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Hamlet und Hannes

Ewald Palmetshofer gehört zu den jungen Dramatikern, die dem deutschen Theater die intelligenteren Stoffe zuliefern. Für sein Stück "hamlet ist tot. keine schwerkraft" wurde der Österreicher zum "Nachwuchsdramatiker des Jahres 2008" gewählt. Jetzt ist es zum ersten Mal in Deutschland inszeniert worden und am Nationaltheater Mannheim zu sehen.

Von Christian Gampert | 21.01.2009
    Hamlet ist tot und das bürgerliche Erzähltheater sowieso, aber auch der Hannes ist tot. Wenn die Dani und der Mani nach Hause kommen in die Provinz, eigentlich, weil die Oma 95.Geburtstag hat, nebenbei aber auch, weil der Hannes beerdigt wird, dann wird das nicht gut gehen, weil da Welten und Ideologien aufeinanderprallen, fein säuberlich angerichtet von dem sehr österreichischen Sprachartisten Ewald Palmetshofer, ein Mann des Schmäh, der dekonstruktivistischen Phrase und der Fäkalsprache. Dani und Mani sind vielleicht Ende zwanzig, sie haben eigentlich nichts vor außer: ihren Weltekel zu kultivieren. Die Kämpfe gegen die Elterngeneration, die Herr Hamlet noch kämpfte, sind schon gefochten oder lohnen nicht, eigene Projekte sind nicht in Sicht, und politisch kann man sowieso nichts machen, das erledigt die Globalisierung; so haben die beiden, Brüderlein und Schwesterlein, sich in ein inzestuöses Liebesverhältnis zurückgezogen - und das ist einerseits natürlich anarchisch, wild und revolutionär, andererseits aber absolut hinterwäldlerisch, denn Inzest ist ja auch die Liebe der Dorfdeppen.

    Das alles stellt sich natürlich erst im Lauf des Abends heraus, denn der Mani und die Dani, schon die Namen sind ja Comic, treffen auf dem Friedhof die Bine und den Oli, mit denen sie früher mal über Kreuz verbandelt waren. Aber die Bine und der Oli sind nun, jedenfalls in Mannheim, ein bleich geschminktes Spießer-Paar, das bald "was Kleines" erwartet, also den Super-Gau - in der Sicht des mit komischer Zynik reich gesegneten Autors Palmetshofer, der gleichwohl immer mal wieder den lieben Gott sucht im leergefegten Himmel. Außerdem gibt es noch Manis und Danis Eltern, Kurt und Caro; der Papa will sein sexuelles System sprengen und ganz was Neues machen, also was Schwules, und die Mama möchte die Oma um die Ecke bringen, weil die partout nicht stirbt.

    Wir sind also mitten in einer alpenländischen Kleinbürgerhölle, und der österreichische Dialekt, seine Musik, seine Grundmelodien sind es auch, die die Phantasie des Ewald Palmetshofer zu immer neuen verhochdeutschten Tiraden und Suaden anfeuern. Da wird geschimpft und philosophiert und schwadroniert, immer mit Tempo 180 und auf der Suche nach der großen Liebe, die unerreichbar ist.

    - "Nie was draus worden der Länge nach mit diesen Menschenmännern, die du getroffen, die du, bist ja verdammt keine 20 mehr, die du der Länge nach getroffen hast. Leider nichts draus worden. Aber waren ja im Kern auch nicht ausgestattet, hast du dir, waren leider der Anlage nach im Kern nicht ausgestattet für die Unendlichkeit der Länge, leider nicht, denkst du dir und drum nichts draus worden und alle wieder verpisst ..."

    Also: hier waren Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek Taufpaten, Werner Schwab muss der Onkel sein und René Pollesch der beste Freund -wenngleich der nur Textflächen absondert, wo Palmetshofer noch Figuren schreibt. Das Hamlet-Thema ist Leitmotiv, es heißt: "die Alten feiern Geburtstag, und die Jungen gräbt man ein". Bei Thomas Brasch hieß das, Ende der 70er-Jahre: vor der Vätern sterben die Söhne.

    Cilli Drexel, die ingeniöse Regisseurin der Mannheimer Aufführung, hat aus diesem virtuosen Kauderwelsch nun einen ganz sprachorientierten Abend gemacht: das ist Poptheater, Diskurstheater, bisweilen monologischer Poetry-Slam. Eine schrillkomische Performance desillusionierter Sprechpuppen, harte, selbstbewusste, traurige Personen, Loser, die wie Planeten in einem Raum ohne Erdanziehung herumgeistern - "ohne schwerkraft" heißt ja der Untertitel. Natürlich ist das alles überspannt, karikaturistisch, auch oberflächlich, Lebensgefühl-Theater für die 30jährigen, die sich machtlos wähnen; und Palmetshofers steter Wechsel zwischen postmoderner Theoriesprache und Gosse, zwischen Wissenschafts-Slang und Analvokabular kann einem auch auf die Nerven gehen. Aber Cilli Drexel gibt dem Abend einen schönen Rhythmus, sie hält die Dynamik, 80 Minuten lang, sie seziert den verzweifelten Wunsch nach Heimat und Lebens-Sinn, nach politischer Teilhabe, der sich hinter all dem Gezeter ja auch verbirgt. Die Schauspieler sind durchweg virtuos, vor allem die aggressiv-anrührende Silja von Kriegstein. Und von Palmetshofer wird man noch hören - er ist in Wahrheit ein etwas ruppiger Theologe, der immer noch den lieben Gott such, aber nur postmoderne Theorie zum Verdauen vorfindet.