Langeweile (Pankow)
ich bin rumgerannt
zu viel rumgerannt
zu viel rumgerannt
ist doch nichts passiert
1989 ist dann sehr viel passiert in der damaligen DDR, und auch sehr schnell. Innerhalb von 10 Wochen haben die Ostdeutschen das Joch der Parteidiktatur abgeschüttelt und sich die Freiheit erkämpft. Aber wie haben sie gelebt in den langen vierzig Jahren zuvor?
Bei einer Umfrage im Jahre 2003 unter 141 Bürgern erklärten rückblickend 70 Prozent, der DDR-Alltag sei ruhig gewesen, 20 Prozent fanden ihn trist und 10 Prozent wussten es schon gar nicht mehr genau.
Verschwindet die Alltagswelt der DDR im Reißwolf des Vergessens, nachdem der Staat untergegangen ist. Schon 1990, als das Ende der DDR unmittelbar bevorstand, hatte das damalige Museum für deutsche Geschichte einen Sammelaufruf gestartet unter dem Motto: "Die DDR gehört ins Museum". Die Antwort ließ nicht auf sich warten:
" Die DDR Bürger haben Joghurt-Becher gebracht, einen Eipick, die haben Margarine-Becher, Maßbänder, Stopfpilze gebracht, Fernseher, Schuhe, auch das Käppi der Thälmann-Pioniere, Sie haben Radios, Kopfbedeckungen, Hüte gebracht, also man kann fast sagen, das was gerade griffbereit war."
All diese kuriosen Gegenstände des Alltags, so erklärt Regine Falkenberg, Kuratorin am Deutschen Historischen Museum in Berlin, bilden den Ausgangspunkt der aktuellen Ausstellung Parteidiktatur und Alltag in der DDR.
" Ein ganz wichtiger Aspekt dieser Ausstellung ist, dass sie ausschließlich aus den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums geschöpft wurde. Das heißt wir haben keinerlei Leihgaben, sondern wir haben wirklich nur die Objekte aus unseren Sammlungen verwendet, die wir gefunden haben bei uns selber ... . Und damit unsere konzeptionelle Vorstellungen bebildert und versucht zu präsentieren."
Inzwischen existiert eine Fülle von Forschungsarbeiten zur Geschichte der DDR, und auch Ausstellungen gab es schon. Vor allem die politischen Aspekte wurden thematisiert. Gleichzeitig lässt sich eine Tendenz zur Verklärung des DDR-Alltags beobachten, eine Ostalgie, auch wenn Filme wie Goodbye Lenin kritisch angelegt sind.
Skatabend und Familienfeste, Datscha-Idylle und FKK-Camping suggerieren, hier hätte ein Volk seine Nischen in der Diktatur gefunden, wo man von Staat und Partei unbehelligt leben konnte.
Dieser harten Trennung widerspricht die Ausstellung. Sie will die Bereiche Herrschaft und Alltag aufeinander beziehen, indem sie fragt: Wie stark hat die Politik die Lebenswelt durchdrungen, gab es Wechselwirkungen? Und wie groß waren die Spielräume für den Einzelnen?
Die Ausstellung ist nicht chronologisch gegliedert. Vielmehr hat sie in jeder der beiden Etagen eine Art Gravitationsfeld aufgebaut. Die Mitte des Spannungsfeldes bildet das Alltagsleben, darum her gruppieren sich verschiedene Themeninseln. Je näher eine Themeninsel dem Zentrum liege, desto stärker sei ihre Einflussnahme, so die konzeptionelle These. Ins Zentrum der ersten Etage haben wir das Kollektiv und seinen Arbeitsalltag gestellt, erläutert Carola Jüllig, eine der Ausstellungsmacherinnen.
" Das Kollektiv ist sozusagen die Familie am Arbeitsplatz, eine Form die von der DDR gefördert und gefordert wurde, man sollte nicht als einzelne Individuen zusammenarbeiten, sondern sich zu Gruppen zusammenschließen, was natürlich dem sozialistischen Gedanken der Gleichheit entsprach, diese Kollektive haben das Leben am Arbeitsplatz sehr stark geprägt."
