Hier geht es nur um Geld und Tod. Das Reich der Russen ist eine Markthalle: Im vieldeutigen Bühnenbild von Muriel Gerstner stapeln sich auf mehreren Etagen Ming-Vasen neben Lampenschirmen, Samoware neben Spülmittel. Im Zentrum der Bühne befindet sich ein "Territoire de la mort", das Gebiet des Todes: eine verschließbare Grabkammer. Dort thront das niederschmetternde Gemälde von Hans Holbein dem Jüngeren, das Jesus als geschundene Leiche zeigt, als jemanden, der ganz gewiss nicht mehr aufersteht. Ein Bild, vor dem man den Glauben verlieren könnte – dieser berühmte Satz von Dostojewski stammt tatsächlich aus dem Roman "Der Idiot".
Und dort liegt auch die Leiche der erstochenen Nastassja Filipowna aufgebahrt – nach einer kranken Liebesbeziehung zwischen Wahnsinn und Eifersucht hat sie ihr Liebhaber Rogoshin nun doch ermordet. Regisseurin Karin Henkel beginnt ihre Adaption des 800seitigen Romans von Fjodor Dostojewski mit dem düsteren Ende: Fürst Myschkin, der hellsichtige, ungeschickte Epileptiker, und sein vitaler Gegenspieler Rogoshin stehen sich an der Leiche der Geliebten gegenüber – bis Myschkin in Ohnmacht fällt und die Geschichte sich ganz von vorne entfaltet.
Eine Frau spielt den Fürsten Myschkin, und selten war so sinnfällig wie hier, dass eine Frau diesen reinen Toren spielen muss. Mit ihrer naiven Bodenständigkeit, ihren befremdlichen Ticks, ihrer hellsichtigen Gutmütigkeit ist Lina Beckmann in ihrer Paraderolle. Ihr Gang schlurfend, ein Jutebeutel in der Hand, die hellblaue Jeans hängt formlos. Doch zerrieben wird der Fürst trotz der unvorteilhaften Erscheinung zwischen Menschen, die ihn als solvente Geldanlage sehen – ob als Heiratskandidat oder Spendengeber.
" Nein das ist kein Anfall. Ich weiß, dass ich von der Natur zurückgesetzt worden bin. Ich war 24 Jahre krank. Bitte hören Sie mich auch jetzt an wie einen Kranken. Es gibt solche Ideen. Das…läuft gar nicht gut. Es gibt solche erhabenen Ideen, die zu erwähnen mir gar nicht zugestehen. Weil ich Sie alle unfehlbar zum Lachen bringe. Ich habe nicht die richtigen Gesten. Ich habe auch nicht das Gefühl für das Maß… ich habe Worte, die anders sind… und das erniedrigt mich… ich weiß, dass Sie mich mehr lieben, als ich es verdiene…
Warum sagen Sie das denn? Sie sind doch klüger als alle, besser als alle, warum erniedrigen Sie sich, warum haben Sie denn keinen Stolz? Halt den Mund du hässliche Proletengöre…"
Das übrige Personal erscheint gegenüber Fürst Myschkin schauerlich mittelmäßig und geschwätzig, die Figuren sind aber dennoch liebevoll gezeichnet. Angelika Richter ist die Generalin Lisaweta in einer bravourösen Mischung aus wütender Depression und Lebensgier. Ihre drei drallen Töchter in bonbonfarbenen Glitzerkleidern essen immerzu Torte – bis sich die dekorative Heiratskandidatin Aglaja zur Freiheitskämpferin entwickelt.
Doch die zentrale Frau des Geschehens ist Nastassja Filippowna, wie eine laszive Ikone in einem drehenden Schrank über der Masse erotisch wälzt – eine Paraderolle für Lena Schwarz, die ihre Überdrehtheit... wunderbar ausreizen kann. Doch das Schönste ist wohl, dass hier nie verschwiegen wird, dass es sich um einen Roman handelt – und seine Theateradaption zwangsläufig unvollkommen ist. Zwischendurch setzen sich die Figuren einfach an den Rand und lesen ein paar Seiten vor, dann wieder beklagt Generalin Lisaweta, dass ihre Gesellschafterin einfach gestrichen worden sei.
Karin Henkel gelingt an diesem kurzweiligen Vierstundenabend ein wahres Glanzstück. Sie erzählt den 800-seitigen Roman so leichtfüßig, als sei es ein komödiantisch-melancholisches Gesellschaftsstück von Tschechow. Sie bleibt dabei mit ihren großartigen Schauspielern bei einer düsteren, psychologisch genau gezeichneten Wahrhaftigkeit. Sie schafft es, aus den banalen Ränkespielen der Familie Jepantschin einen Weltentwurf zu machen: Dass nämlich der Einzige, der Wahrheit, Güte und Weisheit verkündet, zugrunde gehen muss in einer Welt aus Gier, Nihilismus und Verzweiflung.
