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Halsbach in Bayern
Breitband an jeder Milchkanne

Schnelles Internet für alle: Das war mal das Versprechen der Bundesregierung. Doch der Breitbandausbau kommt nur schleppend voran, obwohl Bund und Länder Förderprogramme aufgelegt haben. Ein kleines Dorf in Bayern hat die Sache jetzt selbst in die Hand genommen.

Von Katharina Hamberger |
Ein Kabelpflug steht auf einem Acker in Halsbach in Bayern
Mit dem Kabelpflug wird ein Graben für die Glasfaserleitungen gezogen (Deutschlandradio / Gottfried Schneiderbauer)
Es ist nicht viel los in Halsbach, der kleinsten Gemeinde im Landkreis Altötting. Ein LKW liefert gerade Getränke beim Gasthaus "Mitterwirt" an, laut Wikipedia eine der Halsbacher Sehenswürdigkeiten, neben einer Waldbühne und der Pfarrkirche Sankt Martin. Ansonsten besteht der Ort aus einem kleinen Ortskern, drum herum viele Felder und Bauernhöfe.
Seit kurzem ist Halsbach aber auch für etwas bekannt, das vielerorts – vor allem im ländlichen Raum – noch ein Wunschtraum ist: schnelles Internet, Glasfaser bis zu jedem Bauernhof. Und zwar für alle knapp 1.000 Einwohner, die verstreut auf 22 Quadratkilometern leben. 67 Weiler sind es, manche Einzelgehöfte sind bis zu einen Kilometer voneinander entfernt.
"Und trotzdem sollen alle in den Genuss der Glasfaser kommen", sagt Halsbachs ehrenamtlicher Bürgermeister Martin Poschner. Der 54-Jährige war bis vor kurzem auch noch hauptberuflich Landwirt. Anfang des Jahres hat er den Hof an seinen Sohn und seine Schwiegertochter übergeben. "Und ich bin bewusst parteilos."
www.unerreichbar.de
Poschner sitzt in seinem Büro in der Gemeindeverwaltung. Seit 2014 ist er Bürgermeister in Halsbach. Eines der ersten Themen seiner Amtszeit: Der Breitbandausbau. "Es war eines der ersten Probleme, die aufgetreten sind und es war auch eines der schwersten, die uns dann im Gemeinderat betroffen haben."
Denn bis dahin gab es zwar im Ortskern schnelles Internet, aber je weiter davon entfernt, desto schwieriger wurde es mit dem Netz, wie in so vielen Orten Deutschlands: "Bei uns war‘s tatsächlich so: www.unerreichbar.de"
Neben Poschner sitzt Gottfried Schneiderbauer, Mitglied im Gemeinderat von Halsbach und Elektroingenieur. Die Not sei groß gewesen, mancher sei auf ISDN-Niveau gewesen, erzählt er: "Der hatte keine E-Mail-Adresse, weil das macht gar keinen Sinn. Nach sechs Kilometern Kupferleitung war der ganz am Ende."
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Hohe Kosten trotz Förderung
2014 legte der Freistaat Bayern ein 1,5-Milliarden-Euro schweres Förderprogramm auf, der Bund zog 2015 mit einem eigenen Programm nach. Für die Halsbacher der Anstoß für den Breitbandausbau. Aber der erste Anlauf verlief ernüchternd: "Das erste Angebot von einem Anbieter war ca. 4,5 Millionen Euro. Und das war schlichtweg nicht zu schultern."
Trotz einer Million Euro Fördergelder vom Freistaat. Aber die Not mache erfinderisch, meint Schneiderbauer: "Wenn man auch nicht will, dass man nur die Hälfte gut versorgt und zum Rest sagt man: ‚I’m sorry, tut mir leid, ist bei euch nix geworden‘, was politisch höchst schwierig ist, dann überlegt man sich schon mal, wie könnte es anders gehen. Wir sind schon praktisch gestrickt. Und wir haben gesagt, ok, jetzt reden wir mal mit einer Grabungsfirma und fragen, was kostet denn da eigentlich so viel Geld beim Graben von Glasfaserleitungen?"
Straßen aufreißen oder am Straßenrand Gräben mit schon bestehenden Leitungen aufgraben – das ist kostenintensiv, ergab das Gespräch.
"Und wenn man quer übers Feld geht, so in einem Meter Tiefe etwa, da ist in der Regel gar nichts, worauf man Rücksicht nehmen muss."
