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Handgemacht

The Gaslight Anthem machen bodenständige und grundehrliche Rockmusik. Und mit dieser Musik werden sie von Album zu Album erfolgreicher. Vor allem in Europa wird die Band aus New Jersey allerdings auch skeptisch beäugt.

Von Marcel Anders |
    "Ginge es nach mir, würde ich keine Interviews mehr geben. Denn ich will nicht, dass es ständig nur um mich und mein Privatleben geht. Deshalb akzeptiere ich ab sofort nur noch Fragen zur Musik. Alles andere hat niemanden zu interessieren. Und die Leute wollen ja nicht nur immer mehr wissen, sondern am liebsten direkt an deinem Leben beteiligt sein. Da kann ich nur sagen: "Hört mal, ich spiele Musik. Ich bin nicht euer Freund."

    Brian Fallon ist genervt. Der 34-Jährige sitzt in einem Londoner Pub und sieht sich in der permanenten Defensive – weil er jede Menge Angriffsfläche bietet. Seine Band, die seit sechs Jahren aktiv und inzwischen in die Welt der Charts und Mehrzweckhallen vorgedrungen ist, verkauft sich zwar gerne als Inbegriff aller Indie-Tugenden, macht aber gleichzeitig Werbung für Lifestyleprodukte, tritt mit Bruce Springsteen auf, und hat mit seinem neuesten Werk bei der Industrie angeheuert. Was Fallon in echte Erklärungsnot bringt:

    "Wir waren bereit für den nächsten Schritt. Einfach, weil wir alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, die ein Indie-Label zu bieten hat. Und du hast ja auch nur dann ein Problem mit deinem Publikum, wenn du deine Absichten nicht von Anfang an kommunizierst. Was wir getan haben. Nämlich: 'Es könnte sein, dass wir irgendwann bei einer großen Firma unterschreiben. Also seid nicht überrascht, wenn es passiert'."

    Doch der Mann aus der Provinz noch eine andere, durchaus sympathische Seite – die Teil seines Erfolgsrezepts ist. Nämlich eine erfrischende Bodenständigkeit, die sich in Holzfällerhemden und verwaschenen Jeans niederschlägt. In Familie, Kindern und Bekenntnis zur Arbeiterklasse. Aber auch in zahlreichen Nebenprojekten und einer gesunden Selbsteinschätzung, die so viel mit Rockstarallüren zu tun hat, wie Amerika mit einem Sozialstaat.

    "Meine Zukunft enthält keine schwarzen Sonnenbrillen. Denn deshalb ist Bono ja immer unglaubwürdiger und unfreiwillig komisch geworden. Auf Alben wie "Rattle And Hum" hat er es so übertrieben, dass es einfach falsch aussah. Und man sich fragte: 'Meint der das ernst?' Zumal er danach wieder in die komplett entgegengesetzte Richtung gegangen ist. Und das ist nicht der Weg, den ich einschlage. Sondern ich habe mich entschieden, einfach ich selbst zu sein - und kein Rockstar. Selbst wenn ich vor wer weiß wie vielen Leuten spiele, ändert das nichts daran, wer ich bin."

    Klare Worte – und ein vorbildlicher Ansatz, der sich auch in der Musik niederschlägt. Mit elf Songs, die traditionellen Americana mit kraftvollem Punkrock kombinieren, wie ein Hybrid aus Bob Dylan, Woody Guthrie, Springsteen und The Clash klingen, und mit einem rauen, ungeschliffenen Sound glänzen. Was "Handwritten", so will es sein Komponist, zu einem echten Manifest macht. Eben zu etwas geradezu Klassischem – in einer übertechnisierten Welt.
    "Es geht um die Rückkehr zu echten Gefühlen und direktem, zwischenmenschlichem Kontakt. Wie ein Brief oder ein Gespräch. Wir versuchen das Natürliche in einer Gesellschaft wiederzubeleben, die komplett digital und wahnsinnig schnelllebig ist. Denn einen guten Song zu schreiben, funktioniert ja auch nicht per Knopfdruck. Das dauert einfach."

    Wobei der Kampf für eine bessere Welt nicht nur mit Gedankengut der Marke "Retro" oder "Old School" einhergeht, sondern auch mit gepflegtem Patriotismus. Wie alle Amerikaner schwärmen Gaslight Anthem vom Land, dessen unendliche Weite Abenteuer, Freiheit und Selbstverwirklichung verspricht, und in dem jeder vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann. Wie die Mittdreißiger aus New Jersey, die sich trotzdem als Künstler mit gesellschaftlicher Verantwortung sehen. Gerade vor der kommenden Präsidentschaftswahl – und im Bezug auf die Jungwähler. Da hat Fallon die richtige Einstellung – ganz egal, was er sonntags in der Kirche singt.

    "In den acht Jahren vor Obama hat man gesehen, was passiert, wenn Leute nicht wählen. Und wenn man seine Stimme nicht nutzt, verschwendet man eine Freiheit, für die andere gekämpft haben und gestorben sind. Insofern ist es wichtig – sehr wichtig sogar. Selbst, wenn dein Kandidat nicht gewinnt. Du musst dafür Sorgen, dass deine Stimme gehört wird."