Archiv


Hamadi Jebali (Tunesien)

"Militärgerichte sind Sondertribunale, wann werden sie abgeschafft?" - das war der Titel eines Artikels, der im Oktober 1990 in der Zeitschrift "Al-Fajr" erschienen ist. Die Wochenzeitschrift ist das Sprachrohr der islamistischen An-Nahda-Bewegung. Der Autor des Artikels, Muhamed An-Nouri, beschäftigt sich darin mit der Geschichte der Militärgerichte in Tunesien. Er stellt fest, daß sie in der heutigen Form die in der Verfassung garantierten Menschenrechte verletzen. An-Nouri fordert die Abschaffung der Militärgerichte in seinem Land. Das tunesische Verteidigungs- ministerium nahm Anstoß an dem Artikel und der Militärstaatsanwalt eröffnete ein Verfahren gegen den Autor und gegen den Herausgeber der Zeitschrift, Hamadi Jebali. Der Rechtsanwalt Muhamed Al-Hadi Zamzami, der seit 1992 politisches Asyl in Deutschland genießt, hatte damals die Verteidigung der beiden Angeklagten übernommen:

Mona Naggar |
    "Militärgerichte sind Sondertribunale, wann werden sie abgeschafft?" - das war der Titel eines Artikels, der im Oktober 1990 in der Zeitschrift "Al-Fajr" erschienen ist. Die Wochenzeitschrift ist das Sprachrohr der islamistischen An-Nahda-Bewegung. Der Autor des Artikels, Muhamed An-Nouri, beschäftigt sich darin mit der Geschichte der Militärgerichte in Tunesien. Er stellt fest, daß sie in der heutigen Form die in der Verfassung garantierten Menschenrechte verletzen. An-Nouri fordert die Abschaffung der Militärgerichte in seinem Land. Das tunesische Verteidigungs- ministerium nahm Anstoß an dem Artikel und der Militärstaatsanwalt eröffnete ein Verfahren gegen den Autor und gegen den Herausgeber der Zeitschrift, Hamadi Jebali. Der Rechtsanwalt Muhamed Al-Hadi Zamzami, der seit 1992 politisches Asyl in Deutschland genießt, hatte damals die Verteidigung der beiden Angeklagten übernommen:

    O-Ton Muhamed Al-Hadi Zamzani: Hamadi Jebali und Muhamed An-Nouri sind verhaftet worden, und die Zeitschrift durfte nicht mehr erscheinen. Beide kamen vors Militärgericht, das ja Thema des Artikels war, obwohl keiner der beiden Armeeangehöriger ist. Sie wurden wegen der Diffamierung einer juristischen Institution angeklagt. Am 31. Januar 1991 ist Jebali zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden und An-Nouri zu sechs Monaten.

    Bereits im Juni 1990 mußte sich Hamadi Jebali wegen eines kritischen Artikels vor Gericht verantworten. Er ist damals zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Zeitschrift durfte daraufhin drei Monate lang nicht erscheinen. Mit ähnlichen Repressalien gingen die tunesischen Behörden gegen andere regierungsunabhängige Zeitungen und Journalisten vor. Auch die ausländische Presse ist von der Zensur nicht ausgenommen. Die französische Tageszeitung "Le Monde" wurde im letzten Jahr ungefähr 80 mal verboten. Im Sommer letzten Jahres hat der internationale Verband der Zeitungsverleger den tunesischen Verband ausgeschlossen, weil es ihm nicht gelungen ist, die Pressefrei- heit in Tunesien zu verteidigen. Dabei begann die "neue Ära", wie die Zeit nach dem 7. November 1987 in Tunesien genannt wird, vielversprechend. Habib Bourgiba, Präsident auf Lebenszeit, der das Land über dreißig Jahre lang regierte, war von seinem Ministerpräsidenten abgesetzt worden. Ben Ali unternahm tatsächlich erste Schritte Richtung Demokratie. Er gewährte eine Amnestie für politische Häftlinge. Der Rechts- anwalt Muhamed Al-Hadi Zamzami war einer der Freigelassenen. Er ist Mitglied der An-Nahda-Bewegung:

    O-Ton Muhamed Al-Hadi Zamzami: 1987 sind freigelassen worden, und einige Monate später kehrten wir zur politischen Arbeit zurück. Wir wollten im Rahmen des Gesetzes und der Verfassung arbeiten. Deshalb stellten wir einen Antrag auf Parteiengründung. Es hieß immer, daß unser Name "Die Bewegung der islamischen Tendenz" das Hindernis sei, als ob wir damit implizieren würden, daß nur wir islamisch seien und alle anderen nicht. Also wählten wir einen neuen Namen und hießen fortan "An-Nahda", was soviel heißt wie Aufschwung oder Fortschritt. Wir waren optimistisch und wollten dem Volk und dem Land Aufschwung bringen.

