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Hannah Arendt Revisited

Berühmt wurde Hannah Arendt 1951 mit ihrem Buch "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", mit dem sie die vor allem von links lange angefeindete Totalitarismustheorie begründet: Charismatische Führer - heißen diese Hitler oder Stalin - nutzen die Orientierungslosigkeit der Menschen in der modernen Welt aus, indem sie ihnen Halt versprechen - ein Halt, der sich im Wesentlichen auf Terror und KZ-System stützt.

Hans-Martin Schönherr-Mann |
    Heftig umstritten vor allen Dingen unter jüdischen Intellektuellen in den USA war dagegen 1963 ihre Analyse des Prozesses gegen "Eichmann in Jerusalem", der den Untertitel "Bericht von der Banalität des Bösen" trägt.Manche Zeitgenossen, die sie zuvor schätzten, verfemten sie daraufhin jahrelang. Mit den Reaktionen auf Hannah Arendts Bericht und dessen weiterer Rezeptionsgeschichte setzt sich ein von Gary Smith herausgegebener Sammelband "Hannah Arendt Revisited" auseinander, der Arendts Bericht auch in den Zusammenhang ihres Werkes zu stellen versucht.

    Orientierungspunkt des Bandes stellt die Problematik dar, daß Geschichte häufig eher durch brillanten Essayisten und scharfzüngigen Polemiker denn durch den um Objektivität bemühten Historiker Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erlangt. Noch heute sieht Raul Hilberg, der Autor der großen Studie über "Die Vernichtung der europäischen Juden", sein Lebenswerk durch Hannah Arendt zerstört: Sie bediente sich nicht nur Hilbergs historischen Materials teilweise ohne genaue Quellenangabe. Vielmehr fühlt sich Hilberg offenbar noch heute von ihr mit ihrem glänzendem Stil und öffentlichem Aufsehen in den Schatten der Debatten um den Holocaust gestellt.

    Jedenfalls entfachte ihr Prozeßbericht einen Sturm der Entrüstung, den Hannah Arendt selbst als Verschwörung und Rufmord empfand. Man stieß sich nicht nur daran, daß sie die politisch zweckdienliche Prozeßführung des israelischen Staatsanwaltes kritisierte und daß sie das Verhalten der Judenräte für den Holocaust mitverantwortlich machte. Vor allem ihr Wort von der Banalität und Alltäglichkeit der Persönlichkeit Eichmanns, was alles Dämonische der grausamen Taten entzaubert, erregte Empörung.

    Hannah Arendt versuchte sich daraufhin mit den Worten zu verteidigen: "Wie monströs die Taten auch waren, der Täter war weder monströs noch dämonisch (..): es war keine Dummheit, sondem eine seltsame, ganz authentische Unfähigkeit zu denken." Dem hält Gary Smith im ungeführten Sammelband entgegen: "Arendt verweigerte sich der Einsicht in die kranke, sadistische Natur des Täters und schritt mit dem ganzen Stolz ihrer Intelligenz über die historische Erfahrung und die aktuellen Empfindungen ihrer Zeitgenossen hinweg."

    Seltsam muten diese Vorwürfe heute nicht allein deshalb an, weil sie in sich widersprüchlich sind: Warum sollte es gerade die kalte Intelligenz mit den Tatsachen nicht so genau nehmen? Vielmehr treffen beide Kritiken ins Zentrum von Hannah Arendts eigenen intellektuellen Ansprüchen nach Wahrhaftigkeit und öffentlicher Diskursfähigkeit. In einem ihrer berühmtesten Essays, "Wahrheit und Politik",der 1965, also wenige Jahre nach dem Eichmann-Bericht, in einer ersten Fassung erscheint, insistiert sie darauf, daß es in Politik und Geschichte objektive Wahrheiten gibt, die nicht beliebig deutbar und interpretierbar sind:

