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Hannover denkt

Philosophie als Fest - die Idee ist nicht neu: In Italien und Frankreich haben solche Festivals Tradition. Dass sich Wein, Geist und Sinnlichkeit gut miteinander vertragen, diesen Beweis trat das erste Hannoveraner "Festival der Philosophie" an. Das lange Wochenende mit über 30 Einzelveranstaltungen eröffnete Julian Nida-Rümelin, Philosoph und ehemaliger Kulturstaatsminister.

Von Jochen Stöckmann |
    "Viele der philosophischen Fragen sind gewissermaßen ewige Fragen, zum Beispiel Fragen nach der Lebensgestaltung. Die heute noch aktueller geworden sind, weil sich die Gesellschaft differenziert in Spezialisten - und Menschen verlieren die Orientierung in dieser ganzen Vielfalt."

    Vielfältig sollte das "Festival für Philosophie" sein, von allem etwas: Leichte Kost bei der Vorstellung eines philosophisch aufgepeppten Kochbuchs, etwas herber mit rotem Corbières, der allen Ernstes als "Wein des Philosophen" ausgeschenkt wurde, fachkundig begleitet von Helmut Pape. Der Bamberger Philosoph bringt seine Bücher und Bouteillen per Direktmarketing unters Volk. Das Ganze nennt sich "vinosophia.de". Da lässt sich Hannover nicht lumpen - und tauft die ganz gewöhnliche Shuttle-Verbindung "Philo Bus".

    Ansonsten hält man sich an überkommene Formen: Keine sokratischen Gastmähler an exotischen Orten, keine umherschweifenden Denkertrupps, die nichtsahnende Passanten zum Philosophieren reizen. Stattdessen Lesungen, Podiumsdiskussionen und jede Menge Vorträge vom Katheder. Wo sich allerdings ein Kaliber wie Robert Spaemann ganz allein mit seiner ganzen Persönlichkeit gegen jeden Rummel durchzusetzen versteht:

    "Denken, das sich nicht als Denken erlebt, das nicht durch ein ursprüngliches Gestimmtsein in der Welt ist und Welt hat, ist gar kein Denken, sondern nur dessen Simulation."

    Dieses "Gestimmtsein" mochte man früher einmal an der Alma mater vermuten. Heute versammelt sich im Lichthof der Universität ein überraschend zahlreiches, doch nur selten mit Studenten durchsetztes Publikum. Die ehemalige Technische Hochschule wurde vor einigen Monaten erst nach Leibniz, dem Universalgelehrten des 17. Jahrhunderts benannt - und ist seither bestrebt, ihr Philosophisches Institut durch ein windschnittiges "Zentrum für Wissenschaftsgeschichte" zu ersetzen.

    "Das wird ein eng spezialisiertes Spektrum sein, mit dem man sich dann noch beschäftigt. Das ist es, was ich daran kritisiere. Denn es ist ja das Eigentümliche, dass Leibniz eine Akademie geplant hat, in der alle Wissenschaften und Künste vorkamen, nur merkwürdigerweise die Philosophie nicht als eigene Disziplin. Warum nicht? Nicht, weil er sie gering geschätzt hat, sondern weil das Ganze aller dieser Künste die Philosophie darstellte."

    Günther Mensching, Philosophieprofessor in Hannover, dürfte sich mit dem unerwarteten Publikumszuspruch dieses Festivals in seiner Argumentation bestärkt sehen. Zumal ihm in Anwesenheit des Uni-Präsidenten, eines Ingenieurs der Informationstechnik, jemand zur Seite springt, der als Philosoph über Jahrzehnte Zugang zu den inneren Zirkeln der Politik hatte. Mit Robert Spaemann wird das zeitlose Festival-Thema "Die Seele: Metapher oder Wirklichkeit?" wissenschaftspolitisch brisant:

    "Intentionale Gehalte haben keine Entsprechung im Gehirn, denn sonst müssten wir die Infinitesimalrechnung ebenso in einem Gehirn ablesen können wie ein Streichquartett von Mozart oder Michelangelos Pietà. Die Hirnforschung wäre dann die Integrationswissenschaft für alle Natur- und Geisteswissenschaften. Man muss diese Dinge nur beim Namen nennen, um ihre Absurdität zu erkennen."

    Das besorgt - sozusagen als Kronzeuge - der Neurobiologe, Psychiater und habilitierte Philosoph Hinderk Emrich:

    "Wenn man dem Duktus der Neurobiologie folgt, dann wäre unser Seelenbegriff eine Metapher für eine neurologische Funktion unseres Gehirns. Und dem Begriff des 'Seelischen' würde dann letztlich nichts mehr entsprechen - außer einer Art von Neuronengewitter in uns."

    Dieser "Neurokonstruktivismus", so berichtet Emrich, gilt unter seinen Kollegen als Leitwissenschaft, ist jenes Entreebillett, ohne das alle Türen zur akademischen Karriere verschlossen bleiben. Die publizistisch ansonsten so umtriebigen, streitbaren Protagonisten dieser Richtung waren in Hannover allerdings nicht vertreten.

    Und so blieb es im Verein mit dem evangelischen Landesbischof Horst Hirschler beim Ausloten feiner - und für den Zuhörer oft kaum bemerkbarer - Nuancen. Die der Religionsphilosoph Matthias Lutz-Bachmann wiederum als Grundstein für seinen Entwurf einer durch und durch harmonischen Wissenschaftswelt nutzte:

    "Die Seele sitzt sozusagen, wenn überhaupt, im gesamten Menschen und nicht in einem einzelnen Organ. So wenig, wie sie im Herz sitzt oder in meinem kleinen Finger. Und von dorther gibt es also Anschlußfähigkeit an Neurobiologie und Neuropsychologie einerseits, aber auch an die biblisch-theologischen Deutungen, die der Bischof vorgetragen hat."

    Dieses besinnliche "Wort zum Sonntag" sollte nach der ursprünglichen Programmplanung durch das rasante Kopfballspiel "Körper in Bewegung - Seelen in Aufruhr" in der AWD-Arena konterkariert werden. Aber der "Fußballphilosoph" Andrea Hütig war verhindert.

    Und so wird erst die nächste Auflage des "Festivals der Philosophie" zeigen, was dran ist an der oft wiederholten Platitüde, dass in Hannover jetzt die "Wissenschaftler aus ihren Elfenbeintürmen" herabsteigen: Test auf Massenwirksamkeit der Philosophie - oder doch nur populistische Verflachung?