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Hans Bentzien: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Täter und seine Zeit.

Die DDR-Geschichtsschreibung, hatte allzeit ihre Schwierigkeiten mit den immerhin zur Hälfte dem Adel entstammenden Verschwörern des 20. Juli. Denn dem so genannten "Junkertum" war in der marxistischen Ideologie eine reaktionäre und nicht etwa eine revolutionäre Rolle zugewiesen. Schon deshalb ist es interessant, einen aufmerksamen Blick auf die Stauffenberg-Biographie Hans Bentziens zu werfen. Der frühere DDR-Medienfunktionär und SED-Genosse, während seiner Karriere mehrmals in politische Ungnade gefallen, hat sich schon zu DDR-Zeiten mit dem Thema beschäftigt und nun eine überarbeitete und erweiterte Neuausgabe seiner 1997 erstveröffentlichten Stauffenberg-Biographie vorgelegt. Jacqueline Boysen stellt sie Ihnen vor.

Von Jacqueline Boysen |
    als etwas über die blutigen Vorgänge zwischen Hitler und den Junkergenerälen durchsickerte, hielt ich für einen Augenblick Hitler den Daumen; denn wer, wenn nicht er, wird uns schon diese Verbrecherbande austilgen.

    Dass Bertolt Brecht am Tag nach dem fehlgeschlagenen Attentat derlei niederschrieb, mag der unübersichtlichen Lage im Sommer 1944 ebenso zuzuschreiben sein wie des Dichters ideologischer Verklärung. Noch lange nach der Gründung der DDR – die ja stets als antifaschistisches, besseres Deutschland begriffen werden wollte – hielt sich das Klischee vom letztlich reaktionären Aufstand hochrangiger Altadliger gegen Hitlers Terrorregime. Bürgerliche Opposition, religiös motivierte Resistenz oder eben der Widerstand von einigen wenigen Aristokraten fügten sich nicht nahtlos in das offizielle Geschichtsbild der frühen DDR: Der Kampf gegen die Nationalsozialisten war eigentlich Kommunisten und Sozialdemokraten vorbehalten. Auch wenn Tyrannenmörder in autoritären Staatswesen nicht zum Vorbild taugen und die konservativen Hitler-Gegner im kollektiven Gedächtnis der DDR keinesfalls neben Helden wie Ernst Thälmann stehen durften – totgeschwiegen wurden sie nicht: Der Schriftsteller Stephan Hermlin hatte 1946 bereits "Leutnant Yorck von Wartenburg" eine wiederholt publizierte Erzählung gewidmet. Und auch das Fernsehen der DDR würdigte das Attentat vom 20. Juli seit Mitte der sechziger Jahre in ausführlichen Dokumentarfilmen. Die Verdienste Claus Schenk Graf von Stauffenbergs wurden schließlich im Jahr 1983, als sich auch das Preußenbild der DDR grundsätzlich gewandelt hatte, vom Chef-Ideologen der SED, Kurt Hager anerkannt:

    Die Geschichte kennt Beispiele, wo Vertreter von Ausbeuterklassen, ohne ihren klassenbedingten Erkenntnishorizont zu sprengen, sich den Blick auf Realitäten bewahren oder auf bitteren Umwegen zu erringen vermochten. Dafür könnten in der deutschen Geschichte Persönlichkeiten wie Yorck von Wartenburg, Bismarck, Rathenau, Stauffenberg und andere Persönlichkeiten der Verschwörung vom 20. Juli 1944 stehen, die unter ganz unterschiedlichen geschichtlichen Umständen aus sehr verschiedenen Klasseninteressen und Motiven heraus handelten.