    "Bei näherem Zuschenjedoch zeigt sich erstaunlicherweise, daß man der Staatsräson jedes Prinzip und jede Tugend eher opfern kann als gerade Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Wir können uns ohne weiteres eine Welt vorstellen, die weder Gerechtigkeit noch Freiheit kennt, und wir können uns natürlich weigern, uns auch nur zu fragen, ob ein Leben in solch einer Welt der Mühe wert sei. Mit der so viel unpolitischeren Idee der Wahrheit ist das merkwürdigerweise nicht möglich. Es geht ja um den Bestand der Welt, und keine von Menschen erstellte Welt, die dazu bestimmt ist, die kurze Lebensspanne der Sterblichen in ihr zu überdauern, wird diese Aufgabe je erfüllen können, wenn Menschen nicht gewillt sind, das zu tun, was Herodot als erster bewußt getan hat nämlich "legein ta eonta": das zu sagen, was ist. Keine Dauer, wie immer man sie sich vorstellen mag, kann auch nur gedacht werden ohne Menschen, die Zeugnis ablegen für das, was ist, und für sie in Erscheinung tritt, weil es ist."

    Aber ist dieser Anspruch Hannah Arendts auf Wahrhaftigkeit in Politik und Geschichte nicht vielleicht doch zu weitläufig, gerade angesichts des Holocaust? In der Konsequenz bestreitet Arendt die Legitimität des israelischen Gerichts. Die Verbrechen des Holocaust betrachtet sie als Verbrechen gegen die Menschheit, so daß nur ein internationaler Gerichtshof diese auch hätte beurteilen können. Doch Hitler, Eichmann und die SS, darauf weist Gary Smith hin, ermordeten Millionen von Juden, um just diese aus der Menschheit auszutreiben. Und konnte sich Israel die Gelegenheit entgehen lassen? Zum ersten Mal in der Geschichte saßen die Opfer über die Henker zu Gericht - anders als bei den Nürnberger Prozessen der Siegermächte des zweiten Weltkriegs.

    Hannah Arendt konnte oder wollte die Rolle nicht verstehen, die der Eichmann-Prozeß für Israel spielte, wenn sich dabei ein Volk seiner Geschichte zu versichern versuchte. Gershom Scholem brach daraufhin mit ihr, die er zuvor als zionistische Kämpferin und Freundin seines Freundes Walter Benjamin schätzte. Auch die renommierte Harvard-Professorin Seyla Benhabib stellt in ihrem Beitrag zum Sammelband "einen erschreckenden Mangel an Augenmaß, Feingefühl und Besonnenheit" in Arendts Eichmann-Bericht fest.

    Aber für Hannah Arendt verschenkte der Prozeß die historisch einmalige Chance, eine nicht nur ausgewogene, sondern auch noch juristisch abgewogene Einsicht in den wahren Verlauf der Geschichte zu gewinnen. Diesen Anspruch Arendts allerdings sollte man schon ernster als viele ihrer Kritiker nehmen. Denn nicht nur erhebt sie ihn zur eigenen subjektiven Maxime, der sie - beseelt durch ihren Lehrer Karl Jaspers Zeit ihres Lebens folgt - gerade ist im Jüdischen Verlag die Essay-Sammlung "Die verbotene Tradition" neu ediert worden, die diesen Anspruch eindrucksvoll bestätigt. Hannah Arendt erkennt in dieser Maxime vielmehr eine allgemeine Grundbestimmung des abendländischen Menschentums, von der man vielleicht nicht mal angesichts der überaus verständlichen Interessen der Opfer des Holocaust einfach absehen darf. In ihrem Vortrag "Wahrheit und Politik" stellt sie fest:

