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Hamburg, aber anders
Stadtspaziergang durch moderne Architekturlandschaften

Im Hamburger Hafen und auf Sankt Pauli wird gebaut: Die Elbphilharmonie nach dem Entwurf der Schweizer Architekten Herzog und de Meuron soll bald zum Aushängeschild der Stadt werden. Aber auch an normalen Wohnhäusern ist mit den "Archimaps" moderne Architektur zu entdecken.

Von Dieter Jandt |
    "Also wir sind hier beide groß geworden; und hier in der Hopfenstraße direkt als Kinder. Wir sind hier zur Schule gegangen und auch konfirmiert, getauft worden, geheiratet hier auf Sankt Pauli. Und wir wollten hier nicht weg. Und jetzt hier diese moderne Anlage gefällt uns wunderschön. Wir sind jetzt beide 80, aber es ist alles für uns so schön gebaut."

    Hamburg, St. Pauli, gleich hinter der Reeperbahn. Was uns hierher zieht, ist die pure Lust, die Lust an moderner Architektur. Ein seltsam verschachteltes Gebäude auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei weckt unser Interesse. Dort hat es sich soeben ein betagtes Paar auf der Terrasse gemütlich gemacht. Dass man auf die alten Tage noch so gut untergekommen ist!

    "Wir haben hier eine wunderschöne Parkanlage. Wir können hier parken, ist ruhig, auch. Dass die Mädchen nicht mehr hier sitzen durften, hier drüben, die ja immer in den Fenstern, also so weit gefällt uns das hier sehr gut."

    Hier ist die Zukunft, und die Alten nehmen dran teil. Noch vor wenigen Monaten erstreckte sich die Rotlichtzone bis an die neue Wohnanlage heran. Drüben, gleich hinter dem Spielbudenplatz pulsiert noch das alte St. Pauli: Viele Altbauwohnungen in marodem Zustand. Aber das Viertel beginnt, sich zu ändern. Selbst die berühmt-berüchtigte Davidwache hat nun einen hochmodernen Anbau mit großen Fenstern bekommen, auf dass Täter, Opfer und Polizisten in eine lichtere Zukunft blicken mögen.

    "Ist ein starker Kontrast in jedem Fall. Hier sind kleine Gassen, kleine Durchwege, Plätze machen sich auf, also das ist schon eine gelungene Art und Weise, städtebaulich das einzubinden. Das ganze Astra-Gelände ist neu bebaut worden. Das sind Wohngebäude, die natürlich von dem Architekten Blauraum inspiriert sind, die als Erste in der Bogenallee einen Altbau neu umgebaut haben - und dann komplett in Holzfassaden verkleidet haben."

    Nils Peters. Er hat mit Kollegen sogenannte Archimaps herausgegeben. Das sind kleine Faltpläne zu neuer Architektur, in diesem Falle der von Hamburg. Auf diese Weise kann man die Stadt einmal anders erforschen, ohne Reeperbahn, Michel und Jungfernstieg. Und da der Reisende ohnehin hauptsächlich Gebäudelandschaften im Blick hat, stehen wir nun also staunend vor dieser eigentümlichen Schachtel, umgeben von anderen eigentümlichen Schachteln.

    "Die Volumina sind hier natürlich sehr differenziert, sehr stark ausgeprägt und überformt, sodass Erker entstehen und Überbauungen und Balkone, die sehr massiv wirken, und eigentlich alles mehr oder weniger aus einem Guss erscheint; hat natürlich so ein bisschen auch den Geschmack des Verkleideten."

    Die Außenfassade ist mit rotbraunen Kunstharzplatten in Holzdekor beschichtet. Einzelne Zimmer stehen wie Boxen vom Grundriss des Gebäudes ab. Der Gegend mangelt es noch an Infrastruktur; drüben ein Café, daneben ein Discounter. Und über allem erhebt sich das gläserne Riverside-Hotel, noch ein Neuling, erbaut von David Chipperfield, der auch für das Neue Alte Museum in Berlin verantwortlich zeichnete.

