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Handys als Stausensoren

Verkehrsforschung.- Zur Ferienzeit halten die Autobahnen den Fahrzeugmassen oft nicht Stand - kilometerlange Staus sind die Folge. Um mehr über das Fahrverhalten der Autofahrer zu erfahren, nehmen Wissenschaftler seit einigen Jahren auch Mobilfunkdaten zur Hilfe.

Von Maike Pollmann | 21.06.2010
    "Verkehrsfunk 20 Kilometer Stau auf der..."

    Tagtäglich warnen uns Verkehrsmeldungen vor Staus auf den Autobahnen. Aber verhalten sich Autofahrer deshalb anders? Mit automatischen Detektoren lässt sich der Verkehr zwar mengenmäßig erfassen - doch wohin die Autos fahren, bleibt unklar. Das andere Extrem: Die Befragung einer kleinen Stichprobe - sie gibt ein sehr genaues Bild, ist aber aufwendig und teuer. Markus Friedrich von der Universität Stuttgart verfolgt deshalb einen neuen Weg: Er und sein Team werten Mobilfunkdaten aus.

    "Man kann keine kleinräumigen Beobachtungen machen, aber sobald die Leute ein größeres Stück fahren - zehn, zwanzig Kilometer, kann man aus diesen Daten etwas ableiten, das heißt insbesondere für Außerortsnetze können wir dort Stauungen erkennen, wir können sehen, wie die Leute ihre Routenwahl machen, wir können abschätzen, wie weit die Leute mit dem Auto fahren, das sind Dinge, die wir sehen können."

    Möglich machen das die mitreisenden Mobiltelefone. Um von den Wissenschaftlern erfasst zu werden, müssen die Autofahrer nicht einmal telefonieren. Es reicht, wenn sie ihre Handys eingeschaltet haben und ein größeres Gebiet, eine sogenannte Location area, durchfahren. Ein solches Areal umfasst rund 50 Mobilfunkantennen und sobald ein Handy eingeschaltet ist, weiß der Mobilfunkbetreiber, in welcher Location area sich das Gerät befindet. Im Untersuchungsgebiet zwischen Stuttgart, Karlsruhe, Heilbronn und Mannheim gibt es ungefähr 40 solcher Gebiete.

    "Wir haben an einem typischen Tag in diesem Netz ungefähr 40 Millionen Datensätze bekommen, die von ungefähr zwölf Millionen unterschiedlichen Handys kommen. Wir wissen von denen keine Nummer und nichts, wir kennen nur die Meldung, dass dort ein Handy sich von einer Location area in eine andere bewegt hat."

    Rückschlüsse auf einzelne Personen lassen sich also nicht ziehen. Aus der Masse an anonymisierten Daten sortieren die Forscher zunächst diejenigen Geräte aus, die sich kaum bewegt haben – also nur eine Location area weit. Danach sind noch rund zwei Millionen Datensätze übrig. Aus diesen lassen sich dann bis zu 500.000 Fahrten rekonstruieren. Zeitlich auf die Sekunde, räumlich auf rund zehn Kilometer genau.

    "Und dann ist eben der Charme der Daten darin, dass sie zwar im Detail nicht so gut sind, aber weil wir so viele haben, können wir Muster erkennen. Und aus dieser Mustererkennung können wir dann Rückschlüsse auf den Verkehrsablauf ziehen, die wir mit anderen Datenquellen so nicht erreichen könnten."

    Rund 30 Prozent aller Fahrzeuge haben Markus Friedrich und seine Kollegen im untersuchten Gebiet erfasst - ein halbes Jahr lang. Das Projekt zeigt erstmals, in welchem Maß Autofahrer ihr Verhalten ändern - aufgrund von Verkehrsmeldungen oder Empfehlungen von Wechselwegweisungen, die auf überlasteten Autobahnen alternative Fahrtrouten vorgeben.

    "Es kam raus, dass sie auf die Verkehrsmeldungen reagieren. Es kam auch raus, dass sie auf Wechselwegweisungen reagieren. Der Befolgungsgrad ist etwas unter 50 Prozent. Aber das heißt, sie reagieren drauf, das können wir auf alle Fälle beobachten."

    In Zukunft könnten Mobilfunkdaten also helfen, den Verkehr besser zu erfassen und zu planen. Denn bisher muss in vielen Fällen noch auf Modellvorstellungen zurückgegriffen werden. Etwa bei der Frage, wo sich der Bau einer neuen Straße lohnt, ob der Lkw-Durchgangsverkehr zunimmt oder wie das Wetter das Fahrverhalten beeinflusst.

    "Wir könnten viel besser verstehen, was in dem Verkehrsnetz passiert. Und damit könnten wir auch langfristig bessere Strategien aufbauen, um den Verkehr zu steuern."

    Dieses und ähnliche Projekte haben gezeigt, dass Mobilfunkdaten ein nützliches Werkzeug für die Verkehrsplanung sein könnten. Unklar ist bis jetzt allerdings, wer die Daten in Zukunft nutzen darf - und vor allem: für wie viel Geld.