Wir sehen die Brigade: ihr Ideal im Ölschinken, daneben ihr Abbild in der Fotographie. Ein Brigadetagebuch nebst Bildern hat einen Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald festgehalten. Ein anderes Foto - Brigadeabend bei einer Keramikerin - so der Titel, erzählt gemeinsam mit dem ausgestellten Bierkasten vom der Gemütlichkeit des sozialistischen Gangs, wenn die Produktionsabläufe wegen Materialengpässen mal wieder stockten, wenn Arbeit und Freizeit ineinander übergingen. Die Arbeitswelt war ein Ort der praktischen Solidarität aber ebenso der politischen Indoktrination.
" Bei den Geburtstagsfeiern bei den Gesprächen wurde viel über die Arbeitswelt gesprochen, und über das Missverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit. Der Witz ist ja bekannt, Marx ist die Theorie, Murks ist die Praxis. - Die Arbeiter wollten gute Arbeit leisten, aber aufgrund bestimmter Mangelsituationen, die ja auch mit Embargolisten zusammenhingen, es gab ja auch immer die Systemauseinandersetzungen zwischen Kapitalismus und Kommunismus ... natürlich war da ein harter Konkurrenzkampf - erst später habe ich erfahren von den Briefkastenfirmen, über die Computer rangeholt wurden, die man brauchte. Sei es für die Forschung, sei es für den Überwachungsstaat."
Der Überwachungsstaat, vom dem der Besucher spricht, ist in der Arbeitswelt präsent. Ganz in der Nähe des Kollektivs ist die Themeninsel Staatsicherheit platziert, sie ist wie ein Keil ins Zentrum getrieben.
" Das Kernobjekt für den Bereich der Staatssicherheit in der unteren Etage ist ein so genannter Umlaufkarteischrank, aus der Behörde von Frau Birthler, der Bundesbeauftragten für die Unterlagen der ehemaligen DDR. Und diese Karteischränke enthielten Karteikarten auf denen die zentrale Personenkartei des Ministeriums für Staatsicherheit verzeichnet war, und zwar 5,4 Millionen Namen. Und das waren Namen, nicht nur von Opfern, sondern auch von Mitarbeitern, von inoffiziellen, von zufällig in die Stasi geratenen, also von allen Menschen, die jemals in Kontakt mit dieser Behörde gekommen sind."
5,4 Millionen Namen bei 17 Millionen Einwohnern - das belegt die Paranoia, wie sie nicht nur der DDR eigen war, sondern jede Diktatur charakterisiert. Da gibt es keine harmlosen unpolitischen Räume, alles muss observiert und durchdrungen werden. In der Personenkartei der Stasi wurden auch Westdeutsche erfasst, die von einer Transitstrecke abgekommen waren.
Die Menschen am Arbeitsplatz sind umstellt von Stasi, SED und gleichgeschaltetem Gewerkschaftsbund, von den Zwängen der Planwirtschaft ebenso wie von den Notwendigkeiten sich anzupassen, wenn man beruflich aufsteigen will. Weiter entfernt wachen die Vordenker des Regimes über Linietreue: Die ausgestellten Bronzeköpfe von Marx und Engel, Lenin und Thälmann stammen aus dem aufgelassenen DDR-Geschichtsmuseum. Auch dieser Kontrast zwischen den Büsten der Staatsheiligen und den profanen Alltagsgegenständen wie dem Bierkasten verschafft der Ausstellung eine eigene Spannung: hier die Zeugnisse, die über den Sammelaufruf zusammenkamen, eine Geschichtsschreibung von unten; dort die Kultstücke der Machthaber und ein Museum nach ihren Vorstellungen, das die Herrschaft legitimieren und verewigen soll.
Der Historiker Jörn Schütrumpf hat das Konzept der Ausstellung mit seiner These von einer doppelten Mauer geprägt. Schon bevor die äußere Mauer errichtet wurde, gab es eine innere Mauer. Sie schnitt das Gros der Bevölkerung von jeglicher demokratischen Teilhabe an der Macht ab. Die Menschen blieben von der politischen Willensbildung und den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Diesseits der inneren Mauer, im Alltag, genossen die Menschen bestimmte Freiräume, aber diese Spielräume standen keineswegs fest.
