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Halbdurchdachtes, Klassiker und singende Terroristen

Jedes Jahr im Oktober, wenn die Musiktage Donaueschingen beginnen, dann wandeln sich die Klang-Farben und Lebens-Rhythmen des Städtchens im Hochschwarzwald: Turnhallen werden zu Uraufführungs-Orten, Plätze und Straßen verwandeln sich in Klanglaboratorien. Das älteste Festival Neuer Musik in Deutschland ist gestern wieder einmal zu Ende gegangen. 10.000 Konzertbesucher hörten 21 Ur- und Erstaufführungen zeitgenössischer Komponisten aus 14 Ländern.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Golden glänzte die Oktobersonne dieses Wochenende über Donaueschingen, dem Mekka der Neuen Musik. Wie üblich regnete es drei Tage - und Abende - lang Ur- und Erstaufführungen von Altmeistern wie Brian Ferneyhough, etablierten Szenestars wie Isabel Mundry oder auch ganz jungen, bisher kaum bekannten Neutönern.

    (Musik Boulez "Figures - Doubles - Prismes")
    Boulez' Stück zählt zu den höchst bemerkenswerten Beiträgen dieses Festspieljahrgangs, sie stammt allerdings bereits aus dem Jahr 1964 und ist von keinem Geringeren denn Pierre Boulez, der sein Stück Figures - Doubles - Prismes in Donaueschingen selbst dirigierte.
    Die Ausdifferenzierung des Materials, das Gestalten von Übergängen und Phasenwechseln, die scheinbar mühelose Induktion von Binnenspannung lässt sich mit dem Begriff "Frische" wohl am besten charakterisieren. Da hilft auch Wolfgang Rihms nach der Aufführung in kleinem Kreis geäußerte Bitte wenig, den Begriff "Frische" nicht - wieder einmal - auf einen Avantgardeklassiker wie Boulez anzuwenden, es bleibt dabei: Boulez klingt jung, frech und eben frisch.
    Bei den in Donaueschingen erstmals gespielten Werken zeichnete sich dagegen ein deutlicher Hang zum Verspielten und Verspielen ab, mit oft hartnäckiger Redundanz und mäßig durchgearbeitetem Material ertönte da so manches Stückwerk oder Stückchen. Seltsam blass und auf Oberflächeneffekte poliert stellten etwa Arnulf Herrmanns fünf Fiktive Tänze ein bloßes Kagel-Abziehbildchen dar, der Franzose Yann Robin setzte auf grellen Metal-Trash und Georges Aperghis, einst ein brillanter Schöpfer manisch-nervöser Musikwelten, bot mit Teeter-totter sehr gediegene Langeweile.
    Immerhin konnte Donaueschingen konzeptionell punkten, in einem Marathon-Konzert von rund sieben Stunden spielten drei Ensembles neun Werke, von denen drei gleich zweifach, sozusagen als Doppeluraufführung zu erleben waren. Der Hörblick schärfte sich erheblich, als zum Beispiel Aurelio Cattaneos Klangtüftelei Sabbia sowohl vom Ensemble Intercontemporain wie vom Klangforum Wien interpretiert wurde. Die Wiener Neue-Musik-Spezialisten musizierten eher werkimmanent-zurückhaltend, während ihre Kollegen die Strukturen mehr atmen ließen.
    Interessant war auch ein Dialog-Projekt von sieben Komponisten, die trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit harmonierten und eine in Teilen recht offen verlaufende, dann wiederum sehr starre orchestrale Expedition unternahmen.

    Allgemein herrschte beim Publikum gute Laune und viele eher mittelmäßige Stücke wurden freundlich durchgewunken. Einzig der heuer allpräsente schwedisch-israelische Provokateur Dror Feiler sorgte für Ärger und Widerstand. Feiler ließ Straßenmusiker auf Videomonitoren virtuell um Geld betteln oder verband einen Müllautocorso mit einer Blechblasband.

    Am kontroversesten war jedoch seine Eröffnungsperformance. Feiler reiste in den kolumbianischen Busch und suchte einige FARC-Rebellen auf, filmte sie von hinten beim Singen hoffnungsfroher Revolutionssongs. Dazu gab es jede Menge Weisheiten von Bertolt Brecht per Einblendung sowie elektronisch hochgerüsteten Saxophonkrach vom sichtlich erregten und bewegten Komponisten und erklärten Kommunisten. Das Ergebnis geriet ebenso platt wie beinahe obszön, denn Terroristen bleiben nun mal Terroristen, auch wenn sie bisweilen halbwegs schön singen.