    "Die Geschichte dieser Haltung, der es nur um die Wahrheit zu tun ist, ist älter als alle unsere theoretischen und wissenschaftlichen Traditionen, älter auch als die Tradition philoophischen und politischen Denkens. Ich möchte meinen, daß ihr Ursprung mit der Entstehung der homerischen Epen zusammenfällt, in denen des Liedes Stinune den überwandenen Mann nicht verschweigt und nicht verunglimpft und die Taten der Trojaner nicht weniger gepriesen werden als die der Achäer, die für Hektor zeugen wie für Achill. Eine solche 'Objektivität' wird man in den anderen Kulturen des Altertums vergeblich suchen; nirgendwo sonst ist man je imstande gewesen, wenigstens im Urteil dein Feind Gerechtigkeit wieder fahren zu lassen, nirgendwo sonst zu indizieren, daß die Weltgeschichte nicht das Weltgericht ist, daß Sieg oder Niederlage für das Urteil nicht das letzte Wort behalten dürfen, wiewohl sie doch offenbar das letzte Wort sind für die Schicksale der Menschen.(..) Hier liegt die geschichtliche Wurzel der gesamten abendländischen 'Objektivität', dieser merkwürdigen Leidenschaft für intellektuelle Integrität um jeden Preis, die es nur im Aabendland gegeben und die es zur Geburtsstätte der Wissenschaft gemacht hat."

    Aber nicht nur Hannah Arendts Kritik an der Prozeßführung steht in Schußlinie. Auch das Urteil über Eichmann selbst als stumpfen Bürokraten und banalen Allerweltsmemchen wird von vielen Seiten auch heute noch bestritten. Gary Smith weist daraufhin, daß Eichmann damals der letzte noch lebende Stratege des Völkermords an den Juden war - ein Gesichtspruch, den Hannah Arendt in polemischer Perspektive aus den Augen verloren hätte.

    Aber vielleicht klingt Arendis Position auch nur so polemisch, weil sie eine höhere Warte einnimmt die sie auch dann noch beansprucht, wenn sie Impressionen oder Meinungen äußert. So beschreibt sie Eichmann als banalen Schreibtischtäter, der nicht mal unheimlich wirke.Im Gegenteil, so schrieb sie an ihren zweiten Mann Heinrich Blücher, wirke Eichmann, der erkältet in seinem Glaskasten saß und nieste, wie ein 'Hanswurst'. Er mache weder den Eindruck, als triebe ihn der Haß, noch als giere er nach Blut.

    Vielleicht reagierten viele Menschen in ihrer emotionalen Betroffenheit so heftig auf diese Äußerungen, weil sie von Hannah Arendt mit sachlicher Distanz begründet wurden, ihnen also gar nicht so leicht zu widersprechen war. Hannah Arendt erhebt nämlich nicht nur den Anspruch der Wahrhaftigkeit, sondern auch denjenigen, daß Meinungen gerade nicht beliebig, sondern möglichst abgewogen sein sollen. Dazu erscheint ihr das Gespräch mit anderen Menschen und die Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit nötig:

    "Meinungen eignet keine axiomatische Gewißheit. Sie sind nicht evident, sondern bedürfen der Begründung, sie drängen sich nicht auf, sondern sind das Resultat der Überlegung. Die Überlegung, die zur Meinungsbildung führt - im Unterschied zu dem Denken das auf Wahrheit abzielt - ist wahrhaft diskursiv; sie durchläuft die Standorte, die in den mannigfaltigen Teilen der Welt gegeben sind, die Ansichten, die sich aus ihnen bieten und einander entgegengesetzt sind, bis sie schließlich aus einer Fülle von solchen parteigebundenen Teilansichten eine relativ unparteiische Gesamtansicht herausdestilliert hat."

    Für viele war Hannah Arendts relativ unparteiischer Blick auf den Eichmann-Prozeß angesichts des Holocaust unerträglich. Manche haben sich später für ihre heftigen Reaktionen entschuldigt. Als Hannah Arendt am 4.Dezember 1975 starb, - darauf weist Amos Eton in seinem Beitrag zu "Hannah Arendt Revisited" hin - war sie eher auf dem Tiefpunkt ihres Ruhms. Heute, über 50 Jahre nach dem Holocaust erlebt sie eine Renaissance. Viele ihrer Einsichten - gerade über intellektuelle Redlichkeit und die Fragwürdigkeit von parteiischen Stellungnahmen - erregen Aufmerksamkeit, weil sie in einer unübersichtlichen und orientierungslosen Welt um so notwendiger sind, will man nicht beliebigen Verführungen aufsitzen.