Jörn Schütrumpf:
" Es gab einen ständigen Kampf um diese unsichtbare Mauer. Und zwar von beiden Seiten. Es wurde ununterbrochen interveniert von außen in diesen Alltag, und die Leute haben ununterbrochen versucht, ihre Freiräume zu nutzen, indem sie die Zumutungen unterliefen, indem man formal etwas machte, um damit die Möglichkeiten zu erlangen, damit seine eigentlichen Ziele zu erreichen. Es war ein ständiges Geben und Nehmen, und der Alltag ist der Raum, wo in der Diktatur das Leben jeden Tag neu ausgehandelt wird."
Carola Jüllig: " Ja, es gab so wunderbare Geschichten, die Menschen berichtet haben, aus ihrer Kindheit, wo die Eltern nicht wollten, dass die Kinder Mitglied bei den Thälmann-Pionieren wurden, weil sie dem Staat eben kritisch gegenüberstanden, und die Mutter hat dann immer wenn das Kind zu seinem Pioniernachmittag gehen wollte, das Pionierhalstuch, was man unbedingt tragen musste , in die Wäsche getan oder es war so schmutzig, dass das Kind es nicht umbinden konnte. Auch das sind Verweigerungsstrategien."
In der privaten Sphäre versuchten Eltern ihre Kinder vor der Zudringlichkeit der politischen Indoktrination zu schützen. Das Zuhause, die private Sphäre bildet das Zentrum des Gravitationsfeldes in der zweiten Etage. Dort steht ein DDR-Einrichtungsklassiker: Die Pressspan-Schrankwand ist eine Durchreiche, wie sie in den Plattenbauten Berlin-Marzahn 1970 serienmäßig eingebaut wurde, um Tageslicht in die fensterlose Küche zu lassen. Zum Entspannen liegt die Zigarettenschachtel Marke Club bereit - vielleicht für ihn, daneben - ganz sicher für sie - die Modezeitschrift "Sybille", beliebt wegen ihrer Schnittmuster. Frau weiß sich zu helfen mit der Koffernähmaschine Veritas Automatic, die ebenso ausstellt ist.
Der Rückzug ins Private war für viele eine Chance, Zufriedenheit und seelisches Gleichgewicht zu finden. So schreibt eine Ärztin aus Schwerdt rückblickend.
Und ich habe immer die Grundregel eigentlich gehabt und gesagt, und dazu steh ich auch jetzt noch, wenn zu Hause alles stimmt, dann stört einen vieles andere nicht so.
Familie und Freunde halfen den Alltag zu bewältigen. Das Private war ein Gegenpol zur Arbeitswelt. Hier konnte man allabendlich via Fernsehen in den Westen emigrieren, und sich im politischen Witz für seine Entmündigung rächen.
" Ein Witz, der sehr schön das Klima in der DDR und die Schere im Kopf die dort vielleicht bei vielen Bürgern geherrscht hat, wiedergibt, ist ein Witz zur Staatssicherheit. Treffen sich zwei Stecknadeln. Sagt die eine Stecknadel zur anderen Stecknadel. "Du ich habe gerade einen tollen politischen Witz gehört. Sagt die andere Stecknadel. Pssst, da hinten ist eine Sicherheitsnadel."
Das Museum hat solche politische Witze gesammelt und präsentiert sie in der Ausstellung als Dokumente der Alltagskultur. Der Witz ist Volksweisheit. Knapp und scharfzüngig, mal derb, mal feinsinnig rechnen die Ohnmächtigen mit den Herrschenden ab. Der Witz entlastet. Im Lachen zerbirst die innere Mauer, wenn auch nur für einen Augenblick. Der Witz vermag die Strukturen der Macht nicht zu beseitigen. Die Stasi bleibt und hört mit. Nun haben die Belauschten Gelegenheit hinter die Kulissen zu gucken und sich die Instrumente ihrer Denunzianten genauer anzuschauen.
" Interessant fand ich das eine Gerät, zur Überwachung der Telefone, weil das hinlänglich bekannt war, jedem DDR-Bürger, der ein Telefon hatte, dass da eine Überwachung stattfindet. In einigen Betrieben waren auch die IMs bekannt, namentlich, man hat sich dann dazu verhalten, wenn die den Raum betreten haben, schwieriger waren die unbekannten wie Sascha Andersen, weil ich in der Kulturstrecke arbeite, da mich zu Hause, - dieses Gerät habe ich heute gesehen, wir haben immer gesagt, Achtung - wenn es klickt jetzt ist so etwas passiert."