Eigeninitiative per Kabelpflug
Und wenn es in Halsbach eines reichlich gibt, dann sind das Felder. Die Gemeinde nahm den Breitbandausbau also selbst in die Hand und verlegte ein Leerrohrnetz für die Glasfaser mit einem sogenannten Kabelpflug: "Es ist ein Kettenfahrzeug, ähnlich wie ein Panzer. Mit einem langen Schwert. Dieses Schwert stößt in die Tiefe und ist dann einsatzbereit, nachdem es einen Meter eingestochen hat und das wird dann durchgezogen. Und in diesem Zuge ist dann hinten auf der Rolle ein Kabel, das dann im Boden versenkt wird."
Der Anfang eine Kabel ist auf einem Acker zu sehen
Glasfaser bis zu jedem Bauernhof - ein Dorf in Bayern will darauf nicht warten (Deutschlandradio / Gottfried Schneiderbauer)
Zwei Kilometer Kabel verlegte der Pflug pro Tag und so die Grundlagen für schnelles Internet für jeden Hof: "Also 22 Quadratkilometer, 165 Hausanschlüsse. Damit man mal ein Bild hat, wie vereinzelt das ist. Da sind keine hochverdichteten Bereiche dabei, Siedlungen mit 100 Häusern oder so. Gar nicht."
Ein Viertel der Kosten
100 MBit/s Minimum gibt es in Halsbach jetzt an jeder Milchkanne. Und die Gemeinde hat mit der Methode Selbsthilfe viel gespart. Vor allem Geld: "Also insgesamt haben wir etwa 1,2 Millionen Euro ausgegeben, um den kompletten Außenbereich mit Glasfaser ins Haus zu versorgen."
Also nur rund ein Viertel vom ursprünglichen Angebot der Telekom. Die Ausschreibung für das Netz hat dann ein lokaler Anbieter gewonnen. Nachbargemeinden schlossen sich schnell an und mittlerweile kommen Anfragen aus ganz Deutschland: "Ich habe gestern anderthalb Stunden mit jemandem aus Brandenburg telefoniert."
Alle wollen wissen, wie sie das genau gemacht haben, die Halsbacher, also: Glasfaser bis in jedes Haus zu legen. Laut Breitbandatlas der Bundesregierung ist das derzeit noch eher eine Seltenheit in Deutschland.
Neue Förderpraxis
Und doch tut sich so langsam etwas, weil auch der Bund seine Förderpraxis geändert hat, sagt Marc Kessler vom Bundesverband Breitbandkommunikation: "Sowohl im Koalitionsvertrag steht drin, dass es Glasfaser als Infrastruktur flächendeckend überall geben soll, als auch das Bundesförderprogramm ist ja umgeschwenkt. Es werden mittlerweile nur noch reine Glasfaseranschlüsse gefördert. Vectoring, also das, was noch kupferbasiert ist, das wird mittlerweile nicht mehr gefördert."
Nach wie vor, sagt Kessler, gibt es ein Stadt-Land-Gefälle beim Breitbandausbau. Bis 2025 hofft er jedoch, dass jeder Haushalt in Deutschland einen Glasfaseranschluss hat. Für die Halsbacher ist die Glasfaserversorgung jetzt bereits ein Standortvorteil – eine langsame Internetverbindung ziehe unter anderem die Mietpreise nach unten, sagt Schneiderbauer: "Oder es kommt einfach keiner mehr, weil jeder sagt, ich will ja nicht aufs Land ziehen, um dann nichts mehr mitzubekommen oder nicht mehr arbeiten zu können."
Bedeutung für die Landwirtschaft
Aber vor allem die Landwirte, von denen es in der Gegend viele gibt, profitieren davon. Die müssten, so Bürgermeister Poschner, zum Beispiel jedes Nutztier in ein elektronisches Herkunfts- und Informationssystem eintragen, das vom bayerischen Landwirtschaftsministerium betrieben wird. Ist das Netz schlecht, dauert das eine gefühlte Ewigkeit. Auch Maschinen-Updates oder die Verarbeitung von auf dem Feld gesammelten Daten in Echtzeit wird immer wichtiger für die Landwirte. Für letzteres braucht es eigentlich auch ein ordentliches Mobilfunknetz – sprich 5G. Dafür wiederum braucht es Glasfaser. Die haben die Halsbacher ja nun mittlerweile. Beim Mobilfunk hingegen ist noch etwas Luft nach oben:
"Handynetz ist auch noch verbesserungswürdig in unserem Bereich, aber wir sind dabei. In nächster Zeit wird ein Handymast aufgestellt und der zweite Handymasten ist im Gespräch."
Für die Aussage der Bildungsministerin Karliczek, 5G an jeder Milchkanne sei nicht notwendig, haben die Halsbacher wenig übrig. Es sei zwar verständlich, dass man erstmal Gewerbegebiete und Ballungszentren mit Breitband versorge, meint Gemeinderatsmitglied Schneiderbauer: "…aber man darf nicht das Land abhängen".