    "Es ist keine kalte Moderne, eine sehr mit Leben gefüllte Moderne. Bei dem Hotel hat er eine ganz starke, vertikale Rasterung gewählt, und den Kubus, ganz interessant, durch kleine Verschnitte und Winkel lebendiger gemacht und aufgelöst und dynamisiert. Und mal abgesehen davon ist es natürlich auch ein hohes Gebäude, was der Hamburger Stadtkrone, also die Sichtbarkeit der ehemaligen Kirchen jetzt neu interpretiert; ist das natürlich das erste und sichtbarste Zeichen und sicherlich nicht das Schlechteste, was man hätte wählen können."

    Jahrhundertelang galten die Kirchturmspitzen den heranfahrenden Schiffen als erste wahrnehmbare Symbole der Stadt, längst sind es die Gebäude der Moderne.

    Gleich hinter dem Hotel verläuft die Hafenstraße, an der bis vor circa fünfzehn Jahren die Autonomen noch Häuser besetzten. Die sind nun ebenfalls durch Hochhäuser ersetzt: furchtbare, wie Nils Peters, selbst Architekt, naserümpfend bestätigt. Auch das Riverside Hotel nimmt der Laie zunächst nur als neuzeitlichen Klotz wahr, der da bronzefarben vor sich hin schillert, immerhin variabel im Farbton. Man muss schon genauer hinschauen, um der Ausrichtung des Gebäudes und der Stellung der beiden Baublöcke zueinander etwas abzugewinnen.

    Der Postbote kommt auf dem Rad heran. Und wenn er nicht immer nur auf Briefkästen schaut, sollte er sich ein Urteil erlauben können.

    "Riverside, schönes Gebäude. Ja, das Teure halt, den Luxus halt, mehr eigentlich nicht. Also mich zieht es eigentlich auch nicht wirklich an. Vom Gebäude her, ja, nicht so mein Ding. Aber es ist halt teuer und schön, sag ich mal."

    Ein zwiespältiges Verhältnis also, und auch wenn es ihn nicht wirklich anzieht, er muss ja hin, um die Post zu verteilen.

    Wir aber wenden uns einem anderen Highlight der Moderne zu: Am Elbufer und darüber hinaus tut sich einiges. Wir suchen das Floating Home und haben die braunen, verspiegelten Gebäude der vorgelagerten Kais im Blick, die da in die Elbe hineinragen. Aber gleich unten, am Jachthafen steht das Ding, auf das es eigentlich ankommt, oder besser gesagt: Es steht nicht, es dümpelt vor sich hin, im Hafenbecken.

    "Das ist natürlich eine hochoriginelle Idee, wohnen auf dem Wasser, verschiebbar und vor allem auch mit dem Tidenhub mitgehend, die Floating Homes sind tatsächlich das erste Mal … baugenehmigungstechnisch sind es Häuser, die auf dem Wasser sind. In einer ästhetisch hochinteressanten Form. Also es ist tatsächlich eine komplette Kreuzung zwischen modernem Einfamilienhaus und einem Boot."

    Das Originelle erschließt sich erst, wenn man auf dem Kai halb um den Bau herumgegangen ist. Dann erst nimmt man die Rundungen des oberen Geschosses wahr, das da auf einem rechteckigen, holzvertäfelten Erdgeschoss thront und sich so dem maritimen Ambiente an der Elbe anpasst. My boat is my castle, auf 200 Quadratmetern.

    "Von daher eine ganz clevere Überlagerung, dieses hier, dass jetzt hier an den Überseebrücken liegt, das kann man mieten für Partys. Also ich kenn sogar Leute, die dort schon gefeiert haben. Also das ist hier eine unglaubliche Atmosphäre direkt am Hafen. Es sollte mal ein Wohngebäude sein, liegt jetzt aber hier an exponierter Stelle, um dafür auch Werbung zu machen."

    300 Tonnen schwer ist das Haus, verfügt über ein Schwimmfähigkeitszeugnis und kann also auch an anderen Ufern für Aufsehen sorgen. Eine Touristin schlendert die Hafenmauer entlang.

    "Also ich möchte so was nicht haben, weil ich nicht auf dem Wasser leben mag, aber sonst finde ich so etwas toll. Für Leute, die das Wasser mögen, finde ich so etwas toll. Aber das Portemonnaie muss man auch haben, nicht. Meins ist nicht groß genug."