Aber das Gut-Böse-Schema, hier Stasi, da Opfer ist nicht die ganze Wahrheit. Vieles am DDR-Alltag ist irritierend, kompliziert und manchmal komisch:
Neben der Verpackung der Strumpfhose, Marke Nur Die aus der BRD liest man verwundert die Eingabe eines DDR-Bürgers an Erich Honnecker:
Möchte man der Frau mal eine besondere Strumpfhose kaufen, nimmt eventuell den Preis im Exquisit in Kauf, bekommt man den Hinweis, diese haben wir nicht, aber mit Forumschecks im Intershop erhältlich.
Der Beschwerdeführer moniert, dass der Sozialismus die Konsumwünsche nicht erfüllt oder nur gegen Westgeld, über das die hohen Funktionäre verfügen. Aber indem er sich an den Staatsratsvorsitzenden wendet, bezeugt er zugleich seinen Glauben ans System und seine Herren.
So mischen sich in seiner Haltung Kritik und Affirmation, Protest und Loyalität. Und der Ausstellungsbesucher ist zu einer komplexeren Deutung der DDR-Realität herausgefordert:
" Schön wäre es wenn er begreift, dass die DDR wie sie sich präsentiert hat in der Vergangenheit, von außen gesehen kein monolithischer Block ist, wo nur die Partei geherrscht hat, und alle 17 Mio Bürger haben brav dieser Partei Gehorsam geleistet, sondern dass es ein vielfältiges Leben gegeben hat, dass es viele Bürger gab, die sich in diesem Land arrangiert haben, weil sie in diesem Land leben mussten, und vielleicht auch leben wollten, aber dass es durchaus Strategien gab, bestimmte Dinge zu unterlaufen und sich individuelle Freiheiten zu erkämpfen."
Die DDR war "befremdlich Anders" wie ein Buchtitel lautet. Viele Anspielungen, weitere Bedeutungsebenen erschließen sich nicht so leicht. Manches sind regelrechte Vexierbilder, zum Beispiel das Ausstellungsposter.
Wolfgang Mattheuers Gemälde Guten Tag stellt eine Familie dar, die einen Hügel hinauf ins Grüne spaziert. In ihrem Rücken unten im Tal, liegen Stadt und Industrie.
Das Bild war gedacht für den Palast der Republik. Die staatlichen Auftraggeber zeigten sich mit dem Werk einverstanden und erklärten dass sich darin - Zitat - "die Geborgenheit, die Sicherheit und das Glück unseres sozialistischen Lebens widerspiegelt"
Doch das ist nur die offizielle Lesart. Jörn Schütrumpf und andere interpretieren seine Aussage genau entgegengesetzt. Das Bild zeige Menschen, die sich von Sozialismus und Industriegesellschaft abkehrt hätten und sich der Natur zuwenden. Jörn Schütrumpf:
" Wir erwarten schon, dass DDR Bürger oder Leute, die bis 1989 in der DDR gelebt haben, vieles wieder erkennen und mit ihrem ganzen Vorwissen auch vieles möglicherweise nachfühlen, neu erinnern, oder sagen : bei mir war es ganz anders. Es waren 17 Millionen Menschen, jeder hat einen anderen Alltag gehabt auch wenn dort viele Schnittmengen waren. Ich befürchte bei dieser Ausstellung werden die Menschen aus den alten Bundesländern eher Probleme haben, weil sie nicht dieses Vorwissen, also die Erfahrung der gelebten DDR mit einbringen."
Die Erfahrung der gelebten DDR haben insbesondere die Künstler zum Ausdruck gebracht. Gerade sie standen im Visier der Staatsicherheit. Viele von ihnen emigrierten oder wurden zwangsausgebürgert wie Wolf Biermann 1976. Die nicht ausreisen konnten oder wollten, erhielten immer wieder Publikations- und Auftrittsverbote. Das Lied Langeweile der Gruppe Pankow durfte zeitweise im DDR-Rundfunk nicht gespielt werden.
