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Handy und Hörspiel

Mauricio Kagel ist nicht nur ein bedeutender Komponist, er hat auch immer schon über die Grenzen der etablierten Genres hinausgedacht. Er war Mitbegründer des Ensembles für Neue Musik und des Instrumentalen Theaters - und er gehört zu den Pionieren des Neuen Hörspiels.

Von Agnieszka Lessmann und Frank Olbert |
    "Hörspiel, ein Aufnahmezustand" hieß eine frühe Arbeit von ihm. Unvergessen sein Hörspiel "Der Tribun", für das er selbst in die Rolle eines Diktators schlüpfte, der eine Rede einstudiert, um so die Funktion von Sprache als Propagandamittel zu untersuchen. Im Jahr 1984 auf dem Festival Ars Acustica in Köln, gab Mauricio Kagel seinen Tribun auf der Domplatte, das Orchester von HC Platz stimmte Kagels schrille Märsche, den Sieg zu verfehlen, an - und manch unbedarfter Passant erregte sich über den Agitator, der da in aller Öffentlichkeit herumfuchtelte. Kagels Hörspiel "Der Tribun" wurde im Jahr 1980 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet. Nun hat sich der 76jährige Komponist noch einmal ans Mischpult gestellt. Handygespräche bilden die Grundlage seines neuen Hörspiels "Erratische Blöcke". Mauricio Kagel habe ich in seiner Kölner Wohnung besucht.
    Herr Kagel, wie klingelt Ihr Handy?
    Ich habe kein Handy. Meine Frau hat mir zwar eins geschenkt, aber ich nehme es nie mit und schalte es nie an, also sage ich lieber, dass ich keines habe. Mir ist die Tatsache unheimlich, dass man immer erreichbar ist.
    Weshalb haben Sie ein Hörspiel über Handys gemacht?
    Weil ich über meine Umwelt reflektiere. Ich reise immer noch sehr viel. Reisen ist zu einer Tortur geworden, weil es keinen Privatraum mehr gibt. Im Zug zum Beispiel, rechts und links und oben und unten wird telefoniert. Und ich will überhaupt nicht wissen, was die Leute miteinander sprechen, aber ich bin gezwungen, Zuhörer von Gesprächen zu sein, die mich überhaupt nichts angehen und die zum Teil außerordentlich banal sind. Zehn Minuten, bevor man nach Hause kommt, anzurufen, um anzukündigen, dass man in zehn Minuten zu Hause sein wird, ist die Redundanz im Quadrat.
    Die Gespräche sind das Eine. Das Andere sind diese ganzen Klingeltöne.
    Die Klingeltöne haben mich interessiert. Natürlich sind sie zum Teil sehr banal, aber Banalität und Kitsch sind Ingredienzien unserer Kultur seit dem Barock. Manche nennen es Unterhaltung, es ist mehr als Unterhaltung. Kitsch befriedigt Sehnsüchte und die Klingeltöne ebenso. Und das ist es, was mich als Komponisten fasziniert und interessiert. Die Besitzer von Handys gestalten ihre akustische Umwelt. Ich wollte über diesen Zustand etwas machen, Zuhörer zu sein und Macher zu sein.
    Wie sind Sie vorgegangen? Haben Sie Klingeltöne gesammelt und sich Gesprächssituationen ausgemalt?
    Alle Situationen sind ganz genau beschrieben. Von den Klingeltönen hatte ich eine Liste, gesammelt habe ich sie erst im Studio. Zum Beispiel beginnt in einer Situation eine Fuge von Bach und plötzlich erklingt die gleiche Melodie, nur etwas schneller, in einem Klingelton. Und warum schneller? Sie werden kaum Adagios finden in Klingeltönen. Das geht Hand in Hand mit einer Ablehnung des Adagios auch im Optischen. Die Laute haben überhaupt keine Geduld, beim Fernsehen die Langsamkeit zu ertragen. Sie brauchen Tempo. Es würde eine eigene Sendung ergeben, wenn ich mich dazu äußere. Aber in den Klingeltönen finden Sie dasselbe Phänomen: Alles ist Vivace und Allegro.
    Ihr Hörspiel ist sehr präzise gebaut, fast wie ein Uhrwerk. Haben Sie das alles im Studio gemacht?
    Das habe ich alles im Studio gemacht. Ich muss zugestehen, dass ich privilegiert bin. Ich durfte sechs Wochen lang produzieren.
    Wie kommt es, dass Sie sich als Komponist so kontinuierlich immer wieder dem Hörspiel zuwenden?
    Ich habe einmal gesagt, dass meine Filme meine Opern sind. Und die Hörspiele sind für mich eine Mischung zwischen Oper und Schauspiel. Ich werde keine Schauspiele schreiben. Konventionelle Opern habe ich nie geschrieben. Aber absolut außergewöhnlich für mich am Hörspiel ist, dass ich eine Deutlichkeit erreichen kann, die mit Musik allein nicht möglich ist. Musik ist per se ambivalent. Im Hörspiel dürfen Sie es nie sein, denn der Zuhörer kann sich nicht dagegen wehren.
    Das heißt aber, dass Sie auch ein literarisches Interesse am Hörspiel haben.
    Literatur habe ich studiert. Und ich bin immer noch eine Leseratte.
    Haben Sie denn schon Pläne für ein neues Hörspiel?
    Ja, zwei. Einer wurde abgelehnt, weil man es zu gewagt fand.
    Darüber verraten Sie aber nichts?
    Nein, nein. Ich habe im Laufe der Jahre gesehen, dass wenn man ruhig bleibt und eine Meinung hat, man warten kann, dass die Gegenmeinung sich ändert. Ich darf Ihnen verraten, dass der "Tribun" zuerst nicht gemacht werden durfte. Klaus Schöning hatte es eigentlich durchgesetzt, aber die damalige Dramaturgie wollte es nicht.
    Das Hörspiel "Erratische Blöcke" von Mauricio Kagel stellen SWR2 am Dienstag, den 6.Mai um 23.03 Uhr und HR2 am Mittwoch, den 7.Mai um 21.30 Uhr vor.