    Die Bewegung der islamischen Tendenz ist 1981 vom Schullehrer Rashid Al-Ghannushi gegründet worden. Sie besteht vorwiegend aus Akademikern und Studenten. Die Standpunkte von Al-Ghannushi gelten als gemäßigt islamisch. Nach den Statuten der Bewegung wird als erstes Ziel die Konsolidierung des republikanischen Systems und der Schutz der demokratischen Gesellschaft genannt. Von Anfang an dabei war auch Hamadi Jebali:

    O-Ton Muhamed Al-Hadi Zamzani: Ich kenne Hamadi Jebali schon lange, seit Ende der siebziger Jahre. Als ich ihn kennengelernt habe, hat er als Ingenieur bei einer Firma gearbeitet. Hamadi Jebali gehört zu den Führungskräften der Bewegung. Er hat sogar nach der großen Verhaftungswelle von 1981 die Führung übernommen und stand an der Spitze von 1982 bis 1986. Er verfolgte die gleichen Prinzipien wie alle anderen auch, also eine politische, friedliche und gemäßigte Linie.

    Obwohl der Antrag der Islamisten, eine Partei zu gründen, abgelehnt wird, wird ihnen die Gründung einer Zeitschrift in Aussicht gestellt. "Al-Fajr" durfte erstmals im April 1990 erscheinen. Der Herausgeber war Hamadi Jebali. Das Innen- ministerium legte eine Auflage von 40 000 Stück für ganz Tunesien fest. Oftmals war die Zeitschrift in den ersten Stunden nach Erscheinen ausverkauft. Die Popularität der An-Nahda zeigte sich bereits bei den Parlamentswahlen ein Jahr zuvor. Sie unterstützte unabhängige Listen und bekam nach offiziellen Angaben 17 Prozent der Stimmen. Sie war die zweitstärkste politische Kraft im Land. Es ist anzunehmen, daß dieses Ergebnis und die Zuspitzung der Lage im Nachbarland Algerien den tunesischen Staat zu einem härteren Vorgehen gegen die Islamisten bewegte. Sie wurden beschuldigt, ein Attentat auf den Präsidenten und einen Umsturzversuch geplant zu haben.

    In zwei Prozessen vor den Militärgerichtshöfen sind über 250 Unterstützer der An-Nahda zu langjährigen bis lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. Dazu gehört auch Hamadi Jebali. Er wurde zu 16 Jahren Haft verurteilt. Nach den Aussagen von Beobachtern der Gefangenenhilfsorganisation amnesty international, die an den Prozessen teilnehmen durften, entsprachen sie in keiner Weise internationalen Standards. Die Möglichkeiten der Verteidigung waren eingeschränkt und Geständnisse, die unter Folter erpreßt wurden, durften als Beweismaterial zugelassen werden. Die Haftbedingungen der politischen Gefangenen sind sehr schwierig. Muhamed Al-Hadi Zamzami:

    O-Ton Muhamed Al-Hadi Zamzami: Die Gefangenen werden oft von einem Gefängnis ins andere verlegt. Ich habe gehört, daß Jebali zur Zeit im Gefängnis der Hauptstadt inhaftiert ist. Durch meine Erfahrung als früherer Gefangener und als Rechtsanwalt, der viele Besuche in Gefängnissen unternommen hat, kenne ich die Zustände. Die Haftbedingungen sind sehr hart. Es ist verboten zu lesen, zu schreiben, Medikamente zu bekommen oder einen Arzt zu treffen oder gar ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Es ist auch verboten, daß Angehörige ihren Verwandten Essen bringen. Diese harten Haftbedingungen erklären den Tod von einigen Gefangenen. Selten kommt jemand in Tunesien aus dem Gefängnis, ohne krank zu sein.