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"Hannelore Kohl"

Vermutlich regnete es zu stark für die Weicheier von der Jungen Union in Bonn. Trotz der angekündigten Proteste war weit und breit kein Demonstrant zu sehen, und das, obwohl zwei freundliche Damen vom Theater vor dem Theater extra Glühwein ausschenkten. Der Skandal blieb also aus, drinnen übrigens sowieso. Eine schöne Analogie bildeten immerhin die zwanzig Plastikbecher, die im ersten Bild - mit einer milchigen statt roten Flüssigkeit gefüllt - auf einem zugedeckten Flügel versammelt waren. Hannelore Kohl - gelber Schlafanzug, gelbblonde Betonfrisurperücke - leert ein paar davon, während sie ihre vielen (18 sind verbürgt) Abschiedsbriefe zuklebt. Der angedeutete Selbstmord und die letzte große Sause der Republik fallen hier zusammen. Danach ist es mit dem Deutschland Helmut Kohls endgültig vorbei.

Von Karin Fischer |
    Der Flügel wird fast das einzige Requisit bleiben auf der Bühne von Martin Zehetgruber, der einen alle drei Seiten umschließenden hohen ockergelben Vorhang aufgehängt hat, der exemplarisch zeitlosen Muff ausdünstet. Mit stoischer Ruhe bewegt sich Laiendarsteller Hans Jürgen Moll als Helmut Kohl durch die Szene, ein Koloss, für den Kresnik fast die schönsten Bilder findet. Wenn Hannelore sich auf seine Schuhe stellt und ihm gerade bis zur Brust reicht. Oder wenn sie, nach dem Spendenskandal, dem fast nackten fetten Mann die DM-Zeichen vom Körper zu rubbeln versucht. Starke Symbolik ist das, denn obwohl Kresnik den Ex-Kanzler demontiert, indem er ihn meist in Unterhosen zeigt, lässt sich die Präsenz dieses Riesen nicht mal ansatzweise unterlaufen. Er bleibt die heimliche Haupt-Figur, bis zum Schluss, wo Kresnik seiner Hannelore ein Theaterbegräbnis erster Klasse spendiert, mit viel Licht und ein bisschen Feuer und einem großen Kranz.

    Dass dieser Tod einer Politikergattin, die ihr Leben im doppelten Sinne "im Schatten" verbringen musste, doch nur einen Moment lang weh tut, liegt am altbekannten Verfahren Kresniks, aus seinen zeitgenössischen und angeblich politischen Themen episodenhaft schönes - und oft überdeutlich plattes - Bildertheater zu machen. Was Librettistin Uschi Otten den verklärenden Hannelore-Biographien entgegen setzt - etwa die Vorgeschichte, von der vergötterten Nazitochter über Krieg, Vertreibung, Vergewaltigung bis zum Neuanfang mit Kaugummi und Boogie-Woogie - ist weniger der Blick hinter die Fassade als ein buntes, einigermaßen allgemeingültiges Geschichtskaleidoskop. Pustefix-Blasen als Friedensboten, die Trillerpfeife als Erziehungs-Instrument für die Söhne - das ist Symbolik mit Kresnik-Holzhammer, echt zu schön, um wahr zu sein. Man kann es womöglich lustig finden, wenn neun Hannelore Kohl-Grazien in bonbonfarbenen Kostüm sich am Küchentisch die blondierten Perückenhaare raufen und "Ooooh wann kommst du?" trällern; man kann aber auch entsetzt sein über so viel inszenatorische Naivität, die der Familie Kohl und einem letztendlich tragischen Frauenschicksal mit Ironie beizukommen versucht.

    Mit dem Auftritt Ulrike Meinhofs wird die Geschichte ins Surreale gewendet, und letztlich auch gerettet. Die coole Terroristin als Möglichkeitsform einer ganz anderen Karriere ist zwar nur ein Spuk, den man im Flügel einsperren und erschießen kann. Aber in der Begegnung ist Empathie zu spüren, wie später auch, im anderen Bild voll surrealer Komik, wenn sich die Großmächte USA und Russland zum allerletzten Mal um die DDR streiten, die nackt und blutleer als "schöne Leich" unterm Blumenbouquet liegt. Danach kommt noch eine schräge Textcollage zur Spendenaffäre, eine rote Juliane Köhler als Sexmaschine im Business-Outfit und ein letzter Flirt Hannelores mit dem Bundesadler, bevor die vielfachen First Ladies im Festtags-Kostüm die Perücken für ihren letzten Gang anlegen. Die rasante Flucht aus dem Leben im Elektronikgewitter über ein Meer von Glassplittern beendet beeindruckend - nicht die "ganz andere Geschichte" der Frau Kohl, sondern ein Hannelore-Märchen. Schöner Polit-Kitsch ist das. Der gerade richtig zu Weihnachten nach Bonn kommt. Auch wenn Glühwein immer noch besser wärmt.