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Hanf für Automobile

Seit April 1996 darf Nutzhanf, also rauschmittelarmer Hanf in Deutschland wieder angebaut werden, nachdem es zuvor 14 Jahre lang verboten war. Und seitdem sieht man hin und wieder in der bundesdeutschen Landschaft einige Hanffelder. Lange Zeit blieb dieser Rohstoff aber in einer Marktnische stecken zum Beispiel für Textilien, Bier und Papier oder auch Kosmetikartikel. Inzwischen aber gibt es auch ein industrielles Interesse am Hanf. Die sehr widerstandsfähige Faser eignet sich nämlich bestens für Fahrzeugarmaturen beispielsweise. Doch es ist gar nicht so einfach die Marktnische zu verlassen und sich auf die industriegerechte Produktion einzulassen - vom Anbau über die Ernte und Lagerung bis hin zur Weiterverarbeitung und dem fristgerechten Transport. In der Nähe von Berlin will das Regionale Innovationsbündnis Oberhavel, kurz RIO diesen Schritt wagen - nicht zuletzt, weil der Schienenfahrzeugbauer Adtranz Interesse gezeigt hat.

von Katja Neppert |
    Zum Teil ist es sogar schon Realität: wer sich ein neues Auto kauft, der findet darin schon heute die eine oder andere Hanffaser, weiß Detlef Stryjewski von der Molan und Partner GmbH:

    "Vorwiegend im Innenbereich lassen sich zahlreiche Produkte aus den naturfaserverstärkten Stoffen herstellen, z.B. der Dachhimmel, die Türinnenverkleidung, die Hutablage, die Sonnenblende, etc."

    Das Unternehmen liefert Fahrzeugteile an verschiedene Autohersteller und ist einer von 80 Kooperationspartnern, die das Regionale Innovationsbündnis RIO im Landkreis Oberhavel gefunden hat. Im Süden des Landkreises gibt es viel Fahrzeugindustrie, zum Beispiel den Schienenfahrzeughersteller Adtranz und viele Zulieferbetriebe. Im Norden hingegen Landwirtschaft - und viele Arbeitslose. Wenn nun der Norden nachwachsende Rohstoffe wie Hanf anbaut, die der Süden verwerten kann, dann wäre das für den ganzen Landkreis gut. Das ist die Grundidee. Wenn alles gut geht, fließen bald 40 Millionen Mark von der EU in das Projekt - Ende Juni wurden die Anträge gestellt. Aber auch wenn das nicht klappt: Die Autoindustrie wird immer mehr Hanffasern brauchen, glaubt Christian Krasemann von der Hanffabrik Zehdenick.

    "Die EU-Altautoverordnung zeigt wohin die Reise geht: dass die Stoffe nicht mehr auf Müllhalden landen, sondern recycelt werden. So dass damit ein Maximum an neuen Rohstoffen gewonnen wird, und wenn es Wärmeenergie ist."

    Hanffasern verbrennen umweltfreundlicher als die alten Glasfaserteile im Auto. Außerdem sind sie elastischer und leichter. Das spart Benzin. Und technisch gesehen gibt es auch keine Probleme, Hanf zu verarbeiten, sagt Detlef Stryjewski.

    "Die Verarbeitung in der Produktion läuft reibungslos, mit schnellen Taktzeiten und daher sehr wirtschaftlich."

    13. 000 Tonnen Naturfasern jährlich wandern schon jetzt in die Autoherstellung - dreimal so viel wie noch vor drei Jahren. Das RIO-Projekt will kleine und mittlere Betriebe mit Forschungseinrichtungen vernetzen, damit sie noch viel mehr Naturfaser-Produkte für den Fahrzeugbau entwickeln. Die Hanf-Nachfrage wird dann steigen, so die Überlegung. Aber damit der Hanf ins Auto kommt, muss er erst mal wachsen. Jürgen Brockmann von der Agrargenossenschaft Wutzetz im Nachbar-Landkreis Havelland gehört bislang nicht zum Rio-Projekt. Aber er hat in den vergangenen Jahren Erfahrungen gesammelt mit Hanfanbau auf großen Flächen.

    "Aus Hanf werden ja bekanntlich Stricke hergestellt. Beim Arbeiten mit Hanf muss man sehr darauf achten, dass es bei den Maschinen nicht zu Wicklungen kommt, sonst bleibt die beste Maschine stehen. Wir haben mit einer kanadischen Flachsmähmaschine, die etwas verändert worden ist, den Hanf gemäht. Und es gibt noch die Blücher zwo, die in Prenzlau entwickelt worden ist, die auch in der Lage ist, den Hanf zu mähen."

    Auch um das Hanfstroh zu Ballen zu pressen, mussten besondere Maschinen entwickelt werden, so Jürgen Brockmann. Die fertiggepressten Ballen sehen wie Strohballen aus, sind aber schwerer. Und diese sperrigen Ungetüme müssen bislang lasterweise von Wutzetz aus 130 Kilometer weit zur einzigen Brandenburger Aufschlussanlage für Hanffasern in Prenzlau transportiert werden. Spezialmaschinen und weite Wege - bislang ist der Hanfanbau noch eine teure Angelegenheit. Damit er ökonomischer laufen kann, müsste erst mal investiert werden in Maschinen und Fasergewinnungsanlagen vor Ort.

    "Auch ne kleine Maschinenkette geht schon in ne Million Mark. Das kann nicht von einem Betrieb, das müsste schon von einer Region Havelland, von vielen kleinen Anbauern getragen werden. Kleinere Anlagen, da lohnt es sich nicht zu investieren. Und wenn der Anbau begrenzt ist, bedeutet das eigentlich das Aus für Hanfanbau."

    Gerade weil die Subventionen für Hanf ziemlich hoch sind, darf er nur begrenzt angebaut werden - sonst wird es der EU zu teuer. Wird aber wenig angebaut, dann lohnt es sich nicht, all die Erntemaschinen anzuschaffen. Und die Industrie weicht lieber aus auf Rohstoffe aus dem Ausland, von denen genug da ist, wie Sisal oder Jute. Bevor die ganze Produktionskette vom Bauern bis zum Industriebetrieb läuft, muss noch einiges überdacht, durchgerechnet und investiert werden. Jürgen Brockmann aus Wutzetz würde gern weiter Hanf anbauen, aber die Agrargenossenschaft kann sich das im nächsten Jahr wahrscheinlich nicht leisten. Christian Krasemann von der Hanffabrik Zehdenick vertraut trotzdem auf das RIO-Projekt:

    "Es ist immer ziemlich leicht, wenn die Industrie schreit oder ruft `wir brauchen Rohstoffe`, dann ist auch der Landwirt in der Lage anzubauen. Anzubauen und zu liefern."

    Ob die EU in das Regionale Innovationsbündnis Oberhavel investieren wird, entscheidet sich im Oktober.