Archiv


Halb Mediziner - halb Jurist?

Rechtsmediziner wenden im weitesten Sinne medizinische Methoden an um Rechtsfragen zu beantworten. Ihre Arbeitsfelder sind unter anderem ungeklärte Todesfälle, Vaterschaftstest aber auch die Rekonstruktion von Unfällen. Rechtsmediziner absolvieren in Deutschland ein normales Humanmedizinstudium und entscheiden sich anschließend für eine Weiterbildung zum "Arzt für Rechtsmedizin" - früher sprach man übrigens vom "Facharzt". Anschließend arbeiten sie an Hochschulen und Behörden, niedergelassene Rechtsmediziner sind äußerst selten. Genau da liegt ein Problem: Weil zukünftig bis zu 30 Prozent aller rechtsmedizinischen Institute geschlossen werden sollen, müssen sich angehende Ärzte sorgfältig überlegen, ob sie diesen Weg beschreiten beginnen.

Von Mirko Smiljanic |
    Universitätsklinikum Düsseldorf, Institut für Rechtsmedizin, Seziersaal. Fünf Studentinnen und Studenten stehen vor einer Leiche, die vor drei Tagen eingeliefert wurde. Grund: Der den Totenschein ausstellende Arzt hatte einfach keinen plausiblen Grund für das Ableben der 66 Jahre alten Frau gefunden. Ein klassischer Fall für die Rechtsmedizin. Weniger klassisch - geradezu außergewöhnlich - ist dagegen, dass nur wenige Studenten mit ihrer Professorin an dem Leichnam arbeiten.

    Die Rechtsmedizin ist nach der neuen Approbationsordnung Wahlpflichtfach, das heißt die Studenten müssen Leistungsnachweise bringen - Gott sei Dank, muss man sagen - und sie werden ausgebildet, auch das wird von der neuen Approbationsordnung gefordert, in Kleingruppenunterricht,

    erläutert Professor Stefanie Ritz-Timme, Direktorin des Institutes für Rechtsmedizin am Uni-Klinikum Düsseldorf, und fügt hinzu, dass Rechtsmediziner praktisch noch als Humanmediziner ausgebildet werden müssen: Die Leichenschau sollte tatsächlich eine Leichschau sein, Frontalunterricht in überfüllten Hörsälen bringt gar nichts. Natürlich geben solche Praktika nur einen ersten Überblick von der Fülle des Faches. Studenten, die tiefer eintauchen wollen, startet deshalb nach dem Studium eine Ausbildung zum Arzt für Rechtsmedizin:

    Davon verbringen sie ein halbes Jahr in der Psychiatrie, bislang ein Jahr in der Pathologie und den Rest in der Rechtsmedizin, und dort müssen sie einen Katalog an Leistungen, an Forderungen abarbeiten, da ist genau fixiert, wie viele Obduktionen sie machen müssen, wie viele Gerichtstermine sie machen müssen, wie viele Gutachten sie machen müssen, sie müssen also einen breiten Leistungskatalog abarbeiten.

    Die Psychiatrie ist ein häufig unterschätzter Aspekt der Rechtsmedizin: Immer häufiger müssen Rechtsmediziner Gutachten im Rahmen der so genannten kleine forensische Psychiatrie abgeben:

    Zum Beispiel die Frage der Schuldfähigkeit bei Alkoholbeeinflussung und Drogen, wenn es dann komplizierter wird, wenn - in Anführungsstrichen - richtige psychiatrische Erkrankungen zu Grunde liegen, dann machen das in der Tat Psychiater, aber es gibt ein großes Aufgabenspektrum, wo die Rechtsmediziner das machen.

    Die klassische Leichenschau ist übrigens nur ein kleiner Teil des Aufgabenspektrums: Weitere Einsatzfelder sind die Dokumentation von Gewalt an noch lebenden Opfern und Vaterschaftstest, aber auch die Identifikation Verstorbener - eine Arbeit, die zur Zeit etwa Experten bei den deutschen Flutopfern in Südasien verrichten. Hinzu kommt bei Rechtsmedizinern - Nomen est Omen - der juristische Bereich.

    Sie müssen nicht Jura studiert haben, aber sie müssen sich natürlich mit Juristerei ziemlich stark auseinandersetzen, sonst haben sie ein Kommunikationsproblem mit den Juristen. Sie müssen die Fragestellungen unter denen sie Fragen für die Juristen bearbeiten auch aus der juristischen Sicht kennen, weil sie sie sonst nicht vernünftig beantworten können.

    Zurzeit ist Stefanie Ritz-Timme mit den Ausbildungsmöglichkeiten leidlich zufrieden. Doch das kann sich ändern: Bundesweit sollen 30 Prozent aller Rechtsmedizinischen Institute geschlossen werden:

    Das ist natürlich eine große Gefahr in Hinblick auf den Erhalt der Qualität der Rechtsmedizin, auch was die Lehre anbelangt! Wenn sie Kleingruppenunterricht machen wollen, brauchen Sie viele Lehrende, und wenn Sie die Institute verkleinern, haben sie die nicht mehr. Das heißt, unsere Studenten werden immer schlechter ausgebildet.

    Und sie haben ein enormes Karriererisiko: Als Arbeitgeber kommen ausschließlich Universitäten und Behörden in Frage, niederlassen können sie sich nicht. Also schrumpft die Chance dramatisch, als Rechtsmediziner Arbeit zu finden.

    Die heutigen Studenten gucken in die Zukunft, sind durch die Presse informiert darüber, dass das Fach Rechtsmedizin Probleme hat, und ich habe persönlich schon Studenten kennen gelernt, die gesagt haben, ich finde das sehr spannend das Fach, ich möchte eigentlich Rechtsmediziner werden, aber keiner kann mir was über die Prognose des Faches sagen, deshalb lasse ich es lieber, ich mache was anderes. Das ist ein großes Problem!