selber esse."
Seher Günyak sieht hier durchaus Ähnlichkeiten zwischen dem Halal- und dem Bio-Siegel.
"Wenn wir jetzt Tomaten einkaufen gehen und da steht Bio drauf, muss ich mich auch drauf verlassen, das ist Bio."
Einen entscheidenden Unterschied stellt sie jedoch an den Preisen fest. Wenn sie auf die niedrigen Preise beim Döner beispielsweise blicke, findet Günyak, stimme etwas nicht. Im Durchschnitt kostet eine Dönertasche in Deutschland mit 110 bis 130 Gramm Fleisch und frischem Salat zwischen 3 und 5 Euro. Zu niedrig, findet Günyak.
"Jedes Bio-Siegel kostet Geld - und damit sind Bio-Produkte auch teurer, richtig? Jedes Vegan-Siegel kostet Geld. Jetzt ist die Frage, überall wo ein Halal-Logo drauf ist, warum kostet das dann nicht mehr?"
Halal ist mittlerweile wichtig für die deutsche Wirtschaft geworden. Und so gab es im Vorfeld der jetzt abgesagten ersten offiziellen Halal-Messe in Hannover Überlegungen, einheitliche DIN-Standards bei Halal-Zertifikaten einzuführen. Ganz im Sinne des Verbrauchers.