Christoph Schmitz: Eine Litanei: Bernd und Hilla Becher, Alexander Calder, Marc Chagall, Marcel Duchamp, Max Ernst, Gilbert & George, Roy Lichtenstein, Man Ray, Miró, Gerhard Richter, Richard Serra, Günter Uecker, Andy Warhol, Klaus Staeck, Claes Oldenburg, Panamarenko. so viele Namen, so viele Künstler, so viele Handschriften, und alles in dem kleinen Museum MARTa in Herford, NRW. Christiane Vielhaber, um uns das alles zu erklären, lege ich die Namen und den Ort in Ihre Hände.
Christiane Vielhaber: Ja, und diese Hände, die Sie genannt haben, haben sich gegenseitig die Klinke in die Hand gegeben in der New Yorker Kunstbuchhandlung Wittenborn & Schultz beziehungsweise dann auch später Partner. Das Ganze ist eigentlich, es ist eine Kunstausstellung. Aber, Herr Schmitz, es ist mehr noch eine Ausstellung über den deutschen Geist. Hinter diesem Wittenborn steht der Deutsche, der eigentlich als Otto Gustav Ernst Wittenborn 1905 in Hamburg geboren wurde. Er war der Sohn einer Buchhändlerdynastie, der in Berlin dann bei Buchholz gelernt hat. Bei Buchholz, der mehrere Filialen in Berlin hatte, hatte er die Filiale Kurfürstendamm, wo unter anderem auch dann mal ein Hans Schultz seine Lehre machte, mit dem er sich später dann in Amerika zusammengetan hat zu dieser Buchhandlung.
Und der ist jemand gewesen, der bei allem Englisch, was er sprach, oder bei allem Amerikanisch immer noch deutsch im Geiste war und der immer von einem Bildungsideal gesprochen hat. Und dieses Bildungsideal wollte er so verwirklichen, dass er in seinem Buchladen nicht nur alle Bücher, die in der Welt irgendwie erscheinen und die etwas mit Kunst zu tun haben, zeigen wollte, und auch alle Zeitschriften vorrätig haben wollte für die ganzen jungen amerikanischen Künstler. Das muss man sich mal vorstellen: Er ist 32, er hat sich in Berlin nicht wohlgefühlt, ist dann nach Paris gegangen zu den Surrealisten, hat dort seine jüdische Frau kennengelernt, geht mit ihr dann '36 nach New York. Er überlegte erst mal, Neuseeland oder Australien, und dann haben die zurückgeschrieben, was wir brauchen, sind Farmer und keine Geistesarbeiter. Vor Amerika hatte er so ein bisschen Angst, weil er dachte, er war ja eigentlich ein literarisch gebildeter Mensch, da laufen die Gangster so rum wie in den Krimis von Faulkner, da will ich auch nicht hin. Dann haben ihm aber Freunde gesagt, da kannst Du wirklich hin, da gibt es auch Leute mit Kultur. Aber diese Kultur, die da war, hatte wenig mit Kunst zu tun. Bis dahin war ja eigentlich Paris das Mekka, und die Amerikaner hatten eigentlich überhaupt gar keinen Zugang zur zeitgenössischen Kunst.
Schmitz: Und die Zeitgenossen, jungen Künstler, kommen in seine Kunsthandlung, in die Buchhandlung, und er bittet sie da, zu signieren und ihre Hände zu malen?
Vielhaber: Er hat ein Gästebuch.
Schmitz: Er hat ein Gästebuch.
Vielhaber: Er legt dieses Gästebuch aus.
Schmitz: Und das Gästebuch sieht man jetzt in Herford?