Langeweile (Pankow)
das selbe Land zu lange gesehen
die selbe Sprache zu lange gehört
zu lange gewartet
zu lange gehofft
zu lange die alten Männer verehrt
ich bin rumgerannt
zu viel rumgerannt
ich bin rumgerannt
zu viel rumgerannt
zu viel rumgerannt
ist doch nichts passiert
1989 ist dann sehr viel passiert in der damaligen DDR, und auch sehr schnell. Innerhalb von 10 Wochen haben die Ostdeutschen das Joch der Parteidiktatur abgeschüttelt und sich die Freiheit erkämpft. Aber wie haben sie gelebt in den langen vierzig Jahren zuvor?
Bei einer Umfrage im Jahre 2003 unter 141 Bürgern erklärten rückblickend 70 Prozent, der DDR-Alltag sei ruhig gewesen, 20 Prozent fanden ihn trist und 10 Prozent wussten es schon gar nicht mehr genau.
Verschwindet die Alltagswelt der DDR im Reißwolf des Vergessens, nachdem der Staat untergegangen ist. Schon 1990, als das Ende der DDR unmittelbar bevorstand, hatte das damalige Museum für deutsche Geschichte einen Sammelaufruf gestartet unter dem Motto: "Die DDR gehört ins Museum". Die Antwort ließ nicht auf sich warten:
" Die DDR Bürger haben Joghurt-Becher gebracht, einen Eipick, die haben Margarine-Becher, Maßbänder, Stopfpilze gebracht, Fernseher, Schuhe, auch das Käppi der Thälmann-Pioniere, Sie haben Radios, Kopfbedeckungen, Hüte gebracht, also man kann fast sagen, das was gerade griffbereit war."
All diese kuriosen Gegenstände des Alltags, so erklärt Regine Falkenberg, Kuratorin am Deutschen Historischen Museum in Berlin, bilden den Ausgangspunkt der aktuellen Ausstellung Parteidiktatur und Alltag in der DDR.
" Ein ganz wichtiger Aspekt dieser Ausstellung ist, dass sie ausschließlich aus den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums geschöpft wurde. Das heißt wir haben keinerlei Leihgaben, sondern wir haben wirklich nur die Objekte aus unseren Sammlungen verwendet, die wir gefunden haben bei uns selber ... . Und damit unsere konzeptionelle Vorstellungen bebildert und versucht zu präsentieren."
Inzwischen existiert eine Fülle von Forschungsarbeiten zur Geschichte der DDR, und auch Ausstellungen gab es schon. Vor allem die politischen Aspekte wurden thematisiert. Gleichzeitig lässt sich eine Tendenz zur Verklärung des DDR-Alltags beobachten, eine Ostalgie, auch wenn Filme wie Goodbye Lenin kritisch angelegt sind.
Skatabend und Familienfeste, Datscha-Idylle und FKK-Camping suggerieren, hier hätte ein Volk seine Nischen in der Diktatur gefunden, wo man von Staat und Partei unbehelligt leben konnte.
Dieser harten Trennung widerspricht die Ausstellung. Sie will die Bereiche Herrschaft und Alltag aufeinander beziehen, indem sie fragt: Wie stark hat die Politik die Lebenswelt durchdrungen, gab es Wechselwirkungen? Und wie groß waren die Spielräume für den Einzelnen?
Die Ausstellung ist nicht chronologisch gegliedert. Vielmehr hat sie in jeder der beiden Etagen eine Art Gravitationsfeld aufgebaut. Die Mitte des Spannungsfeldes bildet das Alltagsleben, darum her gruppieren sich verschiedene Themeninseln. Je näher eine Themeninsel dem Zentrum liege, desto stärker sei ihre Einflussnahme, so die konzeptionelle These. Ins Zentrum der ersten Etage haben wir das Kollektiv und seinen Arbeitsalltag gestellt, erläutert Carola Jüllig, eine der Ausstellungsmacherinnen.
" Das Kollektiv ist sozusagen die Familie am Arbeitsplatz, eine Form die von der DDR gefördert und gefordert wurde, man sollte nicht als einzelne Individuen zusammenarbeiten, sondern sich zu Gruppen zusammenschließen, was natürlich dem sozialistischen Gedanken der Gleichheit entsprach, diese Kollektive haben das Leben am Arbeitsplatz sehr stark geprägt."