    Diesen Motiven nachzuspüren, hat sich der einstige SED-Funktionär und Publizist Hans Bentzien zur Aufgabe gemacht. Nach seiner Ablösung als Minister für Kultur und später als Leiter der Funkdramatik beim Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR nahm Bentzien Kontakt auf zu den Familien der Widerständler – bewegt von der Frage, was in einem jungen, schwer versehrten Oberst wie dem damals sechsunddreißigjährigen Stauffenberg vorgegangen sein mag, bis er am 20. Juli 1944 im Führerhauptquartier den Sprengstoff zündete, um den Diktator zu töten, dem er einst Treue geschworen hatte:

    Nun kann man über die Eidfrage denken, wie man will, aber dass es für einen christlich geprägten Offizier nicht einfach ist zu sagen: "Ich habe meinen Eid gehalten, aber er hat seinen Part nicht gespielt, sondern die humanistische Grundlage verlassen, da spielt auch Stauffenbergs Bildung, die Sache mit dem Heiligen Deutschland, auf die Staufer und Ottonen zurückgehende Reichsidee eine Rolle. Seine Konsequenz unter Zurückstellung seiner Person: "Wer ein Amt übernommen hat, muss es konsequent machen.

    Wenn Hans Bentzien über Claus Schenk Graf von Stauffenberg spricht, dann ist die große Bewunderung des heute Siebenundsiebzigjährigen für den mutigen Widerstandskämpfer nicht zu überhören – und auch seine Publikation schildert nicht etwa den "Täter und seine Zeit", wie der Untertitel besagt, sondern die Annäherung Bentziens an eine ihm denkbar fremde Welt, deren verlorener Glanz und deren Verständnis von Ehre und Gewissen den Autor offenkundig faszinieren. Diese Faszination verleitet ihn dazu, Stauffenberg, der seine Militärlaufbahn bei der Kavallerie in Bamberg begann und von seinen Kameraden den Spitznamen des "Bamberger Reiters" erhielt, zeitweise zum persönlichen Antipoden Hitlers zu stilisieren.

    Natürlich war er eine Gegenfigur zu Hitler. Er hat gesagt: Deutschland muss gerettet werden, dieses Land, sein Reich geht vor die Hunde. Dagegen muss man etwas tun. Stauffenberg ist nur über sein Bewusstsein zu verstehen, seine Haltung zur Gemeinschaft, zur Bevölkerung und der Verantwortung des Adels vor dem Volk. Stauffenberg kam zu der Erkenntnis, dass der Herrscher der Bamberger Reiter sein muss: nicht der Schlagetod, sondern die Idealgestalt. Und die allerdings hielt er für angemessen für den Führer Deutschlands. Er war dann für die Tötung, in ganz groben Worten, "ist da keiner, der das Schwein umlegt", und dann war er tief enttäuscht und entsetzt, dass die Marschälle sich alle verweigerten. Die sagten, ja, wenn er tot ist, dann machen wir mit.

    Wieder einmal bestätigt sich, dass die Biographie immer auch über den Biographen erzählt: Hans Bentzien, der einstige SED-Funktionär, der immer wieder gemaßregelt wurde und in Ungnade fiel, begann sich für Stauffenberg zu interessieren, nachdem er sich selbst immer wieder in Loyalitätskonflikten mit der Staatsmacht wiederfand. Vom Attentat auf Hitler erfuhr er indes schon im Jahr 1944, da er – siebzehnjährig – wie so viele selbstverständlich noch an den Sieg der Wehrmacht glaubte,.

    Ich erinnere mich an den 21. Juli, da war ich beim Arbeitsdienst, das war ja vormilitärisch und ziemlich hart, und wir mussten antreten und die Hitlerrede hören. Und mir war es unbegreiflich, wie man den Führer angreifen, ja umbringen konnte. Ich hab das gar nicht verstanden.

