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Hamlet in der Quarterlife-Crisis

Der erst 28-jährige Regisseur Tilman Köhler präsentiert mit seinem Hamlet am Berliner Maxim Gorki Theater eine radikale Form des Stücks aus heutiger Sicht. Er zeigt eine Generation, die auf der Suche nach dem richtigen Weg ist.

Von Hartmut Krug |
    Sie springen heraus aus dem Dunkel auf eine glänzende Fechtbahn am Bühnenrand, die jungen Leute. Denn jung sind hier alle, bis auf Polonius und den Schauspieler, selbst Gertrud und Claudius. Doch anders als bei Michael Thalheimers "Hamlet" kürzlich am Hamburger Thalia Theater konkurrieren in Tilman Köhlers "Hamlet" nicht zwei Gleichaltrige sowohl um die Macht wie um Gertrud als Frau und Mutter, sondern sie suchen ihren Platz in der Gesellschaft.

    Der 28-jährige Regisseur Tilman Köhler zeigt seine Generation, wie sie auf der Suche nach ihrem Weg und Ort schwankt zwischen der Kapitulation vor der Unüberschaubarkeit der Welt, der Angst vor der Verantwortung und dem Willen zum Handeln. So springen die Schauspieler von ihrer Wartebank vor dem die Bühne verschließenden Eisernen Vorhang immer wieder auf die Planche, um in Standbildern suchend zu blicken und lauernd auf dem Sprung zu sein. Es ist eine radikal heutige Sicht auf einen Hamlet, mit einem Ensemble, das mit kräftiger, virtuoser Körpersprache heftig sein Lebensgefühl versinnlicht. Wie Ophelia und Laertes miteinander albern, wenn der Bruder seiner Schwester zum Abschied Verhaltensregeln erklärt, oder wie der fulminante, witzig-kräftige Michael Klammer als Hamlets Studienfreund Horatio mit diesem kumpelhaft umgeht und zugleich verstört ist von der Erfahrung mit dem Geist und dem Bösen, das besitzt gleichermaßen Schauwert wie innere Sinnfälligkeit.

    Zugleich vertraut Köhler dem alten Text in Heiner Müllers Übertragung, ohne ihn umgangssprachlich aufzupeppen oder äußerlich zu aktualisieren. Hamlet ist beim hochgewachsenen, erst 26-jährigen Max Simonischek anfangs ein nöliger Übelnehmer, der sauer auf seine Mutter und seinen neuen Stiefvater ist. Doch wenn ihm seines Vaters Geist erschienen ist, zaudert er nicht mehr. Auch verstellt er sich wenig und spielt kaum den Wahnsinnigen, sondern er will handeln. Das Spiel der "Mausefalle" überlässt er deshalb nicht völlig den Schauspielern, die in dieser Inszenierung nicht als Truppe auftreten, sondern von einer einzelnen Akteurin gegeben werden. Ursula Werner stellt ihren Schauspieler wie ein Zitat aus einer anderen, langsamen Zeit vor, der dem vitalen Hamlet viel zu bedächtig ist. Also reißt Hamlet Ophelia zum gemeinsamen Vorspiel der Mordtat von Claudius auf die Bühne. Doch wie und wann er eingreifen soll, wie er Rache nehmen kann, ohne sich die Hände schmutzig zu machen, das bleibt für ihn lange die Frage.

    Wie der famose Max Simonischek die berühmten Monologe von Hamlet mit ein paar umgangssprachlichen Denk-Sprachblasen auflockert, dabei mit einer Hand gestikulierend, die andere oft in die Hüfte gestützt, das nimmt ihnen jedes Zitat-Pathos. Ohne alles historisierende Dekor setzt Köhlers Inszenierung allein auf die Sprache der Worte und der Körper. Gefochten wird hier mit dem stets präsenten Erkennungsutensil der jungen Generation, mit Wasserflaschen aus Plastik. Das wirkt nie grotesk, sondern so selbstverständlich wie erschreckend.

    Es ist auch eine Inszenierung der Schauspieler, die für die Haltungen ihrer Figuren viele wunderbare Bilder finden. So übersetzt Julischka Eichel die zwischen eigenen Gefühlen und Fremdbestimmtheit schwankende Zerrissenheit ihrer Ophelia in eine virtuose, zappelige Zeichenhaftigkeit. Wie sie in ihrer Wahnsinnszene vor und mit dem Publikum Gassenhauer singt, wie sie zwischen Bewusstheit, Spiel und Verzweiflung changiert, das zeigt wunderbar, dass dieser Ophelia nur der selbstgewählte Ausweg in den Wahnsinn bleibt. Der Rest ist nicht Schweigen, sondern ein Auftritt der Truppen von Fortinbras, bei dem die Darsteller von Rosenkranz und Güldenstern als Trommler eine als auftrumpfendes Tankgirl tobende Ophelia-Darstellerin begleiten: Besser wird die neue Zeit nicht werden.

    Der Jubel des Publikums war zu recht groß nach diesem so ernsthaft leichten, zeitgenössischen "Hamlet" am Berliner Maxim Gorki Theater. Es war mit dreieinhalb Stunden ein langer, aber nie langwieriger Abend. Tilman Köhlers "Hamlet": ein Theatertriumph.