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Handy, Parfums oder Klamotten

Der Spielfilm "Galerianki" sorgt in Polen für Furore. Zeigt er auf unverblümte Weise das Teenager-Leben einer Gruppe von Freundinnen, die sich ihre Konsumwünsche erfüllen, indem sie sich prostituieren. Zwar handelt es sich bei Prostitution Minderjähriger eher um eine Randgruppe, dennoch beobachten Wissenschaftler eine gewisse Popularisierung des Phänomens - nicht zuletzt im Nachhall des Filmes.

Von Johanna Herzing |
    Die "Zlote Tarasy", die "Goldenen Terrassen" - Warschaus modernstes und größtes Einkaufszentrum direkt neben Hauptbahnhof und Kulturpalast, dem sozialistischen Wahrzeichen der Stadt. Alt und behäbig wirkt der Stalinbau neben dem gläsernen Konsumtempel, in dem das Weihnachtsgeschäft in vollem Gange ist. Das Einkaufszentrum als Aufenthaltsort, als Freizeitattraktion, als Treffpunkt - nicht selten auch für die sogenannten "Galerianki" und ihre "Kundschaft":

    "Es beginnt mit einer Phase des Beobachtens, man beobachtet Männer, schaut, ob sie allein unterwegs sind, wie sie sich verhalten, wie sie aussehen. Sie folgen ihm in der Galeria, schauen, wie dick sein Geldbeutel ist, und fangen dann mit ihrem Spiel an: Man plaudert ein bisschen, und wenn er Interesse zeigt, fragen sie, ob er ihnen nicht vielleicht etwas Schönes kaufen möchte. Und so geht das Spiel dann weiter."

    So die Soziologin Elzbieta Michalowska von der Universität in Lodz. Die Öffentlichkeit hat die Mädchen "Galerianki" getauft, nach dem Ort, an dem sie "arbeiten". Der Begriff Einkaufszentrum ist in Polen aus der Mode gekommen, heute geht man in die "Galeria". Eine Bezeichnung, die Exklusivität verheißt, wie eine Kunstgalerie eben. Dieses Image beanspruchen auch die Galerianki für sich. Sie prostituieren sich nicht aus Armut, sagt Michalowska:

    "Der Großteil dieser Mädchen hat genug zu essen, hat ein Zuhause, hat Eltern. Das ist Prostitution aus Prestigegründen, aus Ehrgeiz, ein Nebeneffekt der Konsumexplosion - man möchte mehr haben, man möchte es besser haben. Der bekannte polnische Soziologe Zygmunt Bauman hat das mal so beschrieben: 'Früher hat man Dinge gekauft, weil das alte kaputtgegangen ist. Heute kauft man eine Sache, weil sie neuer ist als das, was ich bereits habe.'"

    Die Galeriankis handeln für ihre Dienste häufig ein bestimmtes "Geschenk" aus, teure Klamotten, Parfums, MP3-Player oder - ganz oben auf der Wunschliste - das neueste Handymodell. So lässt sich das ganze Geschäft an einem Ort abwickeln: Akquise in der Galeria, Dienstleistung auf dem Parkplatz, Bezahlung in der Shoppingmall. Weil das Sicherheitspersonal in den Einkaufszentren mittlerweile aufmerksamer geworden ist, wandert das Gewerbe zum Teil ins Internet ab.

    "Suche eine hübsche Galerianka aus Gliwice. Bald ist Weihnachten - Zeit für Extraeinkäufe und Geschenke. Also bis dann!"

    Schreibt Lukasz_33. Es dauert nicht lange, um in polnischen Chatforen auf derartige Anzeigen zu stoßen. Und auch umgekehrt beraten sich die sogenannten Galerianki im Internet, tauschen Erfahrungen aus, geben sich Tipps. Gegen eine Überweisung werden Nacktfotos angeboten. Man zieht sich vor der Internetkamera aus und lässt sich dafür das Handyguthaben aufladen oder man versteigert die eigene Jungfräulichkeit. Diesen Mädchen zu helfen, sei schwierig, meint Jakub Spiewak von der Organisation "Kidprotect":

    "Das Problem ist: Wenn das Mädchen bereits eine Galerianka ist, dann sind wir eigentlich ratlos. Denn was haben wir ihr denn zu bieten? Für sie ist es das Wichtigste, an ein cooles Handy zu kommen. Na und das hat sie. Was sollen wir denn sagen? ‘Geh arbeiten und verdien dir das Geld für so ein Handy‘? Nein! Wir müssen zusehen, dass sie erst gar nicht zur Galerianka wird!"

    Strafrechtlich gibt es inzwischen erste Schritte in diese Richtung. So treten im Januar mehrere Gesetzes-Änderungen in Kraft. Internet-Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern können dann unter bestimmten Umständen strafbar sein. Dadurch wird bereits die Absicht und nicht nur der tatsächliche Missbrauch zum Straftatbestand. Nach Ansicht Spiewaks muss aber noch an anderer Stelle angesetzt werden:

    "Das Problem ist natürlich einerseits der Mann, der die Dienste dieses Teenagers in Anspruch nehmen und dafür bezahlen will. Aber tatsächlich liegt doch das Problem auch bei ihr, denn wenn wir heute den Herrn Kowalski festnehmen, der sie dafür bezahlen wollte, na dann nimmt sie das Geld eben von Herrn Malinowski oder einem anderen."

    Der einzige Weg, tatsächlich etwas zu verändern, sei die sexuelle Aufklärung durch Eltern und in der Schule, und da liege vor Polen noch ein weiter Weg.