Vielhaber: Ja. 1944 kommt ein völlig heute unbekannter, mexikanischer Künstler Miguel Covarrubias. Und statt zu signieren, legt er seine Hand drauf und zeichnet die Umrisse seiner Hand. Und das war jetzt Ausgangspunkt für mehr als 200 Künstler, es ihm irgendwie nachzutun. Zum Beispiel Asger Jorn hat dann seinen Fußabdruck gemacht. Marlene Dumas hat ihre Hand gestempelt. Jeder hat irgendwas gemacht, was mit Hand zu tun hat. Und Sie können sich vorstellen, so ein dickes Buch, die hatten auch gar keine Chance zu gucken, was haben die anderen gemacht? Sie sehen in dieser Ausstellung, dass diese Umrisslinien, da kommt nicht nur einer drauf, da kommen andere drauf. Aber zum Beispiel, es gibt dann jemand, dann sehen Sie, mit der rechten Hand zeichnet er seine linke Hand auf diesem Blatt, oder was Sie erwähnt haben, Bernd und Hilla Becher. Hilla Becher ist links, ihre linke Hand, und da ist ein Häuschen, also eigentlich das frauliche Prinzip. Und Bernd Becher, die rechte Hand, und da ist ein Förderturm. Und warum? Weil Wittenborn deren erstes Buch "Anonyme Skulpturen" mitfinanzierte. Das war auch so eine Art von ihm. Es ging jetzt nicht nur, Bücher verkaufen, verkaufen, sondern er war auch Herausgeber. Er hat an einer Wand immer die allerjüngste Kunst gezeigt. Das war die One-Wall-Gallery. Er hat Künstlern auch eine Chance gegeben, sich darzustellen und auch zu helfen, zu verbreiten durch Publikationen.
Schmitz: Sind denn diese Blätter aus dem Gästebuch nun gefleddert und einzeln aufgehängt, oder blättert man da durch?
Vielhaber: Nach seinem Tod, er hat sich 1974 umgebracht, ging dieses Buch in den Besitz des Sammlers und Verlegers Daniel Filipacchi über. Dann erschien das 2005 auf einer Auktion bei Christie's in Paris. Und dann hat es Ronny van de Velde, ein Galerist aus Antwerpen und ein Freund von Jan Hoet, erworben und hat dann die Künstler seiner Galerie gebeten, jetzt weiterzumachen. Und darum haben Sie eben auch Sachen, die nicht aus diesem Buch losgelöst wurden, sondern einzelne Blätter, Grafiken, Skulpturen, alles, was irgendwie mit Hand zu tun hat.
Schmitz: Christiane Vielhaber, vielen Dank für diese Beschreibung der Ausstellung "Die Hände der Kunst" im Museum MARTa, Herford, Nordrhein-Westfalen.
Christiane Vielhaber: Ja, und diese Hände, die Sie genannt haben, haben sich gegenseitig die Klinke in die Hand gegeben in der New Yorker Kunstbuchhandlung Wittenborn & Schultz beziehungsweise dann auch später Partner. Das Ganze ist eigentlich, es ist eine Kunstausstellung. Aber, Herr Schmitz, es ist mehr noch eine Ausstellung über den deutschen Geist. Hinter diesem Wittenborn steht der Deutsche, der eigentlich als Otto Gustav Ernst Wittenborn 1905 in Hamburg geboren wurde. Er war der Sohn einer Buchhändlerdynastie, der in Berlin dann bei Buchholz gelernt hat. Bei Buchholz, der mehrere Filialen in Berlin hatte, hatte er die Filiale Kurfürstendamm, wo unter anderem auch dann mal ein Hans Schultz seine Lehre machte, mit dem er sich später dann in Amerika zusammengetan hat zu dieser Buchhandlung.