    Nach ihr schleppen einige Kinder ihre Schulranzen über den Kai. Auch deren Portemonnaie ist nicht besondern groß, aber einen Blick für moderne Architektur haben sie allemal.

    "Ich finde, das sieht schön aus."

    "Ja sieht cool aus."

    "Irgend so ein Schauhaus, wo irgendwas ausgestellt wird."

    "Mehr so ein Designerhaus. Also sieht nach Design aus."

    "Hotel oder so."

    "Ist ja cool."

    Aber als Wohnung? Da denken sie mit einem Male ziemlich pragmatisch. Allein die Anbindung!

    "Ist bestimmt Scheiße, weil: Man braucht da ziemlich lange bis zur Schule."

    "Nicht so gerne, weil, das ist direkt am Wasser, und da sind ja auch immer die Schiffe abends, und da ist es dann immer so laut."

    "Im Winter nicht. Sommer schon."

    "Ich will auch drin wohnen, weil: Das sieht cool aus wegen den Fenstern immer."

    "Ja, mit dem Holz, nicht."

    "Ja, sieht hübsch aus."

    Im oberen Geschoss hat man durch die Fenster, die fast die gesamte Vorderfront einnehmen, einen freien Blick über die Elbe und auf den Frachthafen gegenüber. Gleich nebenan liegt ein altes rotlackiertes Feuerschiff vor Anker, ein Museumsstück, das nun als Restaurant dient.

    Und wieder falten wir die Archimap auseinander, halten sie gegen den Wind auf der Suche nach weiteren neuen Objekten.

    "Ja die Archimaps sind prinzipiell für jeden natürlich, die Zielgruppe ist natürlich schon der Architekturinteressierte, auch der Reisende, der, sagen wir mal, sich Hamburg anschauen möchte für vier, fünf Tage, einen normalen Reiseführer hat und darüber hinaus eben auch die sichtbare neue Architektur sich näher führen möchte und sagt: Das interessiert mich, das würde ich gern sehen und ein bisschen mehr erfahren."

    85 Gebäude sind auf der Karte verzeichnet. Zu den Fotos gesellen sich einige Informationen, wer dort jeweils gebaut hat, in welcher Absicht und in welchem Stil. Auf der Rückseite befinden sich zehn mögliche Touren in Fußdistanz, bei denen man die Moderne der Stadt vor Augen geführt bekommt. Und damit man die Orientierung nicht verliert, ist ein kleiner Ausschnitt des jeweiligen Bezirkes beigefügt. Hamburg, München und Berlin sind schon erfasst, nun kommen weitere Städte hinzu.

    Vom Baumwall aus schauen wir die Neubauten der Hafencity entlang. Nichts weniger als das größte innerstädtische Stadtentwicklungsprojekt Europas. Also wechseln wir zum Sandtorkai hinüber und bestaunen über einen Seitenarm der Elbe hinweg ein helles, verglastes Gebäude mit verschiebbaren roten Fassade-Elementen. Im Hintergrund erkennt man die Backsteinbauten der Speicherstadt.

    "Also das Gebäude ist ein besonderes Gebäude aus unserer Sicht, weil das die schwere Assoziation zur steinernen Architektur der Speicherstadt verbindet mit einer modernen, leichten verschiebbaren Fassade, und das Gebäude versucht eine fast segelhaftig, also fast mit Segeln, also einerseits die Assoziation zum Hafen darzustellen, und deswegen empfanden wir, dass das Gebäude besonders zu besprechen wäre."

    Pielgerade, wie der Hamburger sagen würde, ziehen sich die Häuserreihen den Kai entlang und schweben dabei leicht über dem Wasser. Erker ragen gewagt über das Eck hinaus.

    "Ist stark kritisiert im Städtebau seitens der Bürgerschaft in Hamburg, dass es eben doch ein sehr rigider, einfacher - man könnte fast unterstellen, ein investorenfreundlicher - Bebauungsplan ist. Aber auf der anderen Seite sind natürlich genau diese auskragenden Momente wiederum etwas, was Spannung hereinbringt, ein Schattenspiel, eine Differenzierung des Baukörpers. Das hat natürlich die alte Speicherstadt nicht."

