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Hamburger Polizei beschlagnahmt Goldenen Esel

Der Platoniker Lucius Apuleius starb zwar schon vor eintausendneunhundertvierundzwanzig Jahren. Doch jetzt schritt die Hamburger Polizei ein und beschlagnahmte – wie "Bild" sich heute freut - "ein Ekel-Video, das während des Sex-Spektakels auf einer riesigen Leinwand flimmert." Das "Sex-Spektakel" ist eine Aufführung der katalanischen Theatergruppe "La Fura Dels Baus", die das Traktat "Philosophie im Boudoir" des Marquis de Sade umfunktioniert hat zu einer Denunziation der Porno-Industrie unserer Tage - was zu verstehen man weder der "Bild"-Zeitung noch der Schill-geschulten Hamburger Polizei zumuten kann.

Von Otto Köhler |
    Seit Wochen trommelte "Bild"-Hamburg gegen die deutsche Erstaufführung der schon in Großbritannien und Spanien sehr erfolgreichen Inszenierung auf dem Kampnagel-Festival. Mahnwachen der (Ex-Schill)-"Partei Rechtsstaatliche Offensive" zogen vor dem Kampnagel Gelände auf und protestierten gegen Unmoral und Verschwendung von Steuergeldern.

    Heute kann "Bild" den Vollzug melden: Der Staatsanwalt ermittelt wegen Verdachts einer Straftat und auch ein Polizeisprecher versicherte "Bild": "Das ist eine Straftat, die laut Gesetz mit Haft von bis zu fünf Jahren bestraft wird. Wir ermitteln und prüfen, ob wir dieses Theaterstück stoppen lassen."

    Das "Ekelvideo", das gestern am Nachmittag beschlagnahmt wurde, zeigt, ich konnte es gestern Abend auf Kampnagel nicht mehr sehen, aber ich verlasse mich auf "Bild": "Eine nackte Frau, die Sex mit einem Esel hat."

    Ach ja, das kann man weder "Bild" noch der Hamburger Polizei zu wissen zumuten. Schon um das Jahr 180 nach Christus hat Lucius Apuleius in seinen "Metamorphosen", bekannt auch unter dem Titel "Der goldene Esel", die Geschichte des jungen Lucius geschildert, den es in ein hexenbeherrschtes Thessalien verschlägt und der dort wegen seiner Wundersucht in einen Esel verwandelt wird. In dieser Eselgestalt treibt er das – was auch auf dem knapp zwei Jahrtausende später beschlagnahmten Video zu sehen ist - mit der erfahrenen Zofe Photis, die ihn überhaupt erst in die Liebeskunst einführt.

    In Hamburg muss man nichts wissen von diesem ersten Roman der Weltliteratur, dessen Nachwirkungen weit über Boccaccio, Cervantes und Grimmelshausen hinausreichen. Solch abendländischer Intellektuellenkram ist einem hochwohllöblichen Senat unter Ole von Beust völlig fern, der jetzt den Anteil der Geisteswissenschaften an der Universität auf die Hälfte herunterfahren will. "Bild" tadelt, dass der Senat das Kampnagel-Festival aus Steuergeldern mit 650.000 Euro fördert. Es wäre nützlich, wenn der Senat wenigstens diese Summe einsparen könnte, denn er hat gerade erst endgültig beschlossen, ein Hobby des Millionärs und ehemaligen Vorstandschef des Springer-Konzerns Peter Tamm mit 30 Millionen Euro zu fördern. Die bekommt der ehemalige Herr der "Bild"-Zeitung um ein Museum für seine Andenken - Schiffsmodelle aus Knochen und Marineschinken - einzurichten. Und da ist es eine gute Nachricht, wenn "Bild" heute melden kann: "Polizei filzt Porno-Theater."

    Das Schlimmste allerdings im Hamburger pornographischen Angebot hat "Bild" in diesem Artikel noch nicht entdeckt: "Abartig VERSAUT!", "Hose auf! Ich stöhne für Dich solange Du es brauchst" "Spritz es mir jetzt rein."

    Solche Pornographie gibt es nicht auf Kampnagel. Auch wenn eine "Hamburgerin (gierig nach XXX) mit Auto kommt wohin Du willst". Auf Kampnagel ist das nicht zu haben, es steht als jederzeit verfügbares Angebot samt Telefonnummer in der selben "Bild"-Zeitung, die unter den "perversesten Sexpraktiken" im Theater leidet, aber auch die Anzeige druckt: "Scharfe Witwe 69J. verwöhnt Dich privat".

    So steht es auf Seite 27 von "Bild"-Hamburg. "Friede Springer, Witwe des Verlagsgründers", meldet die selbe "Bild"-Ausgabe auf Seite 1, gründete jetzt eine Stiftung zur Erforschung von Herz- und Kreislauferkrankungen". Die Springer-Witwe ist allerdings 62 Jahre alt und verantwortet letztlich – als oberste Puffmutter der Nation? -auch die pornographischen Kuppel-Anzeigen in "Bild".