Und der ist jemand gewesen, der bei allem Englisch, was er sprach, oder bei allem Amerikanisch immer noch deutsch im Geiste war und der immer von einem Bildungsideal gesprochen hat. Und dieses Bildungsideal wollte er so verwirklichen, dass er in seinem Buchladen nicht nur alle Bücher, die in der Welt irgendwie erscheinen und die etwas mit Kunst zu tun haben, zeigen wollte, und auch alle Zeitschriften vorrätig haben wollte für die ganzen jungen amerikanischen Künstler. Das muss man sich mal vorstellen: Er ist 32, er hat sich in Berlin nicht wohlgefühlt, ist dann nach Paris gegangen zu den Surrealisten, hat dort seine jüdische Frau kennengelernt, geht mit ihr dann '36 nach New York. Er überlegte erst mal, Neuseeland oder Australien, und dann haben die zurückgeschrieben, was wir brauchen, sind Farmer und keine Geistesarbeiter. Vor Amerika hatte er so ein bisschen Angst, weil er dachte, er war ja eigentlich ein literarisch gebildeter Mensch, da laufen die Gangster so rum wie in den Krimis von Faulkner, da will ich auch nicht hin. Dann haben ihm aber Freunde gesagt, da kannst Du wirklich hin, da gibt es auch Leute mit Kultur. Aber diese Kultur, die da war, hatte wenig mit Kunst zu tun. Bis dahin war ja eigentlich Paris das Mekka, und die Amerikaner hatten eigentlich überhaupt gar keinen Zugang zur zeitgenössischen Kunst.
Schmitz: Und die Zeitgenossen, jungen Künstler, kommen in seine Kunsthandlung, in die Buchhandlung, und er bittet sie da, zu signieren und ihre Hände zu malen?
Vielhaber: Er hat ein Gästebuch.
Schmitz: Er hat ein Gästebuch.
Vielhaber: Er legt dieses Gästebuch aus.
Schmitz: Und das Gästebuch sieht man jetzt in Herford?
Vielhaber: Ja. 1944 kommt ein völlig heute unbekannter, mexikanischer Künstler Miguel Covarrubias. Und statt zu signieren, legt er seine Hand drauf und zeichnet die Umrisse seiner Hand. Und das war jetzt Ausgangspunkt für mehr als 200 Künstler, es ihm irgendwie nachzutun. Zum Beispiel Asger Jorn hat dann seinen Fußabdruck gemacht. Marlene Dumas hat ihre Hand gestempelt. Jeder hat irgendwas gemacht, was mit Hand zu tun hat. Und Sie können sich vorstellen, so ein dickes Buch, die hatten auch gar keine Chance zu gucken, was haben die anderen gemacht? Sie sehen in dieser Ausstellung, dass diese Umrisslinien, da kommt nicht nur einer drauf, da kommen andere drauf. Aber zum Beispiel, es gibt dann jemand, dann sehen Sie, mit der rechten Hand zeichnet er seine linke Hand auf diesem Blatt, oder was Sie erwähnt haben, Bernd und Hilla Becher. Hilla Becher ist links, ihre linke Hand, und da ist ein Häuschen, also eigentlich das frauliche Prinzip. Und Bernd Becher, die rechte Hand, und da ist ein Förderturm. Und warum? Weil Wittenborn deren erstes Buch "Anonyme Skulpturen" mitfinanzierte. Das war auch so eine Art von ihm. Es ging jetzt nicht nur, Bücher verkaufen, verkaufen, sondern er war auch Herausgeber. Er hat an einer Wand immer die allerjüngste Kunst gezeigt. Das war die One-Wall-Gallery. Er hat Künstlern auch eine Chance gegeben, sich darzustellen und auch zu helfen, zu verbreiten durch Publikationen.
Schmitz: Sind denn diese Blätter aus dem Gästebuch nun gefleddert und einzeln aufgehängt, oder blättert man da durch?
Vielhaber: Nach seinem Tod, er hat sich 1974 umgebracht, ging dieses Buch in den Besitz des Sammlers und Verlegers Daniel Filipacchi über. Dann erschien das 2005 auf einer Auktion bei Christie's in Paris. Und dann hat es Ronny van de Velde, ein Galerist aus Antwerpen und ein Freund von Jan Hoet, erworben und hat dann die Künstler seiner Galerie gebeten, jetzt weiterzumachen. Und darum haben Sie eben auch Sachen, die nicht aus diesem Buch losgelöst wurden, sondern einzelne Blätter, Grafiken, Skulpturen, alles, was irgendwie mit Hand zu tun hat.
Schmitz: Christiane Vielhaber, vielen Dank für diese Beschreibung der Ausstellung "Die Hände der Kunst" im Museum MARTa, Herford, Nordrhein-Westfalen.