    Ein momentan noch sehr betriebsames Viertel. Überall wird gewerkelt, vor allem an der Elbphilharmonie. Noch in Bauplanen verhüllt, so steht sie am Ende der langen Häuserfluchten, und die Hamburger sind sehr gespannt auf den Moment, da die Planen endlich abgezogen werden.

    "Die Elbphilharmonie ist ein großartiger Entwurf von dem Schweizer Architekten Herzog, de Meuron, und das hat so einen guten Anklang gefunden in der Bürgerschaft, dass eine Aktion gestartet wurde, die private Gelder gesammelt hat. Der Entwurf selber hat zumindest den Anspruch, nicht ganz unberechtigt, dass er mit dem Opernhaus von Sydney mithalten kann, denn die Form soll die eines Klippers, also die eines Seglers evozieren. Das Gebäude selber ist dann nicht nur die Philharmonie, sondern auch ein Hotel und einige Wohnungen, ein sehr durchdrungenes Gebäude mit einer großen Aussichtspromenade, und ist eben auf den alten Kaiserspeicher gebaut, also auch da wieder eine Durchdringung von alt und neu."

    Der alte, klobige Kaiserspeicher bekommt einen gläsernen, wellenförmigen Aufbau. Früher fuhr jedes Schiff, das in den Hafen einlief, auf diesen Speicher zu, später diente er als Lagerstätte für Kakao, Tee und Tabak. Das Neue nimmt das Alte ein und kaum jemand stößt sich daran. Eine junge Frau sitzt draußen vor einem Café der Hafencity.

    "Finde ich super. Kostet sehr viel Geld, wird aber ein gigantisches Aushängeschild für Hamburg. Und wenn das Gebäude erstmal steht und wenn es erstmal da ist, werden es alle ganz großartig finden."

    Fast 500 Millionen wird das Gebäude verschlingen, bis es fertig ist. Das allerdings hat für reichlich Ärger in den zuständigen Behörden gesorgt. Aber insgesamt scheinen die Hamburger den Umbau der Hafencity positiv aufzunehmen.

    "Also natürlich ist es eine schöne moderne klare Architektur, für meinen Geschmack ist es ein bisschen zu kühl und en bisschen zu abstrakt. Aber an sich finde ich es schön, also gerade mit dem Blick Richtung Hafen raus. Also im Grunde haben sie es mit den Fenstern die Architektur ganz gut aufgenommen, also dass die ein bisschen was von den alten Gebäuden aufgenommen haben. Aber an sich, um jetzt hier zu leben und zu wohnen, für mich wär es en bisschen zu kalt. Aber ich kenne durchaus Leute, die das sehr begeistert und die gerade deswegen herziehen."

    Auch einige Kids fühlen sich angezogen. Sie laufen seit einiger Zeit über die Stufen der Hafencity und lichten alles ab, was ihnen an Neuer Architektur vor die Linse kommt.

    "Wir finden das hier sehr schön, dass jedes Haus auch irgendwie was anderes hat, und irgendwie irgendwas Besonderes halt dran ist, und dass man viel zum Gucken hat, und auch einfach hier zu wohnen wär total schön. Und es ist einfach mal was ganz Neues in Hamburg und irgendwie die ganze Atmosphäre ist schön."

    "Ja, ich finde das auch, und man sieht, wie viel Mühe sich hier gegeben wurde, etwas Besonderes zu schaffen. Und also es ist eine ganz schöne Atmosphäre auch hier, finde ich."

    "Das Moderne auch … Also es sieht alles super-chic auch aus."

    "Also, man kann schon sagen: Das Alte und Neue das beißt sich und so, aber irgendwie ist das auch schön, dass das zusammengefügt wird. Also es gibt ja auch einige Häuser, die mit Backsteinen versucht wurden, ähnlich zu machen. Einfach, damit das zusammenpasst."
    "Floating Homes" im Hamburger Hafen.
    "Floating Homes" (C archimappublisher)
    Moderne Architektur im Hamburger Hafen.
    Im Hamburger Hafen (C archimappublisher)