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Hamlet zwischen Matsch und Dreck

Brisant, provokant, Skandalregisseur und Regie-Berserker - das sind die Stichworte, die einem bei Volker Lösch einfallen. Lösch, der gerne Laien und Chöre auf der Bühne sieht, hat so einige Klassiker wie Medea und Faust inszeniert. In seinem neuesten Theaterexperiment gab es nun Hamlet in der Übertragung von Heiner Müller zu sehen.

Von Cornelie Ueding | 11.01.2009
    Eins, zwei, drei, viele Nackedeis entern die Bühne, behängt mit Fettschürze Schrumpelgenitalien, Wabbelbusen und schwerem Goldschmuck. Sie sind königliche Geblüts, manche jedenfalls, trauern mal schnell um den verblichenen König, rattern ein Stück Vaterunser herunter - und auf geht's zur Turbohochzeit: der souverän im Habitus des Realpolitikers auftretende Vater-Mörder und die alles andere als taufrische Witwe. Sie wagen ein Tänzchen und Hamlet macht ein verstocktes Gesicht dazu. Man fällt zum Gruppenbild zusammen und betätschelt sich. Ist ja praktisch, wenn man überall gleich so ran kann. Das Geschnatter dazu ist schnell und laut, die Musike heftig und kurz - und ich greife zum Mikro.

    Das müssten die Hörer hören, so einen schönen x-beliebigen Heavy Metal-Sound, unterlegt mit unverständlichem Geröhre. Kann man sich sonst schlecht vorstellen. Aber das Aufnahmegerät will nicht. Zeigt leere Batterie an. Das kann gar nicht sein, aber anstehende Reparaturversuche verschiebe ich erstmal - so wichtig ist das im Moment auch wieder nicht: denn Matsch kann man ja doch nicht hören.

    Und Matsch und Dreck, das Bühnenbild schlechthin, zeitigt gerade erste Höhepunkte. Eine Fläche voller feuchter Erde zwischen gefängnishohen schwarzen Mauern. Wer hier torkelt oder stürzt und aufeinander eindrischt - landet im Dreck. Schmeißt mit Dreck. Suhlt sich im Morast. Hamlet zum Beispiel - und schon verstehe ich den tiefen Sinn der, gottlob künstlichen, Nacktheit. Diese mit Schamhaaren, Po-Rille und Muskelpartien bemalte, rosige Nacktheitshülle ist so 'ne Art Taucheranzug für Schlammschlachten. Und all diese Blöße - das ist so ein schönes, eingängiges Zeichen fürs Existenzielle. Wir wissen ja: Hamlet eignet sich ja schon immer für Identitätssuchen. Schade, dass sich das Bild so schnell verbraucht. Aber erstmal kommt Hamlet angerannt und wütet auf uns ein. Claudius auch, der sagt, wo's jetzt langgeht.

    Von Shakespeare ist das nicht, aber ganz aktuell: Bankenkrise, Finanzkrise, Globalisierung, verzockt. Und wie er regieren will, sagt er auch. Worthülsen, Schaufensterrhetorik. Und schon versteh ich: Hamlet ist Deutschland. Und Deutschland Hamlet?? Gedankenschwer und... na, das ist eher ne falsche Spur. Gedankenschwer ist hier niemand. Schon gar nicht der Regisseur Volker Lösch. Außerdem - diese Symbolik gehört doch eher ins vorige Jahrhundert. Viel näherliegend: die blutschänderische Ehe zwischen Claudius und Gertrud - ist vielleicht gar die Große Koalition gemeint? Kam einem doch gleich so vor, als ob im Kostüm der fetten alten Königin ein Mann steckt. Vielleicht ist Polonius ja deshalb eine Frau? Macht nichts, die/der wird sowieso entsorgt. Aber Hamlet. Warum er so ein Schnellsprech-Wüterich ist und zwischendurch nach seiner Mama schreit, ist ja klar: der Geist seines toten Vaters, das ist gleich eine ganze Kohorte von alten Männern in Nazi-Uniform.

    Noch immer streikt das Aufnahmegerät. Was den geneigten Hörer nun um den Genuss von einigen gegrölten Sprechchören bringt. Hamlet will zwischenzeitlich die globalisierte Welt verstehen. Dafür schleppt er einen ganzen Waschkorb voll Flaschen an und steckt die, Stück für Stück in den Matsch: hier Siemens, da Daimler... wie sie alle noch heißen, liest er aus der Zeitung vor. Und wer sonst noch wo im Aufsichtsrat sitzt - tja, das macht man den ABC-Schützen im Publikum am besten, klar, wenn man die Flaschen noch mal wieder anders zusammengestellt und kräftig von oben mit Sprudel begießt, damit sie nicht umfallen. Dagegen ist auch der alte Caudius mit seinen Spitzeln und bestellten Killern machtlos. Klar ist da was faul im Staate - und wenn wir so weitermachen, gibt's erst ne Art Karnevals-Bürgerkrieg, bei dem Hamlet und Laertes mit Degen, Schwert, Revolver, Flasche und Gießkanne aufeinander losgehen - und dann stampfen die Jungs in Springerstiefeln gleich rudelweise auf die Bühne. Wieder Sprechchöre. Black out.

    Ich verstehe: mein Gerät hat nicht nur wegen der Kälte gestreikt, es hat einfach auch den Geist aufgegeben bei diesem Theater. Irgendwie glaubt man ja immer daran, ein Stück wie der "Hamlet" sei nicht kaputtzukriegen. Ich bin mir da nicht mehr so sicher. Mag sein, dass da was faul ist.