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Hannah Arendt revisited - Eichmann in Jerusalem und die Folgen

den 15. April 1961 Jerusalem

Karin Beindorff | 26.03.2001
    Lieber Liebster, heute ist es gerade eine Woche, dass ich abgeflogen - mir scheint es sehr viel länger. Es ist kalter Frühling in Jerusalem mit schöner, warmer Sonne. Meine Hotelunterkunft war unmöglich, und ich bin, wie Du siehst, umgezogen - raus aus der Stadt, die laut und scheußlich ist, voll von einem orientalischen Mob, wie man ihn eben im Nahen Osten sieht, das europäische Element sehr zurückgedrängt, die Balkanisierung sehr vorgeschritten in jeder Hinsicht. ... Der Prozess selbst: Eichmann wie ein Gespenst, das dazu gerade den Schnupfen hat, in seinem Glaskasten eher noch wie eine Materialisierung in einer spiritistischen Seance. Nicht einmal unheimlich. Er selbst nur darauf bedacht, die Haltung nicht zu verlieren. Der Staatsanwalt mit unzähligen Assistants und vor Bergen von Büchern und Zeitschriften, ein galizischer Jude, der ohne Punkt und Komma spricht, sich dauernd wiederholt und widerspricht, gelehrt tut, wie ein beflissener Schüler, der zeigen will, was er alles weiß. Der Verteidiger, ein öliger, geschickter und sicher durch und durch korrupter Herr, aber erheblich gescheiter als der Staatsanwalt. Darüber thronend die drei Richter, alles deutsche Juden, und in der Mitte der presiding judge, Moshe Landau, der ganz und gar großartig ist - mit Ironie und Sarkasmus in langmütiger Freundlichkeit.... Vor dem Gerichtshof ein Mob von orientalischen Judenkindern und Peiesjuden - wie er sich zu jeder Sensation zusammenfinden würde. Das Land in Wahrheit gar nicht sehr interessiert, künstlich hochgepeitscht. Dazu überflutet von Deutschen, die so philosemitisch sind, dass einen das Kotzen ankommt. So unter anderem mein Tischnachbar hier, der Frankfurter Bürgermeister mit Frau, die gerade ihren Sohn nebst einem Freund in einen Kibbuz eingeliefert haben. Einer der Journalisten ist mir bereits laut schluchzend um den Hals gefallen - mit einem: das haben wir gemacht etc. Wie im Theater. Ebenfalls zum Kotzen. Daneben die fixen und tüchtigen Herren des Wirtschaftswunders, die im King David wohnen und voller Leutseligkeit und "guten Willens" sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein gutes Ende nimmt. Der einzige Trost, daß es nicht sehr wichtig ist.

    Hannah Arendt schrieb das ihrem Mann Heinrich Blücher aus Jerusalem, wo sie den Prozess gegen Adolf Eichmann beobachtete. Den Briefwechsel kann man nachlesen in dem Band "Hannah Arendt, Heinrich Blücher, Briefe, 1936 - 1968, der bei Piper erschienen ist.

    Der Eichmann - Prozess zielte nicht nur auf die Verurteilung eines Organisators der Judenvernichtung, er sollte darüber hinaus in Israel wie im Ausland Holocaust - Bewusstsein mobilisieren. Das durchschaute die jüdische Philosophin von Anfang an und sie war nicht bereit sich das Konzept der Israelis zu eigen zu machen. In ihren Berichten vermied sie zwar die Polemik, die ihre Briefe prägten, doch löste ihr Bericht "Eichmann in Jerusalem" eine heftige innerjüdische Kontroverse aus. In der Edition Suhrkamp hat Gary Smith den Band "Hannah Arendt revisited" herausgegeben, der Rückblick hält auf die Kontroverse um ihre Prozessberichte. Unsere Rezensentin ist Karin Beindorff.

    Gegen dieses Buch ist noch vor seinem Erscheinen eine organisierte Kampagne in die Wege geleitet worden, die mit identischer Phraseologie von Amerika nach England getragen wurde....

    So Hannah Arendt im August 1964 im Vorwort der deutschen Ausgabe von 'Eichmann in Jerusalem'. Sie fühlte sich als Opfer einer 'Entstellungskampagne von israelischer und jüdisch-amerikanischer Seite'. Von Anfang an war eine sachliche Auseinandersetzung mit ihrem Bericht vom jerusalemer Eichmann-Prozess kaum möglich. Die vorgetragenen Anschuldigungen gegen sie reichten tatsächlich von der falschen Behauptung bis zum gezielten Missverständnis. Doch sie hatte durchaus auch seriöse Gegner, und die erhoben gegen die aus Deutschland emigrierte jüdische Philosophin und Journalistin vor allem zwei Vorwürfe: sie habe mit ihrem Begriff von der Banalität des Bösen, die sie in Eichmann zu erkennen glaubte, auch das Verbrechen des Judenmordes selbst verharmlost. Zudem habe sie die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verwischt, indem sie den Judenräten, der von den Nazis eingesetzten Vertretung der Juden, eine Mitschuld am Völkermord zugerechnet habe. Unglücklicherweise ließen sich später auch noch in diversen Briefen etwa an ihren Mann Heinrich Blücher oder an Karl Jaspers und Mary McCarthy durchaus Belege für ein geschichtsfremdes, durch moralphilosophische Abstraktion inspiriertes Urteil über die jüdischen Funktionäre und eine gewisse Voreingenommenheit gegen den israelischen Gerichtshof, vor allem den Staatsanwalt finden.

