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Hang zur Verdrängung

Ein Börsencrash mit tiefer Depression und eine Cholera-Epidemie waren eben durchs Land gezogen, als Johann Strauß wie im Fieberrausch 1874 seine "Fledermaus" komponierte. In Berlin hat man die Fledermaus jetzt wieder an der Lindenoper flattern lassen.

Von Georg-Friedrich Kühn | 22.11.2009
    Musikalisch ist dieser Abend ein Leckerbissen. Schon die Ouvertüre. Wie Zubin Mehta fein die Akzente setzt, wie er die Musik wachsen und gleichsam wieder verschwinden lässt mit Ritardandi, Crescendi, Decrescendi. Wie er mit der Staatskapelle den in dieser Partitur von Johann Strauß auch subtil eingewobenen Militärorchester-Sound heraus präpariert. Wie das alles von innen heraus lebt und webt und leuchtet.

    Szenisch ist von dieser Subtilität in der Regie von Christian Pahde und seinem Ausstatter Alexander Lintl wenig zu spüren. Sie versuchen sich mit aktualisierten Dialogen an einem modernen Outfit für diese einen Börsencrash von anno 1873 kommentierende Komödie des "glücklich ist, wer vergisst".

    Aber außer einer rot flimmernden Leuchtschrift mit den Börsenkursen im zweiten Akt beim gruftigen Prinzen Orlowski finden sich keine zwingenden Bilder, die den Bogen zum Heute schließen.

    Eher mit kleinen Gags wartet das Regieteam auf. Die Wohnung des zum Arrest verurteilten Dr. Eisenstein ist eine Designer-Küche mit gestyltem Messerbord an der Wand und mannshohem Kühlschrank. Der frühere Liebhaber der Rosalinde, Alfred, seilt sich dorthin über den Balkon ab und bindet sich als Alfredissimo sogleich die Chefkoch-Schürze um. Das Hausmädchen Adele hat das Henkersmahl für den Hausherrn statt beim Italiener bei MC Donalds besorgt. Alle hatten's ja eilig zum Kostüm-Ball beim Prinzen Orlowsky zu kommen.

    Dessen Ballsaal ist eine düstere Disco. Der "Prinz", der alles schon durch hat und sich über nichts mehr freuen kann, kommt daher in schwarzem Lederzeug mit Fuchsschwanz und blondiert gegelten Haaren. Rosalinde Eisenstein, die hier als ungarische Gräfin im weißen Hochzeitskleid mit schwarzer Schärpe und Augenmaske mit ihrem Mann wieder anbandelt, gibt sich nur kurz mal ihrer Zofe Adele augenzwinkernd zu erkennen.

    Am witzigsten der Ausnüchterungs-Trakt beim Gefängniswärter Frosch. Der "erschreit" sich seinen Namen gleichsam mit Brüllanfällen, bei denen er den literweise in sich hinein gekippten Schnaps wieder auszukotzen scheint. In gestreifter Trainingshose mit Polohemdchen und strähnigen Haaren hat er sich einen kleinen Nebenverdienst aufgebaut mit Verhökern von DDR-Devotionalien von Militärmützen, Erich-Telefonen bis zu Unterwäsche von Margot.

    Die Wohneinrichtung von Eisensteins ist hier mit langen Stangen an die Decke gepflockt. Eisenstein kann als falscher Dr.Blind seinen Rachegelüsten freien Lauf lassen und Adele sich als Theatertalent präsentieren.

    Zu Recht darf sich Christine Schäfer hier als Adele feiern lassen, während Silvana Dussmann mit ihrem hochdramatischem Sopran für die Rosalinde doch eine Spur zu "schwer" scheint. Aber auch das übrige Ensemble mit Martin Gantner als so von sich selbst überzeugtem wie bei Frauen unsicherem Eisenstein, Jochen Schmeckenbecher als halbgewalktem Gefängnisdirektor Frank oder Michael Maertens als seinem klapprigen Diener Frosch fügt sich gut zusammen.

    Buhs gab es für die gezackten Tanzeinlagen, die der aus der Off-Szene stammende Martin Siefermann choreografiert hatte. Und viele Buhs sammelte am Ende auch das Regieteam. Ansonsten Bravos zumal für Mehta und die Berliner Staatskapelle an einen weitgehend sinnfreien Abend.