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Handke, Brecht, Jelinek

Deutsches Regietheater ist in Frankreich ein bisschen verschrien - es gilt als laut und blutrünstig. Was französische Regisseure nicht hindert, sich immer häufiger den modernen Klassikern aus Deutschland oder dem deutschsprachigen Raum zu widmen. Derzeit werden Stücke von Bertolt Brecht, Elfriede Jelinek und Peter Handke gespielt.

Von Ute Nyssen |
    Die deutschsprachigen Bühnenautoren können sich nicht beklagen über mangelnde Präsenz im Pariser Theater. Gleich zu Beginn der neuen Spielzeit gibt es sehr exponierte Produktionen. Stücke von Elfriede Jelinek finden zwar erst langsam ein großes Publikum, aber immerhin, "Jackie", eines ihrer Prinzessinnendramen im renommierten Théâtre du Rond Point, ist anhaltend ausverkauft. Regie führt hier Marcel Bozonnet, pikanterweise möchte man sagen, denn nicht zuletzt Elfriede Jelinek trug mit ihrem engagierten Votum für Peter Handke dazu bei, dass Marcel Bozonnet als Direktor der Comédie Française seinen Hut nehmen musste.

    Er hatte ja aus politischen Gründen Handke vom Spielplan streichen wollen. Als Regisseur ließ er es die Autorin nicht entgelten, seine phantasievolle Inszenierung brachte den Text szenisch voll zur Entfaltung. Die Bühne ist ein blumenübersäter Friedhof, Jackie sucht zwischen den Gräbern nach ihren ermordeten Toten. Weißgekleidet gemahnt sie zunächst an eine klagende antike Heroine, im Verlauf des Stücks verwandelt sie sich: große Sonnenbrille, schwarze Haarmähne, Chanelkostüm - in diesem Bild erkennt die Nachwelt Jackie Kennedy. Der Regisseur lässt sie hinter leeren Bilderrahmen sprechen, in den Posen einer modebesessenen Frau. Aber zum Schluss erscheint sie in der Darstellung der Schauspielerin Judith Henry wie geschrumpft, als eine Person, die sich und ihren Körper unter Kleidern versteckte und dem Monument von einer amerikanischen Präsidentengattin zum Opfer brachte.

    Bertolt Brechts Theaterstücke gehören auch außerhalb des Jubiläumsjahrs 2006 zum festen Bestandteil des Pariser Repertoires. Allerdings fällt die Produktion im Odéon Theater aus dem Rahmen. Zum einen weil der 23jährige Regisseur Sylvain Creuzevault "Baal" wählte, in einer hier noch nie gespielten frühen Fassung des 20jährigen Autors, zum anderen weil die Inszenierung mit seiner jungen Truppe 3 1/2 Stunden Spieldauer beanspruchte. Den weiten Theaterraum gegenüber den Zuschauern begrenzt links eine riesige Ruinenwand, auf der man noch die Spuren verschiedener Etagen erkennt, irgendwo steht auf deutsch "in den Kulissen eines Krieges". Ein paar Stühle, eine in die Mauer hineingebaute Kneipenbar liefern das variable Mobiliar für die zahllosen Schauplätze dieses Bilderbogens. Das geniale Bühnenbild findet sein Äquivalent in der Musik, diese greift mit modernsten kompositorischen Mitteln auf das französische Chanson zurück. Baal lässt der Regisseur auftreten im hellblauen Anzug mit T-Shirt, oft jedoch auch im Adamskostüm, konsequent, denn immer wieder besingt ja der Dichter Baal die Schönheit der unbelassenen Natur. In besoffener Lebensfreude turnt er über Tisch und Bänke und mit ihm seine Frauen und Gesellen. Manchmal tanzen und sprechen sie wie von der Tarantel gestochen, in einem Tempo zu dem nur Franzosen in der Lage sind. Wirklich mitreissend jedoch wird dieser Abend dadurch, dass er den Zuschauer zu ganz unbeschwertem Lachen verführt - und das bei Brecht ist doch fast ein Sakrileg.

    Noch einmal zu Peter Handke über dessen politische Einsichten man denken mag wie man will, seinen Rang als Dichter stellt eine Neuinszenierung seines Klassikers "Kaspar" am Théâtre Gérard Philipe wieder neu unter Beweis. Regisseur war Richard Brunel. Die Einflüsterer, die Kaspar mit dem Folterinstrument der Sprache domestizieren wollen, treten bei ihm, anders als im Text von Handke, schon zu Beginn leibhaftig auf. Sie sprechen mit autoritär- gefälligem Ton auch das Publikum an, verweisen auf Kaspar, der hinter Schleiern wie ein Frankenstein am Boden kriecht. Die Zuschauer werden angehalten, die Plätze zu wechseln, der Schleiervorhang fällt und sie erleben sich als unmittelbare Teilnehmer an einer Gehirnwäsche. Nicht nur dieses theatralische Konzept war stark, auch Olivier Werner überzeugte als zerbrochener Kaspar.

    Die Autoren können mit ihren französischen Inszenierungen zufrieden sein.