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Hanna Jansen: Über tausend Hügel wandere ich mit dir.

Vor nunmehr acht Jahren – am 6. April 1994 – begann im afrikanischen Ruanda einer der größten Massenmorde seit dem Zweiten Weltkrieg – in 100 Tagen wurden rund 800.000 Menschen ermordet – eine staatlich organisierte Mordmaschinerie rollte durchs Land – und die Weltöffentlichkeit stellte sich blind und taub und stumm . Mittlerweile gibt es – jenseits von Augenzeugenberichten und journalistischen Arbeiten – mehrere Bücher, in denen versucht wird, die Gräuel von Ruanda in Worte zu fassen. In Deutschland ist gerade der Roman "Über tausend Hügel wandere ich mit dir" von Hanna Jansen erschienen. Die Autorin verarbeitet darin die Erfahrungen ihrer Adoptivtochter. Sie hat als Achtjährige den Massenmord in Ruanda überlebt, kam nach Deutschland und fand bei Hanna Jansen und ihrem Mann ein neues Zuhause. Gaby Mayr hat das Buch gelesen und mit der Autorin gesprochen:

Gabi Mayr | 04.03.2002
    Vor nunmehr acht Jahren – am 6. April 1994 – begann im afrikanischen Ruanda einer der größten Massenmorde seit dem Zweiten Weltkrieg – in 100 Tagen wurden rund 800.000 Menschen ermordet – eine staatlich organisierte Mordmaschinerie rollte durchs Land – und die Weltöffentlichkeit stellte sich blind und taub und stumm . Mittlerweile gibt es – jenseits von Augenzeugenberichten und journalistischen Arbeiten – mehrere Bücher, in denen versucht wird, die Gräuel von Ruanda in Worte zu fassen. In Deutschland ist gerade der Roman "Über tausend Hügel wandere ich mit dir" von Hanna Jansen erschienen. Die Autorin verarbeitet darin die Erfahrungen ihrer Adoptivtochter. Sie hat als Achtjährige den Massenmord in Ruanda überlebt, kam nach Deutschland und fand bei Hanna Jansen und ihrem Mann ein neues Zuhause. Gaby Mayr hat das Buch gelesen und mit der Autorin gesprochen:

    Jeanne ist im Alter von zehn Jahren in unsere Familie gekommen. Zu dem Zeitpunkt konnte sie noch keine europäische Sprache, sie hat aber relativ schnell Deutsch gelernt. Sie kam im April, und im Sommer, während eines ersten gemeinsamen Urlaubs, hat sie eigentlich schon angefangen zu erzählen. Das heißt, es war bei ihr ein ganz starkes Bedürfnis da, auch diese schrecklichen Ereignisse los zu werden. Und dieser Prozess des Erzählens hat sich dann über die Jahre hingezogen. Natürlich ist dann auch im Verlauf des Sprechens miteinander sehr vieles noch dazu gekommen an Erinnerung, was zunächst nicht so präsent war. Von dem Zeitpunkt an, als wir uns entschlossen hatten, diese Geschichte, oder ich, sie in einen Roman zu fassen, von da an haben wir auch immer wieder mal so Pausen gemacht, wo wir darüber nachgedacht haben, ob es gut ist, weiter zu machen. Aber es war eben so, dass Jeanne es selbst als für sich entlastend empfunden hat.

    "Jeanne hatte in den letzten Tagen so häufig Männerhorden gesehen, die Keulen, Äxte und Macheten bei sich trugen, dass sie sich zunächst nichts dabei dachte. Es erschien ihr fast normal. Doch als sich die Bauern mit Habimana an der Spitze schnurstracks zu den Jungen begaben, durchfuhr sie die Erkenntnis wie ein Schock: Sie kamen, um zu töten! `Ihr geht mit uns!´, forderte ein alter Bauer unumwunden. Die Jungen standen auf. Habimana löste sich aus der Gruppe und schritt entschlossen auf Olivier zu. `Und du kommst auch mit!´, sagte er. Als er den Kleinen vom Boden hob, begann Olivier zu zappeln und zu schreien. Habimana hielt ihm den Mund zu und umklammerte ihn fest. Jeanne traute ihren Augen nicht. Olivier war doch Marias Sohn! Erst jetzt schien auch Maria zu begreifen, was geschah. Sie sprang auf und stürzte sich auf ihren Bruder. `Nicht!´, rief sie entsetzt. `Was wollt ihr denn mit Oli!?´ Habimana sah sie steinern an und schwieg. `Aber das könnt ihr doch nicht machen!´, flehte Maria. `Er ist gerade erst von meiner Brust entwöhnt!´ Sie begann zu weinen. `Er ist ein Junge´, erwiderte Habimana ungerührt. `Und Gasanas Sohn.´"

    Gasana, Marias Mann, war Tutsi. Das reichte dem Hutu Habimana, den eigenen Neffen zu töten. Ein unbändiger Hass schien Hutus anzutreiben, Angehörige des Tutsi-Volkes umzubringen.