    Die fast 40 Jahre alte Kontroverse um Hannah Arendts Bericht hat viele Ebenen, die sich mit Hilfe der Aufsätze des Buches genau nachvollziehen lassen. Anthony Grafton z.B. schildert, wie die Versuche seines Vaters scheiterten, in den USA, wo das Buch zuerst erschienen war und deren Staatsbürgerin die Autorin seit 1941 war, eine offene Diskussion mit Hannah Arendt zu führen, wie borniert sie die Tatsache zurückwies, dass sich so viele durch den ironisch-polemischen Ton ihres Buches verletzt fühlten, weil sie diesen Ton so kurz nach den grauenvollen Ereignissen für gänzlich unangemessen hielten. Stepháne Mosés analysiert eine besonders folgenreiche Facette des Streits, nämlich die Auseinandersetzung mit dem seit 1923 in Palästina lebenden jüdischen Gelehrten Gershom Scholem, der Arendt das Recht absprach zu urteilen und ihr die Freundschaft kündigte.

    Ich finde Ihre Darlegungen des jüdischen Verhaltens unter extremen Umständen, in denen wir beide nicht gewesen sind, kein abgewogenes Urteil, sondern vielmehr ein oft ins Demagogische ausartendes Overstatement. Wer von uns kann heute sagen, welche Entschlüsse jene 'Ältesten' der Juden oder wie man sie nennen will, unter den damaligen Umständen hätten fassen müssen?..... Ich maße mir kein Urteil an. Ich war nicht da.

    Ein historisches Urteil könne nur mit Distanz gefällt werden. Scholem bezichtigte sie des Mangels an 'Herzenstakt', ihr als Jüdin fehle die Liebe zum jüdischen Volk, ausgedrückt in dem hebräischen Begriff 'Ahabat Israel'. Arendts Buch hinterlasse ein Gefühl der 'Bitterkeit' und der 'Scham' über die Autorin.

    Besonders hervorzuheben im Potsdamer Sammelband ist der kluge Aufsatz von Seyla Benhabib, der 'Identität, Perspektive und Erzählung' in Arendts Buch über den 'Hanswurst' Eichmann als Protagonisten eines 'Verbrechens an der Menschheit' nachgeht. Hier werden auch die zahlreichen Widersprüche in Arendts Argumenten deutlich, ihr Schwenk vom radikal Bösen aus der Studie 'Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft' zum banalen Bösen im Eichmann Buch, ihre Kritik am angeblich mangelnden Widerstand der jüdischen Oberen während sie andererseits die Fragen des israelischen Staatsanwalts an verschiedene Zeugen, warum sie keinen Widerstand geleistet hätten, als brutal und töricht verwirft. Es wird aber vor allem herausgearbeitet, wie sehr Hannah Arendt versucht hatte, das im Prozess Erlebte ihrer Beschäftigung mit dem philosophischen Problem des moralischen Urteils unterzuordnen. Die Komplexität des Geschehens und seiner Bedingungen, die historische Genauigkeit blieben dabei oft auf der Strecke. Nicht nur im jerusalemer Prozess-Bericht mischten sich bei Hannah Arendt kluge Erkenntnis mit krudem Vorurteil.

    Herausgeber Gary Smith, Gründungsdirektor des Potsdamer Einstein-Forums, schreibt am Ende seines Vorworts, das Buch, das Hannah Arendts Polemik vermieden und dennoch eindringlich Geschichte beschworen hätte, sei nie geschrieben worden. Immerhin hat die Potsdamer Tagung und in der Folge dieser lesenswerte Sammelband einer Reihe von Historikern die Gelegenheit gegeben, in zeitlichem Abstand noch einmal ein Buch zu analysieren, dessen Wirkung weit über ihre eigenen Studien hinausreichte. Diese Wirkung bezog 'Eichmann in Jerusalem' nicht zuletzt aus der Dringlichkeit der Fragen nach dem Denken, Urteilen und richtigen Handeln, nach der Schuld und ihrer Zurechenbarkeit in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Und schon 1963 sieht Hannah Arendt im Epilog des Eichmann-Buches voraus, dass das 'Verbrechen an der Menscheit' seine Zukunft noch nicht hinter sich hat.

    Die erschreckende Koinzidenz der modernen Bevölkerungsexplosion mit den technischen Erfindungen der Automation einerseits, die große Teile der Bevölkerung als Arbeitskräfte 'überflüssig' zu machen droht, und mit der Entdeckung der Atomenergie andererseits hat eine Situation geschaffen, in der man 'Probleme' mit einem Vernichtungspotential lösen könnte, dem gegenüber Hitlers Gasanlagen sich wie stümperhafte Versuche eines bösartigen Kindes ausnehmen. Es besteht aller Grund sich zu fürchten, und aller Grund, 'die Vergangenheit zu bewältigen'.

    Wenn auch Hannah Arendts Antworten auf die moralischen Herausforderungen im Zeitalter der Massenvernichtung von Menschen Anlass zu vielfältiger Kritik bieten, wenigstens ihre Fragen nach den Bedingungen des völligen moralischen Zusammenbruchs haben in nahezu 40 Jahren nichts an ihrer Aktualität eingebüßt.

    Karin Beindorff über "Hannah Arendt revisited. Eichmann in Jerusalem und die Folgen". Der Band wird von Gary Smith in der Frankfurter edition suhrkamp herausgegeben, 312 Seiten, DM 23,90.