Wir sehen die Brigade: ihr Ideal im Ölschinken, daneben ihr Abbild in der Fotographie. Ein Brigadetagebuch nebst Bildern hat einen Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald festgehalten. Ein anderes Foto - Brigadeabend bei einer Keramikerin - so der Titel, erzählt gemeinsam mit dem ausgestellten Bierkasten vom der Gemütlichkeit des sozialistischen Gangs, wenn die Produktionsabläufe wegen Materialengpässen mal wieder stockten, wenn Arbeit und Freizeit ineinander übergingen. Die Arbeitswelt war ein Ort der praktischen Solidarität aber ebenso der politischen Indoktrination.
" Bei den Geburtstagsfeiern bei den Gesprächen wurde viel über die Arbeitswelt gesprochen, und über das Missverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit. Der Witz ist ja bekannt, Marx ist die Theorie, Murks ist die Praxis. - Die Arbeiter wollten gute Arbeit leisten, aber aufgrund bestimmter Mangelsituationen, die ja auch mit Embargolisten zusammenhingen, es gab ja auch immer die Systemauseinandersetzungen zwischen Kapitalismus und Kommunismus ... natürlich war da ein harter Konkurrenzkampf - erst später habe ich erfahren von den Briefkastenfirmen, über die Computer rangeholt wurden, die man brauchte. Sei es für die Forschung, sei es für den Überwachungsstaat."
Der Überwachungsstaat, vom dem der Besucher spricht, ist in der Arbeitswelt präsent. Ganz in der Nähe des Kollektivs ist die Themeninsel Staatsicherheit platziert, sie ist wie ein Keil ins Zentrum getrieben.
" Das Kernobjekt für den Bereich der Staatssicherheit in der unteren Etage ist ein so genannter Umlaufkarteischrank, aus der Behörde von Frau Birthler, der Bundesbeauftragten für die Unterlagen der ehemaligen DDR. Und diese Karteischränke enthielten Karteikarten auf denen die zentrale Personenkartei des Ministeriums für Staatsicherheit verzeichnet war, und zwar 5,4 Millionen Namen. Und das waren Namen, nicht nur von Opfern, sondern auch von Mitarbeitern, von inoffiziellen, von zufällig in die Stasi geratenen, also von allen Menschen, die jemals in Kontakt mit dieser Behörde gekommen sind."
5,4 Millionen Namen bei 17 Millionen Einwohnern - das belegt die Paranoia, wie sie nicht nur der DDR eigen war, sondern jede Diktatur charakterisiert. Da gibt es keine harmlosen unpolitischen Räume, alles muss observiert und durchdrungen werden. In der Personenkartei der Stasi wurden auch Westdeutsche erfasst, die von einer Transitstrecke abgekommen waren.
Die Menschen am Arbeitsplatz sind umstellt von Stasi, SED und gleichgeschaltetem Gewerkschaftsbund, von den Zwängen der Planwirtschaft ebenso wie von den Notwendigkeiten sich anzupassen, wenn man beruflich aufsteigen will. Weiter entfernt wachen die Vordenker des Regimes über Linietreue: Die ausgestellten Bronzeköpfe von Marx und Engel, Lenin und Thälmann stammen aus dem aufgelassenen DDR-Geschichtsmuseum. Auch dieser Kontrast zwischen den Büsten der Staatsheiligen und den profanen Alltagsgegenständen wie dem Bierkasten verschafft der Ausstellung eine eigene Spannung: hier die Zeugnisse, die über den Sammelaufruf zusammenkamen, eine Geschichtsschreibung von unten; dort die Kultstücke der Machthaber und ein Museum nach ihren Vorstellungen, das die Herrschaft legitimieren und verewigen soll.
Der Historiker Jörn Schütrumpf hat das Konzept der Ausstellung mit seiner These von einer doppelten Mauer geprägt. Schon bevor die äußere Mauer errichtet wurde, gab es eine innere Mauer. Sie schnitt das Gros der Bevölkerung von jeglicher demokratischen Teilhabe an der Macht ab. Die Menschen blieben von der politischen Willensbildung und den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Diesseits der inneren Mauer, im Alltag, genossen die Menschen bestimmte Freiräume, aber diese Spielräume standen keineswegs fest.
