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Halt in wandelnden Zeiten

In diesen Tagen, an Allerheiligen, am Totensonntag und dem Volkstrauertag, wird nahezu überall der Toten gedacht: Besonders auch in Irland, wo zwar der politische Einfluss der Kirche zurückgegangen ist, wo es aber bis heute eine tiefe Volksfrömmigkeit gibt. Martin Alioth berichtet von der irischen Ostküste.

    Der Tod ist in Irland - vielleicht noch mehr als anderswo - Teil und Spiegelbild des Lebens. Man geht häufiger zu Begräbnissen und von den Toten sagt man nichts Schlechtes, auch wenn sie korrupt oder bigott oder ganz einfach gemein waren.
    Gebet: "God of endless ages. You have been, from one generation to the next, our refuge and our strength. Have mercy now, on your servant Eileen ... "

    Der Dorfpriester Larry Caraher ruft einen zeitlosen Gott an, der den Bewohnern von Tullyallen seit je her beisteht. Das Dorf liegt etwa fünfzig Kilometer nördlich von Dublin in der Grafschaft Louth. Der Priester bittet um Gnade für Eileen Murphy, die im hohen Alter von 90 Jahren verstorben ist.

    In den Tagen vor ihrem Tod habe sie die Lippen zu den Gebeten bewegt, sie habe das Kruzifix geküsst und zuletzt noch nach dem Rosenkranz auf ihrer Bettdecke gegriffen.

    Fünf weißgewandete Priester stehen am Altar, davor knien vier Kinder, ebenfalls in weiß, und darüber erheben sich die der Gotik nachempfundenen Türmchen des Altarbildes - es wirkt ganz wie ein mittelalterliches Triptychon.

    Larry Caraher ist ein groß gewachsener älterer Herr mit schneeweißem Haar. Etwa 3000 Gläubige betreut er in seiner Pfarrei, und man gewinnt den Eindruck, dass er sie alle persönlich kennt. Er strahlt Gütigkeit, Verständnis und Wärme aus - selbst ein Heide würde ihn ohne zu zögern "Vater" nennen, wie das hierzulande üblich ist. Etwa 150 Menschen sind zu Eileen Murphys Beisetzung erschienen, aber das ist bloß der Endpunkt eines langen Abschiedsrituals, wie es in Irland seit Jahrhunderten gepflegt wird.

    "Eileen gehörte zum Laienorden der Kinder Marias. Deshalb trug sie auf ihrem Leichenbett das weiße Hemd des Ordens. Da liegt sie dann für zwei Tage und eine Nacht, das ist der 'Wake', die Totenwache. Da kommen dann die Nachbarn, knien sich betend neben ihr Bett und versprühen Weihwasser. Zur Überführung der Leiche von ihrem Haus in die Kirche versammeln sich alle Nachbarn, Verwandten und Bekannten zur Prozession. Nach einem gemeinsamen Gebet in der Kirche gehen alle schlafen, tags darauf kommt dann das Begräbnis, das letzte Geleit."

    Zum mindesten außerhalb der Städte hat diese Volksfrömmigkeit den Zerfall der kirchlichen Autorität und die Hektik des Wirtschaftswunders überlebt. Der Kirchenbesuch mag seltener geworden sein, die sexuellen Gewohnheiten lockerer, aber selbst die neuen Ungläubigen schicken ihrem Priester noch eine Namensliste ihrer verstorbenen Verwandten und Freundinnen, damit im Totenmonat für sie gebetet werde. Das gibt Halt in wandelnden Zeiten. Auch Larry Carahers Kirchlein wird im November etwas voller, wenn der Heiligen Seelen gedacht wird, und die Gemeinde für die Verstorbenen betet.

    "Especially during this month of November which is the month of the holy soul. So we pray for those who have died, you know."