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Hannoveraner Liebestod

"Warm" wird man hier lange nicht, und soll es auch nicht werden. Es ist ein Tristan des Minimalismus. Und die vielen Toten am Ende - sie verweigern ihr Totsein, stehen als Untote einfach wieder auf. Sie lassen Isolde mit ihrem Versinken, Ertrinken allein, sodass sie ungläubig im Saal sich umschauen muss.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Arg karg beginnt es. Schon im Vorspiel tapern die Beteiligten aufs Proszenium, stellen sich wie Salzsäulen auf. Ein kleines Mädchen - es entpuppt sich später als Morolds Spionin und "Petze" - schaut sich alle genau an. Die Bühne ist verhängt mit einem halbtransparenten Tuch. Dort kann man das Vorspiel auch "sehen". Per Video wird das Orchester darauf projiziert. Der Seemann singt seine Ballade von Wind und Wetter dahinter auf einem Podest als Schatten wie ein Giovanni-Komtur.

    Etwas eng geht’s dann vorn zu fast den ganzen ersten Akt. Brangäne und Kurwenal, die Diener, müssen ihre Meldungen bei der jeweils anderen Partei machen, indem sie unter dem Vorhang hindurch schlupfen. Isolde lebt ganz ihrer Erinnerung an den getöteten Geliebten Morold, den sie als Statuette aus der Wand auskratzt. Den "furchtbaren Trank" ritzt sie mit einem rasiermesserscharfen Amulett aus Brangänes Vene. Und wie die Massai stärkendes Stierblut trinken Tristan und Isolde von diesem aus Brangänes Arm.

    Für den zweiten Akt öffnet Regisseur und Choreograph Joachim Schlömer, der hier auch sein eigener Bühnenbildner ist, den Raum: nackt, nachtschwarz und bloß ist der. Nur ein Spiegel mit Kamera dahinter wie eine Art Bluttransfusionsstelle steht dort und ein Küchenstuhl. Ihren Liebesakt gestalten Tristan und Isolde auf diesem Stuhl, durch eine graue Decke medusenartig verwachsen zum Klimt-Paar. Zum Liebestod setzen sie sich vorn auf Kante, lassen die Beine baumeln über dem Orchestergraben.



    Aber nicht nur Brangäne "wacht". Auch Morolds Spionin-Töchterlein schleicht sich unter der nach hinten abtrennenden Wand herein und petzt dann alles dem Papa. Der kommt auch sogleich, alles zur Seite rempelnd, mit dem Chef. Marke stellt sich für seine markante Durchsage auf den Küchenstuhl. Den Ring, den der König Isolde trotzdem noch über den Finger zwingen will, gibt Tristan sogleich zurück. Und seine Wunde bringt er mit dem Amulett auch sich selber bei. Nur keine falschen Abhängigkeiten!

    Auch für Tristans Sterben hält Schlömer nur einen Stuhl als Krankenlager bereit. Ein paar Gummistiefel stehen noch herum für die eventuelle Anlandung von Isolde. Doch die Wasserwelle - ganz bildlich direkt als Klabautermann mit Rolle rückwärts - spuckt sie lange nicht aus. Und als Isolde dann endlich kommt, folgen auch gleich noch ihr Double Brangäne und der König. Marke, als er die Exbraut Isolde definitiv im Liebeswahn versinken sieht, hübscht umstandslos die Dienerin mit deren Accessoires auf: zieht ihr die rotgelockte Perücke über, den silbernen ISO-Mantel und das Amulett.

    Akzentuiert wird so noch einmal, dass Brangäne die eigentliche Lenkerin der Geschicke ist. Aus ihrem starken Arm tranken Isolde und Tristan den vermeintlichen Todestrank. Ein Naturereignis ist die Liebe von Tristan und Isolde nicht.

    Sehr dicht und mit sich steigernder Stringenz ist das alles erzählt. Und Schlömer hat dafür auch hervorragende Sängerdarsteller zur Verfügung. Zumal die Isolde von Barbara Schneider-Hofstetter kann mit ihrer kraftvoll strahlenden Stimme überzeugen. Mühelos hält sie die Spannung bis zu ihrem Schlussgesang. Louis Gentile als Tristan hat damit doch etwas Probleme. Aber körpersprachlich ist er höchst präsent.

    Shao-Chia Lü am Pult beginnt mit etwas überdehnten Tempi, unterläuft so eher die Kargheit der Bühne. Auch die Feinheiten der Wagnerschen Partitur darf man sich hier nicht erwarten. Insgesamt präsentiert sich das Hannoveraner Haus aber mit diesem Tristan in einer frisch aufgeräumten Form. Das Publikum mochte diese (sehr kostensparende) Variante des Wagnerschen Musikdramas freilich nicht so recht goutieren. Es buhte heftig gegen Schlömer.

    Der Sog, den diese Aufführung zumal ab dem zweiten Akt entwickelt, ist aber beträchtlich. Erstaunlich bei diesem so handlungsarmen "Handlung".