"Nicht nur wir allein, sondern ganz Europa staunt über unseren russischen Fanatismus. Wenn einer von uns glaubt, wird er gleich Fundamentalist, und zwar einer von den ganz Fanatischen. Wird er Atheist, fordert er sofort die gesamte Ausrottung des Gottesglaubens, und zwar mit Gewalt. Mit dem Tod Gottes hat sich das mit der Religion nicht erledigt, weil…man ohne Glauben nicht leben kann."
Und dort liegt auch die Leiche der erstochenen Nastassja Filipowna aufgebahrt – nach einer kranken Liebesbeziehung zwischen Wahnsinn und Eifersucht hat sie ihr Liebhaber Rogoshin nun doch ermordet. Regisseurin Karin Henkel beginnt ihre Adaption des 800seitigen Romans von Fjodor Dostojewski mit dem düsteren Ende: Fürst Myschkin, der hellsichtige, ungeschickte Epileptiker, und sein vitaler Gegenspieler Rogoshin stehen sich an der Leiche der Geliebten gegenüber – bis Myschkin in Ohnmacht fällt und die Geschichte sich ganz von vorne entfaltet.
Eine Frau spielt den Fürsten Myschkin, und selten war so sinnfällig wie hier, dass eine Frau diesen reinen Toren spielen muss. Mit ihrer naiven Bodenständigkeit, ihren befremdlichen Ticks, ihrer hellsichtigen Gutmütigkeit ist Lina Beckmann in ihrer Paraderolle. Ihr Gang schlurfend, ein Jutebeutel in der Hand, die hellblaue Jeans hängt formlos. Doch zerrieben wird der Fürst trotz der unvorteilhaften Erscheinung zwischen Menschen, die ihn als solvente Geldanlage sehen – ob als Heiratskandidat oder Spendengeber.
" Nein das ist kein Anfall. Ich weiß, dass ich von der Natur zurückgesetzt worden bin. Ich war 24 Jahre krank. Bitte hören Sie mich auch jetzt an wie einen Kranken. Es gibt solche Ideen. Das…läuft gar nicht gut. Es gibt solche erhabenen Ideen, die zu erwähnen mir gar nicht zugestehen. Weil ich Sie alle unfehlbar zum Lachen bringe. Ich habe nicht die richtigen Gesten. Ich habe auch nicht das Gefühl für das Maß… ich habe Worte, die anders sind… und das erniedrigt mich… ich weiß, dass Sie mich mehr lieben, als ich es verdiene…
Warum sagen Sie das denn? Sie sind doch klüger als alle, besser als alle, warum erniedrigen Sie sich, warum haben Sie denn keinen Stolz? Halt den Mund du hässliche Proletengöre…"
Das übrige Personal erscheint gegenüber Fürst Myschkin schauerlich mittelmäßig und geschwätzig, die Figuren sind aber dennoch liebevoll gezeichnet. Angelika Richter ist die Generalin Lisaweta in einer bravourösen Mischung aus wütender Depression und Lebensgier. Ihre drei drallen Töchter in bonbonfarbenen Glitzerkleidern essen immerzu Torte – bis sich die dekorative Heiratskandidatin Aglaja zur Freiheitskämpferin entwickelt.
Doch die zentrale Frau des Geschehens ist Nastassja Filippowna, wie eine laszive Ikone in einem drehenden Schrank über der Masse erotisch wälzt – eine Paraderolle für Lena Schwarz, die ihre Überdrehtheit... wunderbar ausreizen kann. Doch das Schönste ist wohl, dass hier nie verschwiegen wird, dass es sich um einen Roman handelt – und seine Theateradaption zwangsläufig unvollkommen ist. Zwischendurch setzen sich die Figuren einfach an den Rand und lesen ein paar Seiten vor, dann wieder beklagt Generalin Lisaweta, dass ihre Gesellschafterin einfach gestrichen worden sei.
Karin Henkel gelingt an diesem kurzweiligen Vierstundenabend ein wahres Glanzstück. Sie erzählt den 800-seitigen Roman so leichtfüßig, als sei es ein komödiantisch-melancholisches Gesellschaftsstück von Tschechow. Sie bleibt dabei mit ihren großartigen Schauspielern bei einer düsteren, psychologisch genau gezeichneten Wahrhaftigkeit. Sie schafft es, aus den banalen Ränkespielen der Familie Jepantschin einen Weltentwurf zu machen: Dass nämlich der Einzige, der Wahrheit, Güte und Weisheit verkündet, zugrunde gehen muss in einer Welt aus Gier, Nihilismus und Verzweiflung.
"Nicht nur wir allein, sondern ganz Europa staunt über unseren russischen Fanatismus. Wenn einer von uns glaubt, wird er gleich Fundamentalist, und zwar einer von den ganz Fanatischen. Wird er Atheist, fordert er sofort die gesamte Ausrottung des Gottesglaubens, und zwar mit Gewalt. Mit dem Tod Gottes hat sich das mit der Religion nicht erledigt, weil…man ohne Glauben nicht leben kann."