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"Handtuchhalter ist eines meiner Lieblingswörter"

Aerea Negrot ist ein wahrer Paradiesvogel. Heute eine Frau, einst ein Mann, hat sie eine Stimme, die eine Art Destillat aus vielen schrägen und einzigartigen Stimmen der letzten 50 Jahre abbildet. Im Corsogespräch spricht sie über die deutsche Sprache, Musik und ihre venezolanischen Wurzeln.

    Martin Böttcher: Acht Jahre wohnen Sie jetzt in Berlin. Auf ihrem Debütalbum "Arabxilla" heißt es in einem Song "Ich will eine Deutsche werden" - ist das wörtlich oder im übertragenen Sinne gemeint - geht es also auch um den Pass? Oder wollen Sie etwas von der deutschen Art annehmen?

    Aerea Negrot: Dieses "Deutsche werden" entstand in Zusammenhang mit der Frage, wie ich mit jemand zusammenbleiben konnte - ein sehr guter Freund von mir, mit dem ich eine supertolle Beziehung hatte. Und in der Zeit war es die Frage - nach dem Studium musste ich natürlich zurück nach Venezuela. Ok, und ich habe gesagt, was müssen wir denn machen, um zusammenbleiben zu können? Müssen wir heiraten, adoptieren, amputieren? Was müssen wir machen? Und deshalb hieß das Lied "Ich will eine Deutsche werden, damit wir zusammenbleiben".

    Böttcher: Und geht es dabei um den Pass oder geht es nicht mehr um den Pass?

    Negrot: Also bei mir ist es jetzt so: Ich kann auch mit meinem venezolanischen Pass ganz glücklich zu den Flughäfen der Welt fliegen. Es geht nicht mehr um den deutschen Pass, es geht um Komfort oder Sicherheit. Trotzdem kann ich irgendwohin fliegen wie Israel, Spanien oder England und ganz viele Probleme damit haben. Weil es doch ein bisschen strenger mit den Regulationen ist. Trotzdem: Ich mag meinen venezolanischen Pass.

    Böttcher: Das hörte sich vor einem halben Jahr noch ganz anders an in Interviews. Damals schien das so ein großer Wunsch zu sein, Deutsche oder "richtige" Berlinerin zu werden? Und jetzt ist das so, als wären Ihre Gedanken schon wieder ganz anders.

    Negrot: Natürlich, ich tausche meine Gedanken jeden Tag!

    Böttcher: Womit kommen Sie denn gut zurecht in Berlin, womit schlecht? Was ist zum Beispiel mit Mülltrennung und Dosenpfand, Dinge, über die man außerhalb Deutschlands auch gerne mal lacht? Wie kommen Sie damit klar?

    Negrot: Ich komme damit ganz gut klar. Besonders mit der Mülltrennung. Ganz tolle Beschäftigung! Ich mache nicht nur was Gutes für die Umwelt, sondern das ist natürlich eine gute Verbindung zu Berlin, zu dem Ort, an dem man lebt. Ich will hier so leben, dass ich weiß, wo ich bin. Aber es gibt natürlich andere Sachen, die ich nicht so gut verstehe: Bürokratie. Papier, Papier, Papier. Unterschreiben Sie hier, unterschreiben Sie da!

    Böttcher: Das scheint Sie sehr beschäftigt zu haben, weil es sich auch in ihren Songs widerspiegelt. Eine Textzeile lautet "Man kann nie genug Dokumente haben". Was hat es damit auf sich?

    Negrot: Ja, genau, wenn man denkt: Ich habe es geschafft! Ich habe meine Papiere beisammen, ich habe die Papiere aus Venezuela geholt, ich habe die "Ledigkeitserklärung" gefunden, ich habe meine, wie nennt man das, wenn man nicht im Gefängnis gewesen ist?... Na ja, trotzdem, man kommt mit seinen Dokumenten und die sagen: "Moment, das ist Venezuela, das ist was anderes!"
    Du bist einfach eine Sekretärin für Dein eigenes Leben. Du musst alle diese Dokumente und diese Sachen finden. Deshalb sage ich: "Man hat nie genug Dokumente! Ha, ha, ha". Es ist wie ein Märchen.