Jörn Schütrumpf:
" Es gab einen ständigen Kampf um diese unsichtbare Mauer. Und zwar von beiden Seiten. Es wurde ununterbrochen interveniert von außen in diesen Alltag, und die Leute haben ununterbrochen versucht, ihre Freiräume zu nutzen, indem sie die Zumutungen unterliefen, indem man formal etwas machte, um damit die Möglichkeiten zu erlangen, damit seine eigentlichen Ziele zu erreichen. Es war ein ständiges Geben und Nehmen, und der Alltag ist der Raum, wo in der Diktatur das Leben jeden Tag neu ausgehandelt wird."
Carola Jüllig: " Ja, es gab so wunderbare Geschichten, die Menschen berichtet haben, aus ihrer Kindheit, wo die Eltern nicht wollten, dass die Kinder Mitglied bei den Thälmann-Pionieren wurden, weil sie dem Staat eben kritisch gegenüberstanden, und die Mutter hat dann immer wenn das Kind zu seinem Pioniernachmittag gehen wollte, das Pionierhalstuch, was man unbedingt tragen musste , in die Wäsche getan oder es war so schmutzig, dass das Kind es nicht umbinden konnte. Auch das sind Verweigerungsstrategien."
In der privaten Sphäre versuchten Eltern ihre Kinder vor der Zudringlichkeit der politischen Indoktrination zu schützen. Das Zuhause, die private Sphäre bildet das Zentrum des Gravitationsfeldes in der zweiten Etage. Dort steht ein DDR-Einrichtungsklassiker: Die Pressspan-Schrankwand ist eine Durchreiche, wie sie in den Plattenbauten Berlin-Marzahn 1970 serienmäßig eingebaut wurde, um Tageslicht in die fensterlose Küche zu lassen. Zum Entspannen liegt die Zigarettenschachtel Marke Club bereit - vielleicht für ihn, daneben - ganz sicher für sie - die Modezeitschrift "Sybille", beliebt wegen ihrer Schnittmuster. Frau weiß sich zu helfen mit der Koffernähmaschine Veritas Automatic, die ebenso ausstellt ist.
Der Rückzug ins Private war für viele eine Chance, Zufriedenheit und seelisches Gleichgewicht zu finden. So schreibt eine Ärztin aus Schwerdt rückblickend.
Und ich habe immer die Grundregel eigentlich gehabt und gesagt, und dazu steh ich auch jetzt noch, wenn zu Hause alles stimmt, dann stört einen vieles andere nicht so.
Familie und Freunde halfen den Alltag zu bewältigen. Das Private war ein Gegenpol zur Arbeitswelt. Hier konnte man allabendlich via Fernsehen in den Westen emigrieren, und sich im politischen Witz für seine Entmündigung rächen.
" Ein Witz, der sehr schön das Klima in der DDR und die Schere im Kopf die dort vielleicht bei vielen Bürgern geherrscht hat, wiedergibt, ist ein Witz zur Staatssicherheit. Treffen sich zwei Stecknadeln. Sagt die eine Stecknadel zur anderen Stecknadel. "Du ich habe gerade einen tollen politischen Witz gehört. Sagt die andere Stecknadel. Pssst, da hinten ist eine Sicherheitsnadel."
Das Museum hat solche politische Witze gesammelt und präsentiert sie in der Ausstellung als Dokumente der Alltagskultur. Der Witz ist Volksweisheit. Knapp und scharfzüngig, mal derb, mal feinsinnig rechnen die Ohnmächtigen mit den Herrschenden ab. Der Witz entlastet. Im Lachen zerbirst die innere Mauer, wenn auch nur für einen Augenblick. Der Witz vermag die Strukturen der Macht nicht zu beseitigen. Die Stasi bleibt und hört mit. Nun haben die Belauschten Gelegenheit hinter die Kulissen zu gucken und sich die Instrumente ihrer Denunzianten genauer anzuschauen.
" Interessant fand ich das eine Gerät, zur Überwachung der Telefone, weil das hinlänglich bekannt war, jedem DDR-Bürger, der ein Telefon hatte, dass da eine Überwachung stattfindet. In einigen Betrieben waren auch die IMs bekannt, namentlich, man hat sich dann dazu verhalten, wenn die den Raum betreten haben, schwieriger waren die unbekannten wie Sascha Andersen, weil ich in der Kulturstrecke arbeite, da mich zu Hause, - dieses Gerät habe ich heute gesehen, wir haben immer gesagt, Achtung - wenn es klickt jetzt ist so etwas passiert."
