Montag, 29. April 2024

Archiv


Hamlet schwerelos

Der junge österreichische Autor Ewald Palmetshofer gilt schon seit einiger Zeit als neuer Stern am Dramatikerfirmament. Die Inszenierung seiner Stücke, über den Wortlaut hinaus, lässt er völlig frei. Das Köln-Düsseldorfer Analog-Theater bringt zurzeit das Stück auf die Bühne bringt, das Palmetshofer bekannt gemacht hat: "hamlet ist tot. keine schwerkraft"

Von Peter Backof | 05.09.2012
    Es werde Nebel und :

    Es werde Musik! So beginnt "hamlet ist tot. keine schwerkraft" von Ewald Palmetshofer, Jahrgang 1978, in der Inszenierung von Daniel Schüssler, Jahrgang ´73: mit Nebelschwaden bis in den Zuschauerraum. Und buchstäblich nebulös ist auch das, was die sechs Schauspieler dann an Spieltext vortragen.

    "Weil diese Jungen, diese Generation, diese junge Generation, das ist jetzt seit einiger Zeit, dass das schon die nächste Generation, dass Du jetzt leider schon in einem Alter, wo Du sagen musst: ja, das ist wieder eine Generation und die haben nicht die gleiche Scheiße wie Du im Hirn!"

    Es holpert, es mäandert, es wütet auch und flucht ausgiebig, aber vor allem: fehlen die Verben und die Adjektive. Das hat mit Migranten-Sprache á la "Ich Bahnhof – wo Du?" wenig zu tun. Der exzentrische Singsang ist vielmehr der Grund, warum Palmetshofer seit etwa fünf Jahren bei der deutschsprachigen Theaterkritik als Genie gilt. Regisseur Daniel Schüssler:

    " Diese Kunstsprache, die auch was sehr Ausgeschnittenes hat, was sehr Klangliches, das ist ja das, was wir hier in der Inszenierung versuchen: dann wird das Ensemble zu so ner Art Gruppenkörper, ja."

    Die Figuren heißen Dani, Mani, Oli, Bine, Kurt und Karo. Das klingt nach einer Jugendclique, ist aber keine. Ein vager Plot - eher Tragödie als Komödie: Eine alte Frau ist irgendwann die Treppe hinuntergefallen, ein 95-jähriger Hannes hat etwas damit zu tun oder ist er der Tote? Das Bühnenbild ist, wenn sich der Nebel verzieht, ein Friedhof, angedeutet durch zwei Erdkästen, sprich Gräber. Aber ehe man hier irgendeiner Form von Handlungsstrang folgen kann, wird das Spiel schon wieder unterbrochen, ja gesprengt, durch eine mathematische Universaltheorie: Weil Gott tot sei, habe man im Himmel eine Maschine installiert.

    "Zweite These. Doppelpunkt. Der Himmel ist eine Maschine und gibt die Zahl, wie das Amt, wie das Arbeitsamt, nein, wie die Maschine am Arbeitsamt. Und wenn Dir die Maschine eine Zahl gibt, dann rechnet man mit Dir."

    Schönes Sprachbild. Aber was hat jetzt dieser ominöse Hannes mit der Maschine zu tun? - Mani, Dani und Co suchen: nach Punkten, Linien, Funktionen – mathematisch. Übertragen auf die Lebenswirklichkeit ist das eine Suche nach ihrer eigenen Funktion, nach Sinn, vielleicht auch nach dem Gefühl der echten Trauer, um den Hannes? Die Welt ist – wie in Shakespeares Hamlet – aus den Fugen geraten. Aber – wie in "Endspiel" von Samuel Beckett, mit dem Palmetshofer recht deutlich kokettiert - kommt nichts mehr. Man findet keine Erdung mehr, daher der Titel: "keine schwerkraft". Daniel Schüssler:

    "Du hast diese großen Monologe bei Palmetshofer, die aber nur noch eine Ich-Befindlichkeit ausstrahlen. Es gibt keine Politik mehr. Außer meiner eigenen Befindlichkeit. Das ist auch vielleicht, was so ne Hamlet-Kritik ist: diese ganzen Hamlet-Texte, die um das Selbst kreisen, statt um die Lösung zu kreisen."

    Doch versteckt sich hinter Shakespeares Urtext ein Weltbild. Wenn es dem Herrscher gut oder wieder besser ginge, dann wäre die Welt noch zu retten. Das ist bei Palmetshofer – und kongenial auch beim Analog Theater ebenfalls passé. Daher der Titel: "hamlet ist tot" Daniel Schüssler inszenierte vor "Hamlet" schon "Woyzeck" und "Lulu" als Urbilder des Scheiterns. Der Politik kann man nicht trauen, noch weniger sich selbst, der man sich zynisch und chauvinistisch an Nachrichtenbildern berauscht: Wenigstens geht es mir noch nicht so schlecht. Ein Moralstück, eine herbe Zivilisationskritik zwar, in dieser Inszenierung, schlussendlich aber gemeint als: doch noch ein weiterer Rettungsversuch für "Das Zwischenmenschliche".
    " Ja, mit den Arbeiten´, die ich mache: das Hauptthema ist das Utopische: warum kommen Menschen nicht zu dem Ziel, wo sie eigentlich hin wollen, miteinander vernünftig zu leben?"
    „hamlet ist tot. keine schwerkraft“ in der Inszenierung des Analog Theaters
    „hamlet ist tot. keine schwerkraft“ in der Inszenierung des Analog Theaters (Deutschlandradio - Peter Backof)