    Mehr über mögliche Hintergründe der Gewalt erfahren wir in Jansens Buch - fast - nicht: Ein paar dürre Daten zu dem seit langem schwelenden Konflikt im Anhang. Und in der Geschichte von Jeanne ein paar kleine Szenen, Andeutungen, die eine Ahnung von dem drohenden Unheil vermitteln:

    Ich habe sehr bewusst mich wirklich auf die Perspektive des Kindes beschränkt. Weil alle Menschen, mit denen ich bisher gesprochen habe, Menschen aus Ruanda, die zu beiden Gruppierungen Hutu oder Tutsi gehören, stehen auch im Grunde fassungslos davor. Und jeder Erklärungsversuch in irgendeiner Hinsicht wäre mir zu gewagt gewesen.

    Es unterstützt die atmosphärische Dichte von Jeannes Geschichte, wenn die Autorin sich auf die Sicht des Kindes konzentriert. Aber es wäre Sache des Verlages gewesen, in einem Nachwort ergänzende Informationen zu liefern, die deutschen Leserinnen und Lesern nicht unbedingt geläufig sind: Zur Vorgeschichte des Mordfeldzuges und zu Ereignissen, die in Jeannes Geschichte eine Rolle spielen, wie etwa das Verhalten katholischer Würdenträger, die den Mördern die Opfer ans Messer lieferten und auch selber zur Machete griffen. Denn "Über tausend Hügel wandere ich mit dir" ist ja nicht pure Belletristik, sondern basiert auf den Erfahrungen eines Kindes, die mit den Mitteln des Romans erzählt werden. Es ist "politische Literatur" im Wortsinn.

    Trotz dieses Mankos wirkt das Buch aufklärerisch - ohne erhobenen Zeigefinger, alleine durch seine Geschichte. Etwa indem es Parallelen deutlich macht zwischen den Verbrechen gegen die Tutsi und gegen die Menschen jüdischer Herkunft während der Naziherrschaft: Afrika liegt nicht auf einem anderen Stern, sondern ganz nah. Und auf die Vorzeichen drohender Gewaltexzesse müssen Menschen überall auf der Welt achten und endlich lernen, rechtzeitig zu reagieren - das ist eine Lehre aus den Erfahrungen in Deutschland und Ruanda.

    "Ich denke, das ist was Ähnliches. Es ist insofern etwas Ähnliches, als aus einer bestimmten Situation innerhalb eines Landes so ein Neid und Hass von Bevölkerungsgruppen entstanden ist, und ich denke, das Schicksal der Juden ist durchaus in einigen Punkten vergleichbar mit dem der Tutsi oder umgekehrt, und war ja übrigens auch präsent für die Weltöffentlichkeit, nur hab ich das Gefühl, man hat da weggesehen.

    Aufklärerisch wirkt "Über tausend Hügel wandere ich mit dir" auch in seinem scheinbar unpolitischsten, dem ersten Teil, der ein Drittel des Romans umfasst. Darin beschreibt die Autorin Jeannes Leben vor dem April 1994. Es ist der Alltag in einer bürgerlichen ruandischen Familie: Die Eltern unterrichten an der Schule, mit den beiden Geschwistern hat Jeanne ihren Ärger und ihren Spaß, Hausangestellte sorgen für den reibungslosen Ablauf des Lebens. Die Mutter ist stets besorgt um die Gesundheit ihrer Lieben und verschafft Jeanne Gelegenheit zu vielfältigen Beobachtungen im örtlichen Hospital. Der Vater kultiviert sein Faible für die französische Sprache - sie ist die Sprache der ehemaligen belgischen Kolonialherren, aber auch der Zugang zur europäischen Bildung. In den großen Ferien kommen die jungen Mitglieder der weitverzweigten Familie bei der Großmutter auf dem Land zusammen, einer Großmutter, die noch selber allabendlich im Kreis ihrer Enkelkinder Geschichten erzählt.

    Diesen ersten Teil schreibt Hanna Jansen mit leichter Hand, mit einem Sinn für die Komik des Alltags, wie man ihn sonst eher bei afrikanischen Autorinnen und Autoren findet. Konsequent vermeidet Jansen im gesamten Buch den eurozentrischen Blick auf Afrika. Ihren deutschen Leserinnen und Lesern vermittelt sie Eindrücke von einem Leben jenseits von drückender Armut und Gewalt in der Township. Und bringt uns auch damit Afrika näher.

    So weit Gaby Mayr über das Buch von Hanna Jansen: "Über tausend Hügel wandere ich mit dir". Erschienen ist es bei Thienemann in Stuttgart. 365 Seiten. 16 Euro 90.