    Will der Leser Bentziens Band ausschließlich als historische Würdigung Stauffenbergs zur Hand nehmen, so sei ihm abgeraten: Die Beschreibung der Geschichte des 20. Juli 1944 insgesamt ist allzu zerrissen. Bentzien widmet sich in seinem Band sowohl der Vita Stauffenbergs wie den übrigen Protagonisten des Widerstands gegen Hitler, dem Weltkriegsgeschehen insgesamt und natürlich dem gescheiterten Attentat selbst. Angesichts weitverzweigter Erzählstränge vernachlässigt der Autor Stauffenbergs Persönlichkeit und den Wandel seiner Haltung. Zudem transportiert der Autor die Klischees der DDR-Geschichtsschreibung: So idealisiert Bentzien die widerständigen deutschen Kommunisten, ohne darauf zu verweisen, wie erbittert sie zuvor die Weimarer Republik bekämpft hatten. Auch behandelt er die Morde an den europäischen Juden gleichsam als abseitiges Phänomen, statt sich eingehend der Frage zu widmen, inwieweit sich der konservative Widerstand in Gewissensnot befand. Wurde die Ehre der Wehrmacht befleckt – oder wurden Unschuldige grausam ermordet?! Schon die Beschreibung der Jugendzeit Stauffenbergs im Schwäbischen, seiner musischen wie sportlichen Begabungen, der Begeisterung für die heute schwülstig anmutende Lyrik aus der Feder von Stefan George ergibt leider kein schlüssiges Bild. Die Welt, aus der die drei Stauffenberg-Brüder stammten, und ihre christliche Prägung bleiben Bentzien fremd.

    Den jungen Schwarmgeistern war es ernst mit einer neuen Welt, in der neue ethische Grundsätze gelten sollten, da sie an der alten alles beklagten. Die Durchdringung des Lebens mit Technik und die ihr folgende Hast, im Politischen die Republik ohne einen festen Mittelpunkt , wie ihn angeblich die deutschen Kaiser gebildet hatten. ... In Goethes, Schillers und Hölderlins Werken fanden sich so viele Gedanken und Bilder, mit denen man sich ein neues Reich erschaffen konnte, ohne die umständlichen politischen Prozeduren der Weimarer Republik vornehmen zu müssen. Und so war hier schon bei vielen der Boden bereitet für ein "Tausendjähriges Reich", das ihnen verheißen worden war von der Bibel, von der Reichsidee des Mittelalters – und von einem damals noch kaum bekannten Mann, der so anders war als alle anderen Politiker, schockierend fanatisch und massengewinnend. Er berief sich auf die Vorsehung und stellte sich als eines ihrer Werkzeuge hin, dem aufgetragen worden sei, die Welt im Namen der germanischen Rasse (der er selber allerdings nicht angehörte) zu erretten.

    Stauffenbergs Geisteshaltung und dem Wandel von der Pflichterfüllung bis zum Attentat gegen den als Verräter empfundenen Diktator wird Bentzien nicht gerecht. Jenseits der Frage nach Stauffenbergs Vorstellung von der politischen Zukunft Deutschlands bleiben auch Fragen zu seiner Person offen: Welche Rolle spielt die schwere Verwundung, die er in Afrika davonträgt: Der Offizier ist Mitte dreißig und verliert ein Auge, den rechten Arm und zwei Finger der Linken. Zuvor konnte er seine Anfälligkeit für Krankheiten durch Disziplin bekämpfen, jetzt ist der Vater von vier Kindern, dessen Frau ein fünftes Mal schwanger ist, Invalide. Wie groß muss die Verzweiflung gewesen sein, dass jemand, dessen Ritterlichkeit vielfach bezeugt ist, seine Familie der Rache der Gestapo aussetzt?! Bentzien rührt nicht an die Verletzlichkeiten seines zweifellos mutigen, auch selbstlosen Helden – und so schließt man auch diesen Band über den 20. Juli 1944 in dem Gefühl, Claus Schenk Graf von Stauffenberg wahrt ein Geheimnis.

    Jacqueline Boysen über Hans Bentzien: "Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Täter und seine Zeit". Das Buch ist erschienen im Verlag Das Neue Berlin, umfasst 367 Seiten und kostet 17 Euro und 50 Cent.