Aber das Gut-Böse-Schema, hier Stasi, da Opfer ist nicht die ganze Wahrheit. Vieles am DDR-Alltag ist irritierend, kompliziert und manchmal komisch:
Neben der Verpackung der Strumpfhose, Marke Nur Die aus der BRD liest man verwundert die Eingabe eines DDR-Bürgers an Erich Honnecker:
Möchte man der Frau mal eine besondere Strumpfhose kaufen, nimmt eventuell den Preis im Exquisit in Kauf, bekommt man den Hinweis, diese haben wir nicht, aber mit Forumschecks im Intershop erhältlich.
Der Beschwerdeführer moniert, dass der Sozialismus die Konsumwünsche nicht erfüllt oder nur gegen Westgeld, über das die hohen Funktionäre verfügen. Aber indem er sich an den Staatsratsvorsitzenden wendet, bezeugt er zugleich seinen Glauben ans System und seine Herren.
So mischen sich in seiner Haltung Kritik und Affirmation, Protest und Loyalität. Und der Ausstellungsbesucher ist zu einer komplexeren Deutung der DDR-Realität herausgefordert:
" Schön wäre es wenn er begreift, dass die DDR wie sie sich präsentiert hat in der Vergangenheit, von außen gesehen kein monolithischer Block ist, wo nur die Partei geherrscht hat, und alle 17 Mio Bürger haben brav dieser Partei Gehorsam geleistet, sondern dass es ein vielfältiges Leben gegeben hat, dass es viele Bürger gab, die sich in diesem Land arrangiert haben, weil sie in diesem Land leben mussten, und vielleicht auch leben wollten, aber dass es durchaus Strategien gab, bestimmte Dinge zu unterlaufen und sich individuelle Freiheiten zu erkämpfen."
Die DDR war "befremdlich Anders" wie ein Buchtitel lautet. Viele Anspielungen, weitere Bedeutungsebenen erschließen sich nicht so leicht. Manches sind regelrechte Vexierbilder, zum Beispiel das Ausstellungsposter.
Wolfgang Mattheuers Gemälde Guten Tag stellt eine Familie dar, die einen Hügel hinauf ins Grüne spaziert. In ihrem Rücken unten im Tal, liegen Stadt und Industrie.
Das Bild war gedacht für den Palast der Republik. Die staatlichen Auftraggeber zeigten sich mit dem Werk einverstanden und erklärten dass sich darin - Zitat - "die Geborgenheit, die Sicherheit und das Glück unseres sozialistischen Lebens widerspiegelt"
Doch das ist nur die offizielle Lesart. Jörn Schütrumpf und andere interpretieren seine Aussage genau entgegengesetzt. Das Bild zeige Menschen, die sich von Sozialismus und Industriegesellschaft abkehrt hätten und sich der Natur zuwenden. Jörn Schütrumpf:
" Wir erwarten schon, dass DDR Bürger oder Leute, die bis 1989 in der DDR gelebt haben, vieles wieder erkennen und mit ihrem ganzen Vorwissen auch vieles möglicherweise nachfühlen, neu erinnern, oder sagen : bei mir war es ganz anders. Es waren 17 Millionen Menschen, jeder hat einen anderen Alltag gehabt auch wenn dort viele Schnittmengen waren. Ich befürchte bei dieser Ausstellung werden die Menschen aus den alten Bundesländern eher Probleme haben, weil sie nicht dieses Vorwissen, also die Erfahrung der gelebten DDR mit einbringen."
Die Erfahrung der gelebten DDR haben insbesondere die Künstler zum Ausdruck gebracht. Gerade sie standen im Visier der Staatsicherheit. Viele von ihnen emigrierten oder wurden zwangsausgebürgert wie Wolf Biermann 1976. Die nicht ausreisen konnten oder wollten, erhielten immer wieder Publikations- und Auftrittsverbote. Das Lied Langeweile der Gruppe Pankow durfte zeitweise im DDR-Rundfunk nicht gespielt werden.
Langeweile (Pankow)
das selbe Land zu lange gesehen
die selbe Sprache zu lange gehört
zu lange gewartet
zu lange gehofft
zu lange die alten Männer verehrt
ich bin rumgerannt
zu viel rumgerannt