    Böttcher: Aerea Negrot, das hört sich wunderbar an - wo kommt er her, dieser Name? Ist ja ein Künstlername, oder?

    Negrot: Aerea ist ein Wort, das hat mit Luft zu tun. Als ich diesen Namen mit Freunden erfunden habe, war ich viel unterwegs und hatte viele Liebhaber bei den Fluggesellschaften. Und, ja, ich hatte das Gefühl, ich gehöre zur Luft. Deswegen Aerea. Negrot ist eine Mischung aus zwei verschiedenen Künstlerinnen, zwei ganz tolle Sängerinnen aus Kuba und aus Mexiko: Toña La Negra und Olga Guillot. Das sind hochdramatische Sängerinnen, die ihre Stimmen, ihren klassischen Gesang zu folkloristischer Musik erklingen ließen, zu Boleros und Mambos. Ich fand das ganz toll, weil genau das wollte ich machen: klassische Stimme mit moderner Ausstattung.

    Böttcher: Aerea Negrot im Corsogespräch beim Deutschlandfunk. .... Lassen Sie uns doch noch ein wenig über die deutsche Sprache sprechen, die in ihrem Album eine große Rolle spielt. Nicht immer grammatikalisch richtig, aber sehr clever und wortwitzig kommen Sie da rüber. Ist Deutsch schwer?

    Negrot: Jaaa ... manchmal ist es das. Langsam kommt es sauber im Kopf. Es ist deswegen eine Frage, wie oft ich in der Woche Deutsche spreche. Ganz viele Leute finden es ganz witzig, andere finden es ganz süß, andere eher grausam. Darum geht es: Obwohl man perfekt Deutsch sprechen könnte, grammatikalisch korrekt, muss man seine eigenen Fehler haben! Das ist eine Frage der Persönlichkeit.

    Böttcher: Stimmt das, dass Handtuchhalter eines ihrer Lieblingswörter ist?

    Negrot: Eines der Lieblingswörter! Ja! Es ist komplex, es ist lang und es ist sehr grafisch. Ja, es ist eines meiner Lieblingswörter.

    Böttcher: Über Sie wird viel geschrieben, es gibt viele Interviews, ein Thema wird darin immer nur am Rande oder gar nicht erwähnt: dass Sie einmal ein Junge waren und jetzt eine Frau sind. Sprechen Sie nicht gerne darüber - oder traut sich keiner zu fragen?

    Negrot: Nein, ich glaube die Frage war noch nicht da, weil es sehr unwichtig war! Erstens: Ich bin nicht operiert worden! Und ich glaube, es ist eine Sache, dass ich aus meinem Leben kein großes Thema machen will. Weil ... ich bin ja nicht nur eine Frau, ich bin ein Mensch, der über männliche und weibliche Gefühle sprechen will, über diese Stärke der Männlichkeit und die weichen Emotionen. Das vermischt sich.
    Und ich glaube: Auf der Bühne will man kein bestimmtes Bild bekommen, denn dann denkt man mehr dran. Es gibt ganz viele Kommentare unter meinen Videos bei Youtube, wo die Leute anstelle von "Das gefällt mir" sagen: 'Is he a man or a woman or what the fuck is this?' Und ich glaube, es ist auch ganz gut so: Es geht mehr um die Musik und nicht mehr um das Geschlecht.

    Böttcher: Aber ärgert Sie das nicht manchmal, wenn Sie dann Sachen über sich lesen, die gar nicht so stimmen?

    Negrot: Natürlich, aber das macht das Mysterium noch größer. Deshalb ist das OK.

    Böttcher: Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang die Karriere? Sie haben immerhin mit Hercules And Love Affair zusammen Musik aufgenommen, das war vor ihrem Album und hat sie bekannt gemacht. Die große Karriere lässt noch auf sich warten - was passiert denn, wenn sie gar nicht mehr kommt?

    Negrot: Na ja, ich glaube, meine große Idee, als ich meine Lieder gemacht habe, war: Ich will performen! Darum geht es auf dem Album. Ich versuche, dabei zu bleiben. die Projekte sind immer noch da, ich bin schon beim nächsten Album. Ich versuche, die Ideen, die Lieder, die ich in den letzten Jahren geträumt habe, rauszubringen. Und das wird